Index der Täter: Die ‚Blutige Brygida’ wurde sie genannt

In den Augen von Hildegard Lächert hatte das Leben ihr nicht das gegeben, was sie selbst von ihm erwartete. Die aus einfachsten Verhältnissen stammende Frau wurde 1920 in Berlin geboren und erlebte eine ‚normale’ Kindheit auf einem der Hinterhöfe der Hauptstadt. Wie Tausende andere Kinder ihrer Zeit wuchs sie eher unbeachtet in Armut auf, auch der Schulbesuch konnte ihr keine Erfolgserlebnisse einbringen, vielleicht unbedingt durch Mängel der Auffassungsgabe, aber eher wegen des eigenen Fleißes. Die jugendliche Hildegard Lächert wünschte ‚Geschenke’ des Lebens, Gegenleistungen dafür zu erbringen, wies sie eher zurück. Der gewünschte Ernährer fand sich für sie auch nicht, jedenfalls nicht aus der Kategorie der Solvenz wie sie sich das für sich selbst erwünschte und auch der Meinung war, Hildegard Lächert Täterin in Majdanekdass das ihr zustände. Eine eigene Berufstätigkeit nach der leidlich geschafften Volksschule strebte sie nicht unbedingt an, so hielt sie das Erlernen eines Berufs für sich selbst für weniger wichtig, denn wenn es schon sein musste, so hielt sie sich mit gelegentlichen Beschäftigungen über Wasser. Ein solches Verhalten entsprach aber so gar nicht dem nationalsozialistischen System in das Hildegard Lächert hineingewachsen war und da sie die ihr angebotenen Arbeitsstellen entweder nicht annahm, oder nur unzulänglich ausfüllte; so wurde sie zwangsverpflichtet einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen. Ihr wurde eine Ausbildung zur KZ-Aufseherin angeboten, die sie hätte ablehnen können, sie hätte in einer der Fabriken des Reichs leicht untergebracht werden können, denn nach Beginn den Zweiten Weltkriegs gab es einen Arbeitermangel, auch in der Landwirtschaft hätte sie arbeiten können, denn auch hier herrschte Arbeitskräftemangel. Auch eine Dienstverpflichtung in einem Konzentrationslager zu arbeiten wurde von den damaligen Behörden nicht zwangsweise durchgesetzt, Beispiele für Ablehnungen in ähnlichen Fällen gibt es genug, keine der Frauen und Männer, die eine solche Tätigkeit für sich ablehnten, geschah etwas unzumutbares. Doch Hildegard Lächert nahm die angebotene Stelle an und kam so im April 1942 zur ‚Ausbildung’ als KZ-Aufseherin in das Konzentrationslager Ravensbrück. Für Frauen standen die Lager Lichtenburg und Ravensbrück zur Ausbildung zur Verfügung, Männer ähnlicher Provenienz wurden entweder im Konzentrationslager Dachau oder in Lager in Sachsenhausen ausgebildet. Eine solche ‚Ausbildung’ dauerte in etwa drei Monate, mit ‚Rechtsbelehrungen’, ideologischen ‚Schulungen’ und der Einweisung in das System eines Konzentrationslagers, sowie der ‚Behandlung’ von Häftlingen; insbesondere dem Umgang mit jüdischen Gefangenen. Nach dieser ‚Ausbildung’ arbeiteten die Frauen meistens noch im Lager selbst, um von ihren Vorgesetzten beobachtet werden zu können, ob sie gemäß ihrer Ausbildung ‚korrekt’ arbeiteten, so auch Hildegard Lächert. Im Oktober 1942 wurde sie in das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek versetzt, um dort ihren Arbeitsdienst zu absolvieren.

