In der Ruhe läg die Kraft

Von Robertodelapuente @adsinistram
Warum nur... warum? Vieles spräche dafür, dass auch in diesem Lande endlich die Unzufriedenheit die Schuhe schnürte, um auf dem Asphalt zu demonstrieren, der so unromantisch Straße heißt. Das muß doch möglich sein! Gibt es denn nicht genug Steine des Anstoßes, ja Felsbrocken der Anstößigkeiten? Sind die mehr und mehr aus den geschäftlichen Interessen erwachsenen Spielregeln unserer Gesellschaft nicht anstössig genug? Mensch, es hat doch schon mal friedlich geklappt! Schon mal kippten Massenkundgebungen einen gesamten Gesellschaftsentwurf! Woran hapert es denn jetzt?
Ausgeruht in den Umsturz

Vielleicht ist es doch so, dass die Menschen, die 1989 den Weg der asphaltierten Öffentlichkeit suchten, genug Kraft aufbrachten, um sich neben ihren beruflichen Leben noch politisch, mindestens aber gesellschaftskritisch zu betätigen. Das Berufsleben war, ohne dass man dem homo de-de-er-icus Faulheit nachsagen darf, weitaus weniger stressig aufgetürmt, wie es heute der Fall in diesem Lande ist. Auch im Osten mühte man sich, schwitzte man, stöhnte es sich angestrengt - der körperlichen Arbeit war genug anwesend. Nur deckte man die Arbeiter und Angestellten nicht vollends ein mit all den Nebenschauplätzen, die die heutige westliche Arbeitswelt zu einer Hölle machen. Das Antreiben zu Höchstleistungen und Normen, die niemand schaffen konnte, dürfte mit dem Jahr 1953 ohnehin unterlassen worden sein - aber auch all die Grabenkämpfe, die Angst vor Arbeitsplatzverlust, das sichere Auskommen, die Abwesenheit eines Klimas, in der einzig und ausschließlich der Profit zählt, die fehlende Zahlenarithmetik unternehmerischer Zuchtmeister, die jeden Handgriff im Geldwert umrechnen...
Neulich, Gespräch mit einem Freund, der es empirisch wissen muß. Dass die Menschen ausgeruht aus der Arbeit kamen, ausgeruht in Anführungsstrichen, meinte er, das habe bewirkt, dass sie die Kraft hatten, ihre Unzufriedenheit zu Markte zu tragen. Leider haben sie das wirklich, zu Markte getragen - recht frei, sodass sie gleich zu freiem Markte landeten und nicht selten böse erwachten. Es klingt zu einfach, und vermutlich ist auch dieser Umstand nur ein Faktor vieler verschiedener Indikatoren, die im Zusammenspiel das ergaben, was wir friedliche Revolution nennen, wenn wir gerade wieder pathetischen Selbstbeweihräucherungen nachgehen. Aber im Vergleich zum Jetzt, zum Hier, zu einer Gesellschaft, die sich strikt durch ihre Arbeitswelt definiert, die Beruf und Erwerb für zentrale Bausteine selbst der Unterhaltungsindustrie erachtet, scheint die These doch Berechtigung zu finden.
Bevor der berechtigte Einwand kommt: natürlich waren das keine paradiesischen Zustände dortmals. Aber ausgeblutet, geschächtet geradezu, wurde die Arbeitskraft eben auch nicht. Man erfüllte sein Soll, war aber nicht dauernd in der Angst, ein zu früh erbrachtes Soll würde zur Erhöhung ebendieses Solls führen. Dieses Immer-noch-mehr-fordern, dieses Effektivieren jeglichen Handstrichs, das erlaubte einen entspannten Umgang mit Arbeit.
Der Knecht auf Arbeit
Dieses Land hat nicht die längsten Arbeitszeiten Europas, aber der Druck am Arbeitsmarkt, vielleicht flankiert von einer Mentalität, die durch In-sich-hineinfressen und bis zur Depression neigenden Ernsthaftigkeit zur Geltung kommt, entkräftet diese relativ gekürzten Arbeitszeiten. Dass in der Kürze Würze liegt, trifft hier zu. Man arbeitet weniger als in der DDR, man arbeitet auch technologisierter als dazumal; was einst Hände taten, verrichten jetzt Maschinen und Computer und beides in Kombination - aber das Berufsleben ist nicht einfacher, nicht ruhiger geworden. In Firmen waltet der Profitismus, den man täglich zu spüren bekommt. Die Arbeitslosigkeit und die industrielle Reservearmee sitzen im Nacken und die Arbeitgeber machen sich die dadurch entstandenen Ängste zunutze. Man schaukelt den Angestellten Zahlen vor, die belegen, dass man zwar gut sei, aber noch nicht gut genug - Zufriedenheit, sich einfach mal zurücklehnen, ist in der hiesigen Arbeitswelt undenkbar. Alles kreist um das Erwerbsleben; Glück wird mit Arbeitsplatz synonym. Und der Verlust desselbigen ist auch der Verlust der Lebensfreude - verliert die einer in diesem Falle nicht, forscht man nach, weshalb da jemand nicht gebrochen ist; ganz normal ist das ja nicht, nicht wahr!
