Andreas Köhler
(Foto: arztwiki.de)
Auf einer Weihnachtsfeier seiner Organisation in dieser Woche hat der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung geäußert: “Julius Cäsar, Karl der Große, Napoleon, Adolf Hitler, Angela Merkel – die Liste der Staatsleute, die versuchten, Europa zu einigen, ist sehr lang”, und seine Analyse: “… stets scheiterten die Bemühungen an folgendem: Niemand kann sich vorstellen, zusammen in ein- und demselben Haus Europa zu wohnen.”
So berichten übereinstimmend eine Reihe von Medien.
Köhler geriet sofort in die Kritik, er habe die Bundeskanzlerin mit Adolf Hitler vergleichen wollen, beide auf eine Stufe stellen wollen. Dies bestritt er mit dem Hinweis, er habe nicht die Absicht gehabt, Frau Merkel in irgendeiner Weise mit Hitler zu vergleichen. Es habe sich um eine ironische Rede gehalten und seine Ansprache sei nicht politisch ausgerichtet gewesen. Was der Verbandsfunktionär mit diesen dümmlichen Bemerkungen zum Ausdruck bringen will, vermag niemand zu verstehen. Klar ist nur, dass es ihm um Diffamierung ging und er nicht einmal das Rückgrat hat, für sein Fehlverhalten einzustehen. Und dass er sich in einem Gestrüpp von Pseudoerklärungen ohne inhaltliche Substanz verheddert. Er schwadroniert von einer „Vorliebe der Bewohner Europas“ für kleine, selbstständige Nationen und von einer „Vorliebe der Politiker“, diese Nationen zu einigen. Es zeigt sich ein einfaches Weltbild.
Die Bundeskanzlerin, eine Demokratin, mit dem Verbrecher und Massenmörder Hitler zu vergleichen, ist infam und durch nichts zu rechtfertigen. Mehr noch: Infam aber ist auch, den Prozess der europäischen Einigung, der aufgrund der Erfahrungen zweier Weltkriege (mit Millionen von Toten, Verstümmelten und Traumatisierten) von dem Willen zur friedlichen europäischen Zusammenarbeit getragen wird, mit den von Hitler befohlenen Überfällen der Wehrmacht und der Waffen-SS auf die europäischen Nachbarn gleichzusetzen, infam wäre es sogar schon, diese Vorgänge auch nur im gleichen Atemzug zu nennen.
Und was die von ihm phantasierten Vorlieben von Politikern angeht, so hatte demnach wohl Adolf Hitler die „Vorliebe“ einige „Nationen zu einigen“, so etwa die tschechoslowakische, die polnische, die niederländische, die belgische, die dänische usw. und sofort. Aber – leider wohl ? — hatten deren Bewohner nun wieder eine „Vorliebe“ dafür, nicht von den Nazis vereint zu werden. Man kann derartig krudes Zeug nur als Verharmlosung des faschistischen Überfalls auf die europäischen Länder und als Verhöhnung des Widerstandes dagegen werten. Und das durch einen Deutschen!
Die Erinnerung an das Grauen der Weltkriege beginnt offenbar zu verblassen und die Zyniker und Relativierer reißen ihr Maul weit auf, „ironisch“ will Köhler dies alles gemeint haben. Diese „Ironie“ versteht außer ihm auch wieder keiner, aber das wiederum scheint der langjährige Funktionär und frühere Ringer zu verstehen nicht in der Lage zu sein. Vielleicht fehlt ihm dazu auch das geistige und moralische Vermögen. Schon 2009 berichtete der Stern von Politiker, Krankenhauschefs und Mitarbeitern, die Köhler als „brutal“ und „gefährlich“, als einen „Soziopathen“ bezeichneten. (Zur Vita des Ärztefunktionäres, der nie als Arzt gearbeitet hat, jetzt in der Welt.)
Köhler sei alkoholisiert gewesen, berichten manche; wenn es so gewesen sein sollte, dann fragt man sich unwillkürlich, wird die Zeit kommen, zu der er es für geboten hält, „ironisch“ Judenwitze zu verbreiten? Hat der Mann sich überhaupt unter Kontrolle und kommt in alkoholisiertem Zustand hemmungslos aus ihm heraus, was in seinem Hirn an sonst verschwiegenem Gedankengut vorhanden ist?
