In Griechenland breitet sich die Direktvermarktung landwirtschaftlicher Produkte aus
In Griechenland breitet sich die Direktvermarktung landwirtschaftlicher Produkte aus
Von Heike Schrader, Athen (junge Welt)
Bei 492,30 Euro netto im Monat muß mit jedem Cent gerechnet werden. Doch nicht nur die Hunderttausenden Bezieher des unlängst auf diesen Betrag gesenkten Mindestlohns beteiligen sich an der jüngsten »Widerstandsbewegung« in Griechenland. Was als »Kartoffelbewegung« begann, wurde bereits auf Olivenöl, Hülsenfrüchte und einheimischen Reis ausgedehnt, an der Einbeziehung der Osterlämmer wird gearbeitet.
Konkret geht es bei der im Februar entstandenen »Kartoffelbewegung« um die direkte Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte zwischen Produzenten und Konsumenten unter Umgehung der Zwischenhändler. Knapp einen Euro muß man normalerweise in Supermärkten oder Gemüseläden für ein Kilo einheimischer Erdäpfel bezahlen, wobei der Bauer davon gerade mal etwa 15 Cent erhält. Zudem zahlen die Großhändler meist in Form von erst Monate später einlösbaren Schecks.
Das geht auch anders, dachten sich einige Bauern in Nordgriechenland und boten ihre Kartoffeln über das Internet an. Bestellungen konnten elektronisch oder telefonisch aufgegeben werden, ausgeliefert wurde wenige Tage später im Zentrum der nordgriechischen Provinzstadt Katerini. Mehrere Tonnen Kartoffeln wanderten zum Preis von 25 Cent das Kilo von den Ladeflächen der Lastwagen in die Kofferräume von PKW.
Die Medien berichteten ausführlich, andere griffen die Idee auf, und heute kann man täglich an Dutzenden Stellen im Land diverse Agrarprodukte preiswert erstehen, wobei dem Bauern auch nach Abzug der Transportkosten netto mehr bleibt als beim Verkauf an den Großhändler. Am vergangenen Wochenende wurden auf diese Weise allein in der die Hauptstadt Athen einschließenden Provinz Attika mehr als 500 Tonnen Kartoffeln direkt vermarktet.
Für Erzeuger und Verbraucher steht dabei der finanzielle Vorteil im Vordergrund. Und selbst wer keine größeren Mengen Agrarprodukte kaufen möchte, für die es sich lohnt, den nicht unerheblichen Aufwand für die Entgegennahme der Bestellung zu betreiben, oder nicht über ein Auto verfügt, mit dem er die schweren Säcke transportieren könnte, profitiert von den Auswirkungen der Initiative. Verschiedene Supermärkte haben bereits die Preise der betroffenen Agrarprodukte gesenkt.
Kritiker verweisen dagegen auf die Gefahren. Ein Großbauer mit 20 Hektar Anbaufläche erzeugt jährlich etwa 700 Tonnen Kartoffeln, die ihm bei einem Gewinn von fünf Cent durch die Direktvermarktung 35000 Euro Einkommen bringen. Die Mehrzahl der Kleinbauern jedoch produziert höchstens 35 Tonnen Kartoffeln, mit denen er so nur 1750 Euro gewinnt. Sie sind auf die traditionelle Direktvermarktung auf den Wochenmärkten angewiesen, wo das Kilo Kartoffeln zwischen 50 und 60 Cent kostet. Durch die »Kartoffelbewegung« aber werden auch die Wochenmarktpreise unter Druck gesetzt.
Für die Kommunistische Partei Griechenlands, KKE, unterscheidet sich die Initiative nicht von den »Tricks der Supermärkte«, die mit Sonderangeboten ködern. Wenn die Medien die Kartoffelbewegung zum neuen Liebling erkoren hätten, dann ginge es ihnen dabei lediglich darum, »die Kleinbauern irrezuführen, sie von der Agrarbewegung, die den Bruch mit den Monopolen zum Ziel hat, zu entfremden«. Andere Teile der Linken betonen jedoch ihre Stärken. Die Kartoffelbewegung löse zwar nicht das Ernährungsproblem, heißt es in einer Stellungnahme der im Zuge der Krise entstandenen Bewegung »Ich bezahle nicht«, die sich für die Verweigerung von Sondersteuern, Straßengebühren und anderen den Menschen im Lande aufgezwungenen Zahlungen stark macht. Für die Basisbewegung liegt genau wie für die Linksallianz SYRIZA der entscheidende positive Faktor der Kartoffelbewegung aber darin, daß hier Strukturen der Selbstorganisierung geschaffen werden.
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