Innenminister Friedrich: Der CCC macht dem Chaos in seinem Namen alle Ehre

Innenminister Friedrich: Der CCC macht dem Chaos in seinem Namen alle Ehre17.10.2011 – Der Bundesinnenminister und seine Amtskollegen auf Länderebene stehen wegen des umstrittenen Einsatzes des sogenannten Bundestrojaners unter Beschuss. Die durch den Chaos Computer Club (CCC) entdeckte Software enthält nach deren Analyse unzulässige Funktionen und eklatante Sicherheitslücken.

Während Informationen derzeit nur tropfenweise aus Ministerien und Behörden dringen, hat Hans-Peter Friedrich in einem Interview mit der FAZ über den Staatstrojaner, den CCC und die Rechtslage gesprochen. Hier vertritt er die Auffassung, der CCC mache dem Chaos in seinem Namen alle Ehre und habe nichts aufgeklärt.

Gleichzeitig hat die Piratenpartei jetzt Strafanzeige gegen den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann erstattet. Innenminister Friedrich könnte schon bald das gleiche Schicksal drohen. In dem Interview stellt er Behauptungen auf, die unter Umständen an einer kritischen Überprüfung scheitern würden.

Innenminister Friedrich: Der CCC macht dem Chaos in seinem Namen alle Ehre

Das trojanische Pferd: Kriegslist für Mord und Totschlag

Der Legende nach wurde die schöne Helena, mit eigenem Einverständnis, vom Prinzen Paris nach Troja entführt. Die darüber empörten Griechen zogen daraufhin gen Troja, wo es ihnen nach zehnjähriger Belagerung nicht gelang, die antike Stadt zu erobern. Ihr Anführer Odysseus ersann daraufhin eine List: Er ließ ein großes Holzpferd bauen, in dessen Innern sich griechische Soldaten versteckt hielten. Zum Schein tat man so, als würde man die Belagerung aufgeben und hinterließ das riesige Pferd als Geschenk vor den Toren Trojas.

Die Trojaner zogen das Pferd in die Stadt und während dort die ausgiebigen Siegesfeiern ihren Lauf nahmen, öffneten die versteckten Griechen die Tore und ließen die Armee in die Stadt. Troja wurde niedergebrannt und nur wenige Einwohner konnten entkommen.

Mit anderen Worten handelt es sich bei dem trojanischen Pferd um eine verschlagene Kriegslist, mit der sich die Feinde Zugang zu ihren Gegnern verschaffen, um sie zu überwältigen, unschädlich zu machen und zu töten.

In einem Interview mit der FAZ spricht Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich über das trojanische Pferd der Bundesregierung, den sogenannten Staats- oder Bundestrojaner und kann immer noch keine Hinweise darauf erkennen, dass der Einsatz der Schadsoftware gegen Recht und Gesetz verstößt.

Innenminister Friedrich: Der CCC macht dem Chaos in seinem Namen alle Ehre

Bayerns Innenminister Herrmann unter Strafverdacht

Der Chaos Computer Club war kürzlich in den Besitz von verschiedenen Versionen des Programms gelangt und kam nach eingehenden Untersuchungen und Analysen zu dem Schluss, dass die Spähsoftware in Bezug auf ihren Funktionsumfang deutlich gegen die Verfassung und das geltende Recht verstößt.

Innenminister Friedrich: Der CCC macht dem Chaos in seinem Namen alle EhreErlaubt wäre der Einsatz von Programmen, mit denen sich Telekommunikation per PC, also vor allem Gespräche über Skype oder vergleichbare Dienste, abhören lassen. Dies kommt dem Abhören von Telefonaten gleich und ist in Verdachtsfällen schwerster Straftaten und mit einer richterlichen Genehmigung in Ausnahmen zulässig. Der Bundestrojaner ist allerdings auch in der Lage, den kompletten Rechner auf Inhalte hin zu untersuchen, eingebaute Kameras und Mikrofone zur Raumüberwachung zu nutzen und sogar Daten zu verändern oder hinzuzufügen. Darüber hinaus weist das, von einem Privatunternehmen in Hessen hergestellte, Programm erhebliche Sicherheitslücken auf und bietet keinen Schutz gegen einen Missbrauch durch Unbefugte.