Unklar ist, da die Personalakten nicht mehr vorhanden sind, warum Hildegard Lächert nie einen festen Verantwortungsbereich innehatte, sie wurde als ‚Springer’ innerhalb des Frauenkommandos in Majdanek eingesetzt und ist somit in vielen Bereichen des Lagers in ihrer Tätigkeit als Aufseherin eingesetzt worden, was sich auch in den späteren Zeugenaussagen der entsprechenden Prozesse widerspiegelt. Doch wo auch immer sie eingesetzt wurde, aus Sicht der Häftlinge wurde sie ihrem Spitznamen der ‚Blutige Brygida’ gerecht. Ihre ungezügelten und plötzlichen Wutausbrüche waren unter den Häftlingen gefürchtet. Helena Kurcusz, sie war jahrelang Opfer in Majdanek, überlebte als Architektin, die für den Bau von Wegen und Kanälen zuständig war, hat viel gesehen und nachdem sie Hildegard Lächert im Gerichtssaal des Majdanek-Prozesses erkannte, sagte sie unter anderem: „Sie ist immer erst zufrieden gewesen, wenn bei ihren Schlägen und Tritten, mit ihren eisenbeschlagenen Stiefeln, Blut floss. Ein weibliches Opfer sei von ihr blutig geschlagen worden, weil es sich gegen die Kälte Zeitungspapier unter das dünne Häftlingskleid gesteckt hatte.“ Sie war bei Selektionen aktiv, führte Opfer zur Vergasung, beteiligte sich an ‚Kinderaktionen’; wobei sie die Kinder mit Zuckerstücken auf Lastwagen gelockt haben soll, die zu den Gaskammern fuhren. Jeder kannte die ‚blutige Brigida’, jeder hatte Todesangst vor dieser damals ‚stattlichen jungen Frau’, deren Hände, Stiefel und Augen bis heute keiner der Überlebenden vergessen konnte. „Sie liebte Blut“, erinnerte sich eine Zeugin; eine andere sagte über sie mit zitternder Stimme: „Auf der ganzen Welt gab es keinen schlimmeren Menschen.“ Am 7. März 1978 gab Lore Schadur aus Tel Aviv zu Protokoll: „Sie war eine schlimme Frau. Die Peitsche war ihr in die Hand gewachsen.“ Das Führungszeugnis, das Lächert am 22. Juli 1943 von der Oberaufseherin Elsa Ehrich ausgestellt wurde, das in den Akten des Vernichtungslagers Auschwitz gefunden wurde, spricht davon, dass Lächert des Öfteren ‚besonders brutal aufgefallen’ sei und dass sie deshalb mehrfach dienstlich ermahnt werden musste. Die Zeugin Hela Rosenbaum sagte im Majdanek-Prozess über Hildegard Lächert: "Immer ist sie so auf einem hohen Platz gestanden, mit dem Pferd und mit dem Hund." Im gleichen Prozess bekundete Marilla Reich: „Der Hund war sehr gehorsam. Sie konnte es auf Menschen schicken und sie auf Stücke zerreißen." Während der Beaufsichtigung von Häftlingen des sogenannten ‚Scheissekommandos’, das die Latrinen im Feld V ausleeren musste, soll Lächert im Juli/August 1943 zwei griechische Jüdinnen bei der Leerung einer Grube von der Leiter in den Kot gestoßen haben. Beide ertranken, beziehungsweise erstickten. Diese Art zu töten soll bei ihr große Belustigung ausgelöst haben.

Beteiligt war Lächert auch an zwei ‚Kinderaktionen’, die im Rahmen der Räumung des Ghettos Bialystok stattfanden. Teilgenommen hatten SS-Angehörige beiderlei Geschlechts unter der Leitung des damaligen Ersten Lagerarztes Dr. Blancke. In den Nachmittagsstunden fuhren LKW vor den Baracken, in denen sich die Kinder aufhielten, vor. Die Opfer wurden auf die Ladeflächen der Fahrzeuge gebracht. Zunächst geschah das mit Hilfe von Süßigkeiten und Lebensmitteln, aber als die Zeit und die Geduld nicht mehr ausreichten, kam es zu erheblicher Gewalt gegen Kinder und begleitende Mütter. Es wurde getreten, gepeitscht und misshandelt. Mindestens 100, möglicherweise aber auch über 300 dieser Kinder im Alter von zehn bis 14 Jahren sollen an jenem Abend getötet worden sein.

