© Wilfried Hösl
Zu gebrochenen Bach-Reminiszenzen stellt sich uns Prometheus vor, tanzt um sein Leben unter einer mächtigen weißblauen Wolke / Sonne. Ein Energieball in den Farben Bayerns? Diese Konfrontation überlebt er nicht, er fällt und liegt wie tot da. Zwei Punkte leuchten in der Dunkelheit auf, zwei Lichter an seinen Handgelenken. Wiederbelebt von diesem inneren Feuer und Athena freuen sich beide über das Wunder, die flammenden Hände.
Die LEDs an den Hangelenken erinnern entfernt an Pompoms, zumindest werden sie ähnlich hektisch eingesetzt und geschwenkt. Ein Rautenförmiges Spiegelkabinett baut sich auf, die Menschen treten auf wie Zombies in Rockabilly-Gewand. Verzückt lassen sie sich „taufen“, empfangen das Licht, Wunder, Wunder der eigenen Hände Arbeit. Prometheus und Athena scheinen mit Licht schreiben zu können. „In dir muss brennen…“ Die Feuerspende erinnert an den Heiligen Geist, an eine Form der Erkenntnis. Wie Segel, wie Tautropfen spiegeln die Rauten das neu entfachte Feuer, brechen es, versetzen die Menschen in Verzückung und Erstaunen. Feuer ist Macht, eigenes Licht, in dem wir uns selbst spiegeln können. Schau mal, hab ich selbst gemacht. Diese Hände… ein schönes Spiel, eine tolle Idee, die sich leider nicht allein trägt. Irgendwann stört das licht- und somit handfixierte Völkchen, sie drehen sich nur noch um sich selbst. Ihre Bewegungen bringen die Handlung nicht mehr weiter, und warum klaut Epimetheus die Pandora…?
Der Tango zwischen Athena und Prometheus kulminiert in einem Kuss der Olympierin und des Titanen, der den Bruch des ohnehin ungleichen Paares einläutet. Sie tanzt nicht mehr in ihrem eigenen Licht, sie tanzt dagegen, die Arme abgewandt, weg, nur weg, nichts mehr damit zu tun haben müssen. Aber das Feuer, der Fortschritt, die Technisierung holen sie ein. Bis Epimetheus sie, begleitet von einem wohlwollenden Klavier, behutsam erlöst. Ein Schatten von Traurigkeit bei Athena, als es gelingt?
Was macht Prometheus zum Helden? Kohler zeigt an einem scheiternden Prometheus den schmalen Grad zwischen Held und Bösewicht auf. Held, Monster, beides? Wer sich auflehnt und gegen herrschende Systeme rebelliert kann – und darf – nicht gewinnen. Der Krieg der Götter gegen Götter erzählt von nichts anderem als einem Austauschen des Herrschers. Das System selbst bleibt gleich. Wie lässt sich das mit unserem Verständis von Gerechtigkeit vereinbaren, von Demokratie? Wir brauchen den Helden, auch wenn er fallen kann. Sonst haben wir keine Chance auf Veränderung.
© Wilfried Hösl
Kohlers Choreografie ist voller Zweifel, Brüche, Stürze, Unsicherheiten. Seine Ballettsprache entfaltet er im zweiten Akt gekonnt, Requisit N°1: der Apfel – wahlweise ein Bild für die Natur, Apple, den Sündenfall, Troja… gar Kritik am Kapitalismus. Aus dem anfänglichen „Zankapfel“ wird ein „Tanzapfel“ als verbindendes Element eines Pas de Deux – beide beißen in den Apfel. Neue Paare kommen hinzu, Uneinigkeit gefolgt von Einklang – man findet eine Lösung, es sind genug Äpfel für alle da, sie rollen in Massen auf die Bühne, alle sind glücklich. Jeder will einen haben, nein, zwei. Wo man gerade schon mal da ist, so ein Vorrat kann nie schaden… Dass die Freude zweifelhaft und nicht „rein“, sondern skurril gebrochen ist, zeigt nur die Musik. Die Tänzer bilden Apfelbäume, ein wunderschönes Bild. Die Situation mündet in einem sich selbst überholendem Marsch, die Äpfel werden bis zum letzten gepflückt und leere Bäume, Tänzer, bleiben zurück. Der Apfeltanz ist ohne Apfel nicht mehr dasselbe, Baumsterben die Folge.