Habe ich morgen noch Arbeit? Was, wenn ich lange erkranke - komplimentiert man mich dann hinaus? Und meine Leistungszulage, erreiche ich die, wenn meine Kollegen nicht schnell genug schrauben, hämmern, Dokumente abheften? Man liest Arbeitsmarktspezifika, man lauscht Berufsneuigkeiten, man glotzt Erwerbslebens- und Wirtschaftsnews. Sicher, die Arbeit ist ein Teil des Lebens hinnieden? Aber ausschließlich? Arbeit unsere auf Erden, geheiligt werde dein Name? Das Recht auf Arbeit, aber das wusste schon Lafargue, befreit nicht - jedenfalls dann nicht, wenn Arbeit geheiligt, einziger Sinnerfüller wird - siehe hierzu "Auf die faule Haut". Ein so ausgelegtes Recht macht den Knecht...
Erschöpfung als Sedativum
In einem solchen Klima gedeiht der Mensch zum Geschäftsmann seiner selbst, zum Sachwalter seiner Arbeitskraft. Für Gedankengänge, die ihn mit seiner Unzufriedenheit bekanntmachten, die ihm Fehlentwicklungen, zu denen die absolutistische Arbeitsmoral ja auch gehört, vor Augen führten, ist vielleicht ausreichend Zeit vorhanden, nicht jedoch Kraft. Er erschöpft sich in seiner ihn erschöpfenden Welt. Im oberflächlichen Gespräch gibt er zu, dass es Fehler im System gibt, aber er sei zu müde, um darüber nachzusinnen. Sediert von seiner Arbeit und den Brandherden, die man um sie herum entzündet, narkotisiert davon, seiner Arbeit nicht mehr gerecht zu werden, somit seinem Arbeitgeber nicht mehr gerecht zu werden, lähmt ihn alleine dieser Bereich seines Lebens für andere Aktivitäten, die nichts mit Regeneration und Erholung seiner Arbeitskraft zu tun haben. Wohlgemerkt seiner Arbeitskraft, der Kraft, die er in Arbeit steckt, denn all seine Kraft verspritzt er in seine Arbeit - unausgeruht und ermattet, innerlich instabil und verunsichert fehlt es ihm an Schwung. Etwas wie 1989 ist in einem solchen Klima, in dem die tägliche Arbeit mit Stressoren und Sorgenherden behängt wird, nicht denkbar.
Arbeit dient der kapitalistischen Gesellschaft als Betäubungsmittel. Zwar wachsen die Heere der Arbeitslosen offen und verdeckt, wenn man sie hinter Scheinarbeits- und Niedriglohnverhältnissen verschanzt, aber das gibt der Unzufriedenheit keine Kraft. Denn auch die Arbeitslosigkeit steckt im narkotisierten Schlaf; auch der Arbeitslose grämt sich, ängstigt sich, erliegt dem Druck einer Arbeitswelt, die immer schneller, brutaler und marktkonformer, heißt: menschenabgewandter wird. Seine Integration in Arbeit ist es, was ihm Kraft rauben soll - die Stigmatisierung seiner Erwerbslosigkeit, die Verhöhnung seiner Existenz als Ballast, nimmt ihm die Energie, seiner Unzufriedenheit eine Stossrichtung zu verleihen, die über sein eigenes Dasein hinausgeht.
In der Ruhe läge die Kraft
Der Treppenwitz dieser Geschichte ist, dass es dem Menschen gelungen ist, die meiste körperlich schwere Arbeit auf Maschinen abzuwälzen, die ihn entlasten sollen und können, dass aber gleichzeitig der Stress und die Belastung innerhalb der Arbeitswelt viel größer zu sein scheinen, als in Zeiten, da es solcherlei Abnehmer schwerer Tätigkeiten noch nicht gab. Körperlich war man ausgesaugt, die Beine waren schwer - aber geistig war man nicht völlig durch einen in alle Nischen hineindampfenden Arbeitsfetisch ausgebrannt. In dieser Ruhe läge die Kraft - aber die Meldungen, die man täglich forciert und dramatisiert, sie lähmen, sie sollen die ganze Kraft der Menschen in Arbeit kanalisieren, damit nie wieder, nie wieder, nie wieder passiert, was einst geschah: der Sturz eines Gesellschaftsentwurfes...
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