Wer in der Schweiz seinen Kopf auf den Bürotisch legt und ein Nickerchen nach der Mittagspause macht, wird wahrscheinlich schnell böse Blicke ernten. Da können die Schweizer nur neidisch ins Ausland schauen, denn in einigen Ländern ist so was tatsächlich erlaubt.
In Japan gibt es das fast schon berühmte Inemuri (居眠り). Das Wort ist eine Zusammensetzung aus den Begriffen „anwesend sein“ und „schlafen“. Damit gemeint ist ein kurzer Schlaf, den man nicht im Privaten, sondern in der Öffentlichkeit, also zum Beispiel im Zug oder bei Arbeit, hält.
Die Japanologin Brigitte Steger hat das Phänomen genauer untersucht und die Ergebnise in dem Buch „(Keine) Zeit zum schlafen“ zusammengefasst. Sie unterscheidet dabei zwischen drei verschiedenen Schlafkulturen. Die westlichen Industriestaaten führen einen Monosphasenschlaf, das heisst man schläft nur in der Nacht für etwa 8 Stunden. Die Siesta-Kultur hat eher kürzeren Schlaf in der Nacht, dafür ist häufig ein Mittagsschlaf üblich. Bei der in Japan verbreiteten Schlafkultur wird in der Nacht nicht sehr lange geschlafen, dafür macht man mehrere kurze Nickerchen am Tag.
So wird in Japan an fast jedem Ort zwischendurch geschlafen. Am Morgen schlafen die Arbeiter in der U-Bahn, die Studenten in der Vorlesung und der Chef während der Sitzung. Obwohl dies nicht verpönt ist, gibt es trotzdem gewisse Regeln die beachtet werden müssen. So sollte man nicht schnarchen und strubbelige Haare oder zerknitterte Kleider vermeiden. Im Unternehmen gelten die üblichen Hierarchien: Der Vorgesetzte darf gerne beim Vortrag der Angestellten die Augen eine Weile ausruhen, die umgekehrte Situation ist aber nicht zu empfehlen.
Die Gründe für dieses Schlafverhalten in Japan sind unterschiedlich. Das Bild des ständig arbeitenden Japaners ist zwar ein Klischee und womöglich auch stark übertrieben, trotzdem wird häufig berichtet, dass die gesetzlichen 40 Stunden pro Woche nicht immer von Unternehmen eingehalten werden. Die Schlafzeit wird zudem durch Freizeitaktivitäten und die langen Arbeitwege verkürzt. Auch kulturelle Gründe spielen eine grosse Rolle, so werden Kinder nicht an eine normale Schlafenszeit gewöhnt und Erschöpfung beim Arbeiten wird oft als Anzeichen für grossen Einsatz und Motivation verstanden.
Wer nun begeistert ist von der Idee des Schlafens in der Öffentlichkeit, kann hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Verschiedene Experten gehen davon aus, dass sich in einigen Jahren unsere Schlafkultur ändern wird und auch hier durch die Globalisierung kürzere Nachtschlafphasen und Nickerchen am Tag verbreitet sein werden.Wenn man nicht auf eine solche Entwicklung warten kann, muss man sich einen Job suchen, bei dem das Schlafen zwischendurch notwendig ist, etwa als Lastwagenführer für lange Distanzen.
Quelle: zeit.de, taz.de