Ende 1943 bewachten in Majdanek 19 Aufseherinnen mehr als 7000 weibliche KZ-Häftlinge. Zu ihren Aufgaben gehörten das Abhalten der täglichen Zählappelle, die Überwachung und Disziplinierung der weiblichen Häftlinge in den Arbeitskommandos sowie im Blockbereich. Sie führten auch die ‚Selektionen’ der weiblichen Häftlinge durch. In jedem Fall trugen die SS-Aufseherinnen durch ihren Beitrag objektiv zum Funktionieren des Konzentrations- und Vernichtungslagers in Lublin bei. Eine Studie weist nach, dass von den SS-Aufseherinnen häufiger und brutaler Gewalt ausgeübt wurde, als dies von ihnen verlangt wurde. Die vorhandenen Handlungsräume wurden allerdings von dem Wachpersonal durchaus unterschiedlich ausgeschöpft. In der Sprache der Häftlinge spiegelt sich deren in hohem Maße vom Verhalten der Aufseherinnen abhängige Lage wider. Während auf der einen Seite Aufseherinnen wegen ihrer Grausamkeiten und sadistischen Exzesse ‚blutige Brigida’, Hildegard Lächert;  und ‚Stute’ wie Hermine Braunsteiner genannt wurden, bezeichnete man relativ zurückhaltende Aufseherinnen im Häftlingsjargon auch als ‚Perlchen, so Hermine Brückner oder ‚Mutti’, wie Emilie Macha. Welche Faktoren den Ausschlag für das unterschiedliche Verhalten der KZ-Aufseherinnen im Umgang mit den Häftlingen gaben, wird allerdings in dem vorliegenden Werk nicht genauer untersucht, da es individualpsychologische, ethische und juristische Fragestellungen weitgehend ausklammert. Doch zeigt es eins, der eigene Ermessensspielraum des Aufsichtspersonals war auch an solchen Orten des Schreckens noch recht breitmaschig.

Aufgrund einer Schwangerschaft im August 1943 wurde Lächert aus dem Lagerdienst entlassen, der Vater des Kindes soll ein SS-Mann des Wachpersonals von Majdanek gewesen sein. Von April bis Juni 1944 war sie dann als Aufseherin in den Außenlagern Rajsko und Budy des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz tätig. Ab Januar 1945 war Lächert im Polizeilichen Durchgangslager Bozen tätig und blieb dort bis zur Auflösung des Lagers im April 1945.

Nachdem Hildegart Lächert bereits 1946 in Internierungshaft genommen wurde, stand sie beim Krakauer Auschwitz-Prozess vom 24. November 1947 bis zum 22. Dezember 1947 vor Gericht. Am 22. Dezember 1947 wurde sie zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, die sie bis zu ihrer Entlassung 1956 in Polen verbüßte. Danach wurde sie in die Bundesrepublik Deutschland entlassen. Hier arbeitete sie als ungelernte Hilfskraft in verschiedenen Betrieben und nach der Entbindung ihres zweiten nichtehelichen Kindes, arbeitete sie als Putzfrau in einem Bordell. Sie lebte außerhalb Heidelbergs und war dort in ihrer Umgebung recht wohl gelitten, bekannt war sie für ihre Hege und Pflege ihrer Meißener Porzellansammlung.