Ein 2. Vorhang geht hoch, auf der Bühne drei Strommasten in Tannenbaummanier zu UFO-Musik. Wlademir Faccioni als Epimetheus versucht, Mai Kono als Pandora für sich zu gewinnen. Wieder der Apfel, dann Auftritt des Prometheus in dunkler Computerchipoptik. Athena und er scheinen sich als Diktatorenduo zu offenbaren, zu fast maschineller Musik dirigieren sie mit ihren Handlichtern die Menschen-Marionetten, Gefangene des Lichts und trunken von ihm. Pandora zieht es auch zum Licht, nur Epimetheus sträubt sich, versucht, seine Tanzpartnerin mit dem Apfel zurückzuholen, was misslingt. Er wird zum verzweifelten Wirbelwind, wälzt sich auf dem Boden wie ein Schlafloser – bis Athena erneut an ihrem Licht zu Grunde zu gehen droht. Das gleiche Duett, der gleiche Effekt, und dieses Mal hat Prometheus gemerkt, dass Athena sich „ausgeschaltet“ hat aus seinem Lichtkreislauf. Es kommt zum Streit und einem für ein bisher wortloses Ballett unerwarteten aber passenden Wortgefecht, bei dem sich die Tänzer in ihrer jeweiligen Muttersprache beschimpfen.
© Charles Tandy
Der Dritte Akt zeigt eine wie ein Herz pulsierende Athena, der Vorhang fährt ganz langsam hoch um ein das Szenario überwölkendes Kubuskonstrukt langsam zu enthüllen, einen Zorneshimmel. Wie Statuen reckt sich das Ensemble langsam tanzend, flehend, verlangend, bittend nach den Sternen, der Himmel senk und senkt sich – wie ständig dräuende Gewitterwolken, die Ruhe vor dem Sturm. Die erdrückende Schwüle ist fast greifbar. Alle Augen himmelwärts, Epimetheus inmitten von ihnen, sucht Pandora, doch das Unglück ist schon geschehen. Die Menschen aus dem ersten Akt sind zunehmend auf ihren bloßen Körper reduziert worden, jeder kann nur noch entfremdet für sich selbst tanzen. Prometheus überkommt eine Tanzattacke, ein Anfall wie zu Anfang, aber die Menschenlichter tanzen nicht mehr nach seinem Willen. Während Athena nicht mehr „brennt“ und ihm so nicht helfen kann sind sie wie Motten gefangen. Ein gewaltsamer Pas de Deux, die Männer bekriegen sich. Athena will vermitteln und scheitert, Prometheus durchbohrt Epimetheus mithilfe seines brennenden Armes. Auf sich gestellt erkennt der Feuerbringer, dass seine Gabe auch Fluch war, todbringend sein kann. Der Himmel hat sich wie ein Blitz herabgesenkt und trifft Prometheus. Damit hat sich das Gewitter hat verzogen, der Spuk ist vorbei.
Athena bleibt übrig, Urlaute durchströmen sie, andere stimmen langsam in das kultische Wiegen des Körpers ein, Wiederholung, Beschleunigung, Wellenbewegung. Zu heroischem Glockenklang forme sich der neue Mensch! Ein Frühlingsopfer? Alle wirken erlöst, verschnaufen, sitzen, verlassen die Bühne. Athena allein erwartet die Rückkehr der blauweisen Sonne / Wolke – im Gegensatz zum wirbelnden Prometheus greift sie verspielt lockend und langsam danach, wird nicht erdrückt, die Sonne senkt sich, ein Tanz vor dem changierendem Ball aus Licht – gezähmte Technologie?
Dieses Stück zu erzählen war nicht leicht, Kohler meistert es mit genialen Kniffen und Bewegungsformen, hat keine Scheu vor Längen und bleibt seinem Stil treu. Das bisher vielversprechendste Stück des 28-Jährigen entwickelt einen komplexen Stoff weiter und liefert eine tänzerische Perspektive, die ihresgleichen sucht. Wenn Handlungsballett, bitte so!
Besuchte Vorstellung: 31.05.2013, weitere Vorstellungen 01.06. (mit Livestream auf http://www.staatsoper.de/tv), 07.07., 22./25.02., 13./21.03, 11.04.2014, jeweils 19:30 Uhr