Die einfachsten Ideen sind immer noch die besten, dachte sich Henning Siemens. "Eigentlich war es ganz simpel", erinnert er sich, "ich stand eines abends leicht betrunken in einer Postfiliale und bemerkte plötzlich, dass da um mich herum etwa drei Tonnen Telefonbücher gelagert waren." Siemens, Urur-Großenkel des Erfinders der elektrischen Turbine, hatte die Datenpannen-Debatte noch im Kopf, die in jenen Tagen im Sommer durchs Land getobt waren wie ein mittlerer Tsunami. "Da hatte es ja geheißen, alles müsste doppelt und dreifach geschützt werden, niemand dürfte Daten miteinander vernetzen, keiner dürfe sie weitergeben oder gar verkaufen." Wie aus dem Nichts tauchte vor dem geistigen Auge des gelernten Installateurs, der auf der Abendschule seinen Meister gemacht hatte, eine Geschäftsidee auf. "Ich dachte schlicht, wenn es möglich ist, dass die Post hunderttausende von Datensätzen einfach so zum Mitnehmen in der wirklichen Welt auslegen kann, dann wird ja wohl niemand etwas dagegen haben, wenn ich dieselben Daten im virtuellen Raum kostenlos anbiete."
Schnell hatte der 33-Jährige, geboren im mitteldeutschen Edderitz und aufgewachsen in der Nähe von Riesa, einige Freunde und Kollegen für seine Idee begeistert. "Uns war klar, dass wir mehr wollen als noch ein Telefonbuch ins Internet stellen." Über einen befreundeten Fliesenlegermeister, der seit Jahren eng mit Berufskollegen aus Bosnien zusammenarbeitet, gelang es der jungen Firma, Kontakt zu Programmierern und Software-Ingenieuren im slowenischen Portoroz zu bekommen, die sich gegen eine Minderheitsbeteiligung an der neuen Firma bereit erklärten, die technischen Feinarbeiten am geplanten ersten deutschen Portal zum sogenannten Adress-Mapping zu übernehmen. "Ich bin selbst mit dem Auto runtergefahren, um die erste Ladung Telefonbücher zum Abtippen an die Adria hinunter zu bringen." Besitzer der gedruckten Adresssätze ist die Deutsche Telekom, deshalb dürften sie, so Siemens, nicht einfach eingescannt oder aus Internet-Datenbanken abgegriffen werden. "Wir mussten hunderttausende Namen und Anschriften mühsam von bosnischen und slowenischen Schülerninnen in unsere Systeme tippen lassen."
Doch der junge Geschäftsmann sieht gute Aussichten für seinen Service, der Googles Maps-Angebote ideal ergänzt. "Dabei", erklärt Henning Siemens, "werden schlicht und einfach die mit dem Telefonbuch ohnehin öffentlich verfügbaren Adressinformationen, Telefonnummern, Namen und wo verfügbar Berufsbezeichnungen mit einer Applikation verknüpft, die sie in Landkartenprogrammen anzeigt". Möglich sei das nicht nur bei Maps, sondern auch beim freien Programm Open Street Map oder beim Konkurrenten Bing.
"Man schaut auf die Adress Alert-Karte", schwärmt der Unternehmer, "und sieht sofort, wer wo wohnt, welche Berufe vertreten sind und hat auch die Telefonnummern gleich zur Hand, um anzurufen." Siemens, der sein Unternehmen "Adress Alert" nennt, sieht sich als Wiederentdecker der klassischen Adressbücher, wie sie vom Ende des 17. Jahrhunderts in nahezu jeder deutschen Stadt zu finden waren. Natürlich seien die von Adress Alert angebotenen Dienste ungleich komfortabler zu nutzen, zumal demnächst auch noch die inzwischen gesammelten E-Mail-Adressen den entsprechenden Telefonbucheinträgen zugeordnet werden können. Angst davor, von übereifrigen Datenschützern gestoppt zu werden, hat der smarte Self-Made-Mann nicht. "Da müsste mir erstmal jemand sagen, was an unserem Angebot ungesetzlich sein soll."
Wie er sähen auch alle bisher befragten Rechtsexperten "überhaupt kein Problem" darin, öffentlich zugängliche Informationen wie die aus dem Telefonbuch mit anderen öffentlich zugänglichen Informationen wie die aus dem Stadtplan zu vernetzen. Mehr Angst hat Siemens denn auch vor Nachahmern, gerade bei großen Konkurrenten wie Google. "Wenn die wollen, peitschen die uns mit einem Schwanzwedler aus dem Markt", schätzt er realistisch ein. Zur Zeit aber habe Adress Alert noch den Vorteil, zuerst auf dem Markt zu sein. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, Deutschland so schnell wie möglich komplett zu erschließen", verspricht der Jungunternehmer, "und danach geht es mit dem Rest der Welt weiter."
Mehr heiße Gründer-Stories von jungen Deutschen, die es geschafft haben, in der großen PPQ-Serie "Geschäftsideen, die wir auch gern gehabt hätten":
Hotbird: Papagei im Federmantel macht Grenztruppenoffizierssohn zum Millionär
Rettung für Vermieter: Preisgekrönte Hilfe zum Steuerbetrug
CO2-arm für Klimakunden: Gut gekühltes Leitungswasser als Erfolgsrezept
Virtuelles Sterben: Der Tod ist mein Beruf
Regenschirme in der Wüste: Erfolg aus dem Ziegendarm
Die Angst muss zittern: Halle Street View startet durch