Nachdem Bundes- und Landesbehörden die Authentizität und den Einsatz der Software zunächst bestritten hatten, musste der bayerische Innenminister Joachim Herrmann unter dem Druck der Öffentlichkeit schließlich einräumen, der Staatstrojaner sei vor drei Jahren ein einziges Mal in Bayern eingesetzt worden. Dabei habe es sich unter Umständen nur um einen Test gehandelt. Am Tag darauf gestand der CSU-Minister fünf Einsätze des Programms. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass der Bundestrojaner während der vergangenen drei Jahre mindestens in hundert Fällen verwendet wurde, davon alleine 25 Einsätze in Bayern.

In der Folge hat die Piratenpartei Bayern jetzt  Strafanzeige gegen Herrmann und weitere beteiligte Personen erhoben. Deren Chef Stefan Körner sagte hierzu: „Wenn sich Behörden nicht an geltendes Recht und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten, muss sich der Rechtsstaat dagegen zur Wehr setzen können“.

Innenminister Friedrich: Der CCC macht dem Chaos in seinem Namen alle Ehre

Der CCC macht dem Chaos in seinem Namen alle Ehre

Auf Bundesebene ist man dagegen weit davon entfernt, die Rechtspraxis beim Einsatz des Trojaners zu überprüfen, geschweige denn, Fehler einzuräumen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich teilt stattdessen kräftig gegen den Chaos Computer Club (CCC) aus:

Der CCC hat nichts aufgeklärt, sondern dem Chaos in seinem Namen alle Ehre gemacht. Da sind viele Missverständnisse entstanden.

Auf die Frage, warum er die Länder aufgefordert hat, die Überwachung zunächst zu stoppen, redet sich der Minister damit heraus, dass der Code jetzt veröffentlicht wurde und dadurch anfällig für Missbrauch ist.

Hiermit räumt Friedrich indirekt ein, dass es sich bei der vom CCC untersuchten Software also tatsächlich um den umstrittenen Bundestrojaner handelt. In diesem Zusammenhang dennoch davon zu sprechen, der CCC habe nichts aufgeklärt, macht vor diesem Hintergrund nur wenig Sinn.

Es gäbe allerdings Behörden, so Friedrich weiter, die über eine andere Software verfügen, so dass die Überwachung trotzdem weiterlaufen kann:

„Sollen wir die organisierte Kriminalität laufen lassen? Den Drogenhandel? Den Menschenhandel? Den Waffenschmuggel? Und was ist mit dem Terrorismus?“

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Friedrich: Spähsoftware wird für jeden Einsatz individuell programmiert

Die Tatsache, dass Ermittler im Zuge der PC-Überwachung Tausende von Screenshots erstellt haben, genau dies ist gerichtlich streng untersagt, interpretiert Hans-Peter Friedrich in dem Interview sehr eigenwillig:

„Das ist eine Frage, die unter Juristen umstritten ist. Das Landgericht Landshut sagt, es sei nicht erlaubt. Die bayerische Staatsregierung sagt, es sei erlaubt. Man kann ja auch anderer Auffassung sein als ein Landgericht.“

Mit anderen Worten: Der Innenminister hält es für rechtmäßig, wenn sich eine Regierung über geltendes Recht und Gerichtsurteile hinwegsetzt, eine abweichende Position entwickelt und diese in die Tat umsetzt. Für den obersten Wächter der Rechtsstaatlichkeit und zudem einen promovierten Juristen ist das zumindest eine seltsame Auffassung.