Vor kurzem noch hat die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer alarmierenden Studie auf Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus in Deutschland hingewiesen, zu ergänzen ist, dass Verharmlosung der Verbrechen der Nazis und Verhöhnung des Widerstands gegen die Nazis, das geistige Umfeld für braune Haltungen mit bereiten. Vorsichtig wird versucht, durch Verharmlosungen und Relativierungen eine neue „Normalität“ herzustellen, in der manches bisher nicht für möglich gehaltene zur Alltagskommunikation gehört. In der es normal ist, Hitler mit demokratischen Politikern gleichzusetzen, in der Angriffs- und Vernichtungskriege als Versuch der Einigung Europas verharmlost, bagatellisiert werden.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung ist nicht irgendein Verein, sie gehört zu den Einrichtungen der ärztlichen Selbstverwaltung in der Gesetzlichen Krankenversicherung und ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert. Diese Organisation ist die politische Interessenvertretung der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten auf Bundesebene. Die in ihr organisierten Ärzte und Therapeuten müssen sich fragen lassen, wie lange sie sich noch von einer solchen moralisch erbärmlichen Figur wie Andreas Köhler repräsentieren lassen wollen. Oder sind sie etwa auch seiner Auffassung? Dann sollen sie es sagen!
Walter Otte
Nachtrag:
1.) Kritik aus der Ärzteschaft
Mittlerweile wächst die Kritik aus der Ärzteschaft; der Deutsche Hausärzteverband hat bereits deutlich gegen Köhler Stellung bezogen. Es wird allerdings nicht ausreichen, die Verunglimpfung der Bundeskanzlerin zu monieren und eine Verschlechterung der Verbandsposition bei weiteren Auseinandersetzungen im Gesundheitsbereich zu beklagen. Es geht um mehr, es geht um die Bewertung deutscher Geschichte und die Folgerungen daraus, es geht um ein sittliches Minimum in diesem Land nach 1945.
2.) Einige Kommentare zum Bericht über Köhler im Focus oder „Stellungnahmen aus Dumpfbackenland“
Hysterie überall von Rudolf Bayer
Hitler wollte Europa gewaltsam zu einem großdeutschen Reich einigen. Merkel will Europa zu einer wie immer ausgestalteten politischen Union einigen. Was soll daran unwahr sein ? Und wieso stellt man damit beide auf ein Stufe ? Wenn die Hitler-Hysterie so weiter geht, ist man bald schon ein Faschist, wenn einem Forelle in Buttersoße schmeckt – so wie Adolf Hitler.
Verstehe ich nicht von Klaus Plickert
Diese Aufregung kann ich nicht nachvollziehen. Auch Hitler war ein Mensch, der die Welt verändern wollte, nur anders. Nur in Deutschland darf man den Namen Hitler nicht in den Mund nehmen und schon gar keine Vergleiche anstellen. In unserem Land wird doch schon alles und nichts reglementiert. Unsere Demokratie ist schon seit einiger Zeit nicht mehr vorhanden. In Frankreich müsste dann der Name Napoleon auch verpönt sein, nur um ein Beisiel zu nennen. …
Recht sich zu äußern? von Lothar Hannappel
Soweit die Theorie. Warum darauf hinweisen, wenn es im nächsten Satz kassiert wird. Also gleich richtig formulieren. Freie Meinungsäußerung war gestern. Heute hat man das zu sagen, was die anderen hören wollen! Allso immer daran denken, wie es beim anderen ankommt. Was die eigene Meinung ist hat da nichts zu suchen. …
Etwas Gelassenheit, ein wenig von Michael Sieber
Ironie verstehen lernen – das geht der deutschen Öffentlichkeit völlig ab. Das Wort “Hitler” wirkt wie ein Pawlowscher Reflex. Fällt es, spielt das eigentliche Thema keine Rolle mehr – siehe hier die Überschrift des Artikels – in F hätte man vielleicht nur “Napoleon” genannt und darüber geschmuzelt. Hier nicht “ein grobes Vergehen” ist es sofort. Rücktrittsforderungen, Verdammung … Ob die Deutschen eines Tages auch mal etwas lockerer werden, so wie ihre Nachbarvölker? Bei der Wucht, wie die Medien sich für dieBerufsempörten verwenden – wird das wohl nie etwas werden. Schade eigentlich. Mich wunderts , dass heute nicht einige “Experten” bei den Märchen der Brüder Grimm Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rass .. Anti .. usw. herausanalysiert haben. Einfach unbefleckte Deutsche? Na, sowas!…