Indien: andere Länder, andere Sitten

Von Katerwolf

wie gesagt, es gibt da noch mehr erinnerungen an meine zeit in indien

ich hatte mich mehr oder weniger auf meine 6-monatige reise nach indien vorbereitet. mehr oder weniger deshalb, weil in meinem kopf überwiegend erleuchtete wesen und blumengärten und maharadschatempel herumspukten. das war aber nicht schlimm, denn tatsächlich kann man sich nur schwer auf die konfrontation mit dieser drastisch anderen lebensweise, mit der bunten überfülltheit allerorts, mit dem geräuschpegel, den farben, dem geruch und der uns völlig fremden mentalität vorbereiten. indien überrollt einen wie ein psychedelischer tsunami. als ich nach gefühlten 100 stunden flugzeit um 3 uhr morgens völlig übernächtigt, gejetlagt und gemartert aus der holzklasse meines fliegers stieg und das flughafengebäude in delhi verließ, prallte ich gegen eine glutheiße wand aus hitze, krach und gestank. ich glaube, es waren etwa 5 millionen taxis und zwar autos, rikschas und mopeds, die uns flugreisende erwarteten. von den geschätzten 10 millionen verwandten, die ebenfalls warteten, abgesehen.

ich stieg zombieartig in eine motorisierte rikscha und fragte nach einem günstigen hotel. der rikschafahrer hatte natürlich einen cousin, der ein hotel hatte, sowas klappt immer. trotz meines völlig lädierten geisteszustands nahm ich wahr, dass auf der straße unzählige kühe herumlagen und geier herumsaßen. das hotelzimmer entpuppte sich als bretterverschlag mit pritsche und deckenventilator und kostete etwa 5 euro. für damalige verhältnisse perfekt. in den nächsten tagen ließ ich mich einfach treiben und erkundete delhi, was eine echte herausforderung ist . es war unglaublich heiß, voll, laut und über alle maßen faszinierend, was sich mir so an eindrücken bot. vor allem die menschen zogen mich in ihren bann: frauen in bunten saris und punjabi dress, männer in gewandartigen kleidern und turbanen auf dem kopf, jede menge rauschebärte aber auch genauso viele akurat gekleidete business menschen mit aktenkoffern, anzug und krawatte. und ein permanentes verkehrschaos. hupe ersetzt ampel, sage ich nur. ich bin gerne rikscha gefahren, man kommt relativ schnell voran und stärkt seinen mut unendlich, denn eine rikscha hat immer vorfahrt. ich vermute aber auch, dass grundsätzlich immer jeder vorfahrt hat. ich erinnere mich an eine fahrt, an der ich dringend einen bus erreichen musste. es war rushhour. der fahrer fuhr so halsbrecherisch, dass ich völlig steif in der rikscha saß und echte bedenken hatte, den busbahnhof lebend zu erreichen. es beruhigte mich auch keineswegs, dass der fahrer seine rikscha innen mit heiligenbildern tapeziert hatte und unentwegt vor sich hinsang:

„hare rama, hare krischna, rama rama, hare hare.“

als ich ihn fragte, warum er das tat, bekam ich in dem typischen indisch-englischem singsang zur antwort:

„madame, you neverrr know dirrrectly where you go. madame, maybe you live, maybe it happens you die. god only knows this. yes, madame. so it is always good, to prepare for you die, madame. you then dirrrectly go to god.“

wirklich sehr beruhigend. ich kam aber immer lebend am ziel an. war wohl gottes wille

es ist auch erstaunlich, wie viele menschen in eine kleine rikscha passen und um eine rikscha herum und auf eine rikscha drauf

eine erfahrung hat mich in den ersten tagen meines indienaufenthaltes besonders fasziniert. etwa am 3. tag nahm ich wahr, dass die straßen mit bettlern und obdachlosen, halbnackten menschen bevölkert war. es waren hunderte, tausende. waren sie vorher nicht da? sind sie über nacht plötzlich aufgetaucht? wohl kaum. wieso war mir das in den ersten tagen nicht aufgefallen? ich habe lange darüber nachgedacht. ich glaube, dass unsere wahrnehmung so etwas einfach überhaupt nicht kennt und daher erstmal ausblendet. nach einiger zeit passt sich die wahrnehmung an das fremde, neue an und der vorhang öffnet sich. vielleicht ist das eine art schutzmaßnahme des geistes. so sah ich auch erst nach einigen tagen überall prozeduren mit singenden menschen, die mit blumen geschmückte leichen auf bahren umhertrugen.

wer trägt bei uns schon seine verstorbenen verwandten mit blumen geschmückt singend durch die straßen? und halbnackte, unterernährte menschen, die abends zu tausenden die bürgersteige beziehen und dort essen, schlafen und leben, sieht man hier auch eher weniger.

auch das ist indien.

trotz all der widersprüche, die ich dort erlebt habe, verband mich binnen kürzester zeit eine große liebe mit dem land, die mich bis heute nicht losgelassen hat. ich bin damals sehr low buget gereist, mit rucksack und wenig geld. heute würde ich das land anders bereisen, das ist klar. aber gewisse dinge erlebt man vielleicht nur, wenn man einfach unterwegs ist. zum beispiel, dass man morgens die tür seines kleinen, ebenerdigen zimmerchens öffnet und auf der mauer gegenüber eine muntere affenschar hockt, die einen fröhlich anschaut. um dann wie eine wilde bande ins zimmer zu stürmen und mit bananen bewaffnet und diversen anderen dingen in den händen wieder an einem vorbei rauszustürmen und völlig schmerzfrei auf der mauer deine bananen zu futtern. und dich frech anzukucken.

oder riesige, schwarze skorpione unterm bett zu entdecken.

oder morgens mit einem wassereimer in richtung plumpsklo zu wandern und dabei von unzähligen augenpaaren verfolgt zu werden, die dir, wenn du wieder zurückkommst, forschend und intensiv ins gesicht schauen. ich vermute, sie wissen ganz genau wie groß der haufen war, den ich morgens gemacht habe. und vermutlich haben sie darüber diskutiert.

oder auf der straße mit den worten angesprochen zu werden:

„excuse me madame, I have a little question. are you happy, madame?“

und, am I happy? fragt man sich dann den rest des tages. ich glaube, ich habe mich seitdem nie mehr mit völlig fremden menschen darüber unterhalten, ob ich glücklich bin oder nicht und soviel private dinge irgendwo in einem großen, kantinenartigen restaurant mit zufälligen tischnachbarn ausgetauscht. ich erfuhr familienschicksale, ehedramen und wer mit wem verwandt ist in den weiten indiens, während ich kokosbällchen in rosensyrup in mich reinfutterte. ich glaube, ich habe auch nie mehr im leben so viele fotos mit wildfremden menschen mein eigen genannt, da es in indien offenbar völlig selbstverständlich ist, seine ganze familie dazuzustellen, wenn man von einem touristen gebeten wird, ein foto von einem zu machen

sowiet indien für heute es gibt 1000 gründe nach indien zu fahren. mir fallen zumindest so viele ein!


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