Von Stefan Sasse
Derzeit stecken die Regierungen dieser Welt praktisch alle in derselben Sackgasse.
Überall knirscht und kracht es im Gebälk der Finanzsysteme, wie sie auch beschaffen sein mögen, aber sie sind nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun. Dabei macht es kaum einen Unterschied, ob das Cameron in Großbritannien, Obama in den USA, Merkel in Deutschland, Sarkozy in Frankreich oder Berlusconi in Italien ist. Sie alle sehen sich dem gleichen Problem gegenüber. Manche können immerhin den mildernden Umstand in Anspruch nehmen, dass sie das Problem überhaupt als solches erkennen. Die meisten führen derzeit Schattengefechte durch und versuchen etwa, Inflation zu verhindern und "das Vertrauen der Finanzmärkte zu gewinnen", als ob das irgendetwas mit der Realität zu tun hätte. Ursache hierfür ist das fatale Verrennen in die angebotsorientierte Monetarismustheorie in den letzten 20 Dekaden und die völlige Ausblendung von Alternativen. Schlimmer noch, man folgte lediglich einer Vulgärversion des radikalen Neoliberalismus Friedman'scher Prägung.
Hätte man seine Vision unverwässert umgesetzt, wären wir heute zwar wahrscheinlich trotzdem arm und deutlich unter den ökonomischen Möglichkeiten, aber die aktuelle Banken- und Finanzkrise hätte so wahrscheinlich nicht stattgefunden. Der Nachtwächterstaat aus den feuchten Träumen echter Neoliberaler hält sich schließlich überall heraus, ob aus der sozialen Absicherung oder aus der von Banken. Der Vulgärmonetarismus, der seiner statt betrieben wurde, tat nur Ersteres. Der Staat zeigte der überwiegenden Mehrheit die kalte Schulter und päppelte die Reichen, ständig unter dem Argument, dass das, irgendwie, irgendwann, schon auch der breiten Masse zugute kommen würde. Auf die Einlösung dieses Versprechens warten wir noch heute, mehr als 30 Jahre seit Beginn der neoliberalen Revolution. Zum Vergleich: als Roosevelt 1933 dem damals neuen Keynesianismus fogte, waren die Früchte nur fünf Jahre später bereits zu ernten und brachten eine mehrere Dekaden umfassende Phase von Wohlstand und Wachstum.
Trotzdem hatten sich, spätestens seit dem Schwenk der europäischen sozialdemokratischen Parteien 1997 bis 2003, fast alle politischen Parteien diesem Vulgärliberalismus an die Brust geworfen, die Reichen gepäppelt, die breite Masse geschröpft und sich dann ehrlich überrascht gezeigt, als die Rechnung nicht aufging. Nun, für sich nicht aufging. Für die anvisierte Zielgruppe der Reichen und Superreichen hatte es sich sehr wohl gelohnt, aber das wird niemand ernstlich bestreiten wollen. Man hatte diese Art der Politik erst für modern, dann für sozial, dann für alternativlos erklärt. Heute sind wir, ganz alternativlos, in der Sackgasse gelandet. Denn noch mehr Steuerkürzungen für Reiche, noch mehr Deregulierung für Banken und Hedgefonds, noch mehr Kürzungen bei der breiten Masse sind zwar vielleicht noch möglich, aber kaum mehr durchsetzbar. Die Erhaltung des aktuellen status quo ist an die Stelle der früheren Kampf-Agenda gerückt. Nicht umsonst lautet der lachhafte Schwur der republikanischen Abgeordneten nicht die Steuern zu senken, sondern sie nicht zu erhöhen.
Obwohl diese Sackgasse, aus der kein Weg nach vorne führt, völlig offensichtlich ist, rennen die Staaten der Welt mit gesenktem Kopf gegen die Mauer. Die Reaktion auf den resultierenden Schmerz und die Verletzungen ist es, das nächste Mal härter zuzustoßen - irgendwann muss die Mauer ja brechen. Das aber wird sie nicht. Da jedoch mit wenigen Ausnahmen (in Deutschland etwa die LINKE) alle diese Politik mitgemacht haben, hauen sie, um den Fehler nicht eingestehen zu müssen, ihren Kopf weiter kräftig an die Wand. Das politische Narrativ eines "schuldensüchtigen" Staates, der alleine verantwortlich für die Misere ist, hat sich wie ein Krebsgeschwür festgefressen. Es ist, als habe es nie eine Immobilienblase gegeben, niemals Subprime-Kredite und einen Totalausfall von Lehmann Brothers und AIG.
Es ist das Narrativ des politischen Gegners, das sich einen riesigen, schwerwiegenden Einfluss erarbeitet hat. Ein anderes gibt es nicht, denn Opposition und Regierung haben sich ihm in trauter Einigkeit verschrieben, anstatt über Alternativen nachzudenken. Mahner wie Krugman oder Flassbeck sind Rufer in der Wüste. Das Spektakel um den Rücktritt Starks als Chefökonom der EZB, der eigentlich hätte bejubelt werden müssen, spricht Bände dafür, die Bestellung von Asmussen als Nachfolger ebenso. Wir können froh sein, dass Axel Weber zuvor bereits das Handtuch geworfen hat, denn wie es aussieht, wird der Draghi Asmussen nicht den Rang einräumen, den Stark vor ihm hatte. Je weniger Einfluss die deutschen Stabilitätsbetonköpfe auf die europäische Finanzpolitik nehmen können, desto besser.
Immerhin, derzeit lassen sich sachte Absetzbewegungen ausmachen. Besonders die SPD scheint in Lauerstellung zu sein und lässt einen Testballon nach dem anderen starten. Wie es aussieht, wird ihr die Öffentlichkeit den Stunt abnehmen, sich gegen die Politik in Szene zu setzen die sie selbst geschaffen hat. Ich hätte ehrlich gesagt nie gedacht, dass die SPD jemals mit ihrem Versuch Erfolg haben würde, der CDU den Rang bei Wirtschafts- und Finanzkompetenz abzulaufen. Man muss den Genossen allerdings clevere Politstrategie attestieren: Steinbrück als Aushängeschild, konstante, prinzipienfeste und Europa-freundliche Kritik an Merkel und Schäuble von ihm und Steinmeier und die ständige staatstragende "Wir sind bereit" Rhetorik könnten sich auszahlen, wenn die Koalition über die Euro-Krise doch noch zerbricht oder aber sich so bis zum Wahltag weiter zieht. Uns wird dann kaum etwas anderes Vernünftiges übrig bleiben als mit den Zähnen zu knirschen, die SPD-Propaganda von "wir haben es schon immer gewusst" zu schlucken und uns wenigstens über die kleinen Erfolge zu freuen.