Hildegard Lächert war eine der Hauptangeklagten im Majdanek-Prozess, der sechs Jahre andauerte, und in dieser ganzen Zeit war nie ein Schuldeingeständnis von ihr zu hören, ganz im Gegenteil, sie sah sich als völlig zu unrecht angeklagt. Lächert wurde zwar attestiert, eine der brutalsten Aufseherinnen im Konzentrationslager gewesen zu sein, dies jedoch, indem sie Befehle ausgeführt habe, die ihr womöglich im Innersten widerstrebten. Das Düsseldorfer Schwurgericht bezeichnete sie vielmehr als ‚intellektuell minderbegabt, charakterlich labil, emotional und unfähig, mit den Häftlingen einigermaßen menschlich umzugehen’. Sie bestritt zum Beispiel während des Prozesses, dass sie den Spitznamen ‚Blutige Brygida’ getragen hatte, was sie vor dem Untersuchungsrichter noch zugegeben hatte. Sie stellte eine große Hildegard Lächert Majdanek ProzessZahl an Beweisanträgen, daß sie nicht die ‚Brygida’ gewesen sei, die Ergebnisse erbrachten jedoch jedes Mal das Gegenteil. Sie gab auch an, wegen des Verlustes ihrer Dienstpistole aus dem Dienst entlassen worden zu sein, andererseits hatte sie vorher immer behauptet, in Majdanek keine Waffe gehabt zu haben. So sagte sie: "Ich sprech‘ mich nicht frei, ich hab mich auch damals nicht frei, ich hab mich zur Schuld bekannt. Aber ich hab keinen umgebracht, und wegen mir ist keiner gestorben. Und dabei bleibe ich heute noch." Nach Ansicht von Prozessbeobachtern nagte aber das Geschehen trotzdem an ihr, nicht an ihrem Gewissen, wohl aber an ihrem Körper. Eine schwere Hautkrankheit quälte sie im weiteren Verlauf des Verfahrens und verschwand erst wieder nach seinem Ende. So äußerte sie sich der Presse gegenüber: "Ich war ein Jahr und zweieinhalb Monate dabei. Und dafür sitze ich jetzt schon über 16 Jahre. Die machen genau dasselbe wie bei uns passiert ist. Nur ein bisschen vornehmer." So vergleicht sie die damaligen Bedingungen im Konzentrationslager mit denen eines deutschen Gefängnisses der 70iger Jahre. Es ist nicht nur das völlige Fehlen von Schuldbewusstsein, sie empfindet es auch noch als ungerecht, überhaupt verurteilt zu werden und stellt sich und Hermine Braunsteiner gleich mit allen anderen Deutschen zu der Zeit. "Also, nun sehen Sie ja, daß auf uns das nur gerichtet ist, der ganze Prozess. Und daß wir beiden Frauen jetzt für die Sache der ganzen Nation, des ganzen Volkes tragen." Und weiter zu den Pressevertretern auf dem Gang vor dem Gericht, nach der Urteilsverkündung, zeigt sie völliges Unverständnis für ihre Verurteilung, so sagt sie: "Ich meine, wir haben doch nun versucht, nach dem Krieg, alles gut zu machen. Wir haben dem jüdischen Staat sehr viele Milliarden gegeben. Wir haben den Polen Millionen gegeben. Wir haben doch alle entschädigt, und haben doch auf diese Art und Weise versucht, es gut zu machen." Ihre Strafe musste sie nicht absitzen, denn die Jahre im Gefängnis in Polen und die Untersuchungshaft wurden ihr angerechnet.

Ende der 70iger Jahre wurde Hildegard Lächert von Gesinnungsfreunden der ‚Aktionsgemeinschaft Nationales Europa’ auf Platz 4 der Liste dieser rechtsradikalen Gruppe zur Europawahl gesetzt, ins Europaparlament schaffte sie es nicht. Bis zu ihrem Lebensende 1995 blieb sie unbehelligt und in ihrer Umgebung wohl gelitten.

Weiterlesen:

➼ Index der Täter • Die Blutspur des Arnold Strippel

➼ Majdanek • Hölle der Zwangsarbeit und Vernichtung

➼ Majdanek-Prozess • Schwierige Wahrheitsfindung in 6 Jahren

➼ Białystok • Auslöschung allen jüdischen Lebens

➼ Die Kinder von Białystok

Bild von Hildegard Lächert – Quelle: majdanek.com.pl · Hildegard Lächert im Majdanek-Prozess als Angeklagte – Quelle: fold.com 


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