Innenminister Friedrich: Der CCC macht dem Chaos in seinem Namen alle EhreAngesprochen auf die Sicherheitsmängel der entdeckten Software behauptet Friedrich im weiteren Verlauf des Gesprächs, er wisse gar nicht, welche Software dem CCC vorliegt, nachdem er deren Einsatz doch zuvor, mit der Begründung, der Code sei jetzt bekannt, für unbestimmte Zeit ausgesetzt hatte. Entweder versteht der Minister die Zusammenhänge selber nicht oder er versucht die Bevölkerung nach Kräften für dumm zu verkaufen.

So versteigt er sich sogar zu der Behauptung, das BKA würde Spähsoftware grundsätzlich erst auf die richterliche Anordnung hin individuell programmieren lassen. Diese Aussage dürfte einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Ebenso unsinnig wirkt die Begründung, die Friedrich für die umstrittene „Nachladefunktion“ des Trojaners liefert. Hierbei handelt es sich um die Funktion, die unter anderem eine Aktivierung von Webcams und Mikrofonen oder die Veränderung von Dateien ermöglicht. Laut Friedrich ist dies erforderlich, „um uns den normalen Updates auf dem Zielcomputer anpassen zu können“.

Die Software stammt von dem hessischen Entwicklungsunternehmen „DigiTask“. Dessen damaliger Firmenchef Hans Hermann Reuter hatte bis zum Jahr 1999 Beamte des Zollkriminalamtes bestochen, um sie dazu zu verleiten, seine Produkte einzusetzen. Das Landgericht Köln hatte Reuter 2002 wegen Bestechung zu einer Geldbuße in Höhe von 1,5 Millionen Euro und einer Bewährungsstrafe von 21 Monaten verurteilt.

Mit der weiteren Beauftragung von DigiTask hat Friedrich jedoch kein Problem und erklärt auf die Frage nach dem Grund hierfür lakonisch: „Weil die Firma ein gutes Produkt abliefert. Zuvor gab es außerdem eine genaue Marktbeobachtung“.

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Wenn der Minister jetzt lügt, wird es schwierig, ihn zu halten

Im Ergebnis setzen Bund und Länder also eine Spähsoftware ein, die von der Firma eines vorbestraften Unternehmers stammt, deren Funktionen weit über das hinausgehen, was Verfassung, Verfassungsgericht und Landgerichte genehmigen und deren Nutzung unter eklatanten Sicherheitsmängeln erfolgt. Bürger können so weit über die Grenzen des Erlaubten ausspioniert und ausgespäht werden, ohne von der Maßnahme überhaupt etwas zu bemerken.

Innenminister Friedrich: Der CCC macht dem Chaos in seinem Namen alle EhreDie Behörden streiten die Existenz und den Einsatz der Software im ersten Moment reflexartig ab, um dann, unter zunehmendem öffentlichen Druck und in kleinen Portionen einzuräumen, dass der Trojaner in den vergangenen drei Jahren in mindestens 100 Fällen auf den Computern Verdächtiger installiert wurde.

Hans-Peter Friedrich diffamiert den CCC als chaotisch und bestreitet, dass der Verein etwas aufgeklärt hätte. Er äußert, die vom CCC untersuchte Software nicht zu kennen und untersagt gleichzeitig vorläufig deren Einsatz. Er erklärt, dass sich Behörden nicht unbedingt an gerichtliche Entscheidungen halten müssten und behauptet, der Trojaner würde für jeden Einsatz individuell neu programmiert. Das private Unternehmen DigiTask, dessen ehemaliger Chef wegen Beamtenbestechung gegenüber dem Zollkriminalamt vorbestraft ist, habe man nach eingehender Marktbeobachtung nur ausgewählt, weil es ein gutes Produkt liefert.

Dem Innenminister ist sicher bewusst, dass man seine Aussagen detailliert überprüfen kann. Stellt sich heraus, dass Friedrich die Software kennt und von ihrem Einsatz weiß, dass der Trojaner nicht für jeden Einsatz neu programmiert wird oder dass die Nachladefunktion nichts mit „Updates auf den Zielcomputern“ zu tun hat, dann hat der Minister gelogen und verliert in der Affäre um den Bundestrojaner den letzten Rest an Glaubwürdigkeit.

 


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