Grummelnd verschwand ich mit dem ersten Patienten in einem der Untersuchungszimmer. Dabei schloss ich nachdrücklich die Tür. Willi hatte mir gerade noch gefehlt. Ich teilte auch Gashahns Einschätzung nicht, dass Willi in der Ambulanz keinen Schaden anrichten könne. Nur mit Mühe konnte ich mich auf den ersten Patienten konzentrieren.
“Herr Schmidt…”, sagte ich mit einem gekünstelten Lächeln. “Was machen wir denn bei Ihnen?” Das wusste ich natürlich schon, aber ich lasse es die Patienten einfach gerne selbst sagen.
“Galle muss raus.”, erwiderte Herr Schmidt knapp.
“Aha.” Ein kurzer Blick in die Akte hatte mir schon verraten, dass Herr Schmidt zwar etwas übergewichtig war (ok, für die Info hätte es keiner Akte benötigt) und etwa 30 Zigaretten pro Tag rauchte, aber sonst eigentlich ganz gesund war. Also ein kurz abzuhandelnder Fall.
“Sind Sie schon mal operiert worden?”, fragte ich.
“Nein, das ist das erste Mal!”, entgegnete Herr Schmidt etwas unsicher. Ein paar Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn.
“Nun, dann erzähle ich Ihnen mal, wie das so abläuft..:”, begann ich.
“Ich will aber nicht das Zeug haben, das Michael Jackson umgebracht hat!”, rief er sogleich dazwischen.
Ich seufzte. Nicht schon wieder. Wie oft hatte ich diesen Satz in den letzten Monaten schon gehört? Und seit dem Conrad Murray Trial ist es nochmals schlimmer geworden.
“Wieso nicht?”, fragte ich ihn also.
“Ich will nicht sterben!”, kreischte er mit einer für ihn viel zu hohen Stimme.
“Michael Jackson wäre auch nicht gestorben, wenn sich das Propofol und er Hand eines Anästhesisten befunden hätte und die ganze Aktion nicht in seinem Schlafzimmer angesiedelt gewesen wäre.” Herr Schmidt sah mich irritiert an. “Gucken Sie mal…”, fuhr ich fort. “Für diese Art von OP brauchen Sie einen Beatmungsschlauch. Und die Operateure brauchen, dass Sie still halten. Deshalb übernehmen wir das mit dem Atmen für Sie. Gehört zum Service. Dafür müssen Sie selbst aber mal mit dem Atmen aufhören, sonst können wir Ihnen den Beatmungsschlauch nicht in den Hals schieben. Und dafür brauchen wir das Propofol – neben anderen Medikamenten. Sie sehen, ist also alles so, wie es sein sollte.”
Herr Schmidt sah an die Decke. Er schien angestrengt zu überlegen. “Können Sie garantieren, dass das mit dem Beatmen klappt?”. fragte er schließlich.
“Gute Frage!”, rief ich ein wenig zu enthusiastisch. “Nein, das kann ich natürlich nicht, aber für gewöhnlich gelingt uns das immer irgendwie.” Der Blick, den er mir daraufhin zuwarf, erinnerte mich irgendwie an den eines Rehs, das im Scheinwerferlicht gefangen ist, während es die Katastrophe unweigerlich auf sich zurollen sieht. Es gab also noch Erklärungsbedarf. “Also… das ist so. Sie schlafen ein. Dann drücke ich Ihnen eine Maske aufs Gesicht und versuche, Sie zu beatmen. wenn mir das gut gelingt, dann bekommen Sie ein Mittel, das ihre Muskulatur erschlaffen lässt. Dann können Sie nicht mal selber Atmen, wenn Sie es wollten.”
“Und wenn Ihnen das mit der Maske nicht gelingt?” Herr Schmidts Gesichtsausdruck hatte jetzt mehr was von einem panischen Kaninchen. Passte gar nicht so zu dem großen und kräftigen Kerl.
“Naja, dann bekommen sie kein Muskelrelaxanz. Dann haben Sie zumindest die Chance, noch mal aufzuwachen und selbst zu atmen… Vorher haben wir Sie ja schon eine hohe Konzentration Sauerstoff atmen lassen, damit waschen wir den Stickstoff aus ihrer Lunge und haben dann viel mehr Zeit, als wenn Sie, so wie Michael Jackson, vorher nur Raumluft geatmet haben.”
“Wie viel mehr Zeit?”, fragte er jetzt, mehr so asthmatisch klingend.
“Etwa acht Minuten.”, sagte ich, korrigierte mich aber sogleich nach einem Blick auf seinen imposanten Bauch: “Vier Minuten vielleicht in Ihrem Fall.”
“Und wenn Sie es auch in vier Minuten nicht schaffen und ich nicht selber wieder atme?”
“Dann versuche es mal mit einer Kehlkopfmaske. Das geht dann oft.”
“Und wenn nicht?” Seine Gesichtsfarbe hatte von blass auf blass mit hektischen roten Flecken gewechselt.
“Dann versuche ich einfach mal zu intubieren.”, erklärte ich ihm mit meinem freundlich antrainierten Lächeln.
“Und wenn das auch nicht geht?” Der Kerl ist aber auch impertinent.
“Dann haben wir eine klassische cannot ventilate – cannot intubate Situation. Das ist der Moment, in dem ich mal nach Hilfe rufen würde.”
“Wie beruhigend!”, rief er aus.
“Nicht wahr?”
“Und was machen Sie zwei beiden dann?”
“Och, dann darf jeder mal versuchen… mit einem Führungsstab, mit dem Videolaryngoskop, mit dem Bronchoskop…”
“Und wenn das auch nicht geht?”, keuchte er.
“Dann macht ihnen der Ranghöchste einen Schlitz in den Hals. Aber keine Sorge, das bin sicher nicht ich.”, erklärte ich ihm, weiterhin freundlich-zugewandt.
Herr Schmidt klammerte sich nun an der Tischkante fest.
“Muss das sein, das mit der OP?”, fragte er mit gepresster Stimme.
“Ja.”, erwiderte ich trocken. “Hier bitte unterschreiben.”
Nach weiteren zehn Minuten der Diskussion unterschrieb Herr Schmidt schließlich mit zitternder Hand. Zufrieden schob ich ihn aus dem Untersuchungszimmer. Die Tür zum Zimmer daneben war nur angelehnt. Zu meinem Entsetzten hörte ich darin eine bekannte und sehr laute Stimme. “… Und dann rammen wir eine sehr große Nadel in ihr Rückenmark und schieben da einen Schlauch drüber, der…” Ich riss die Tür auf. In dem Zimmer saßen eine sehr verängstigt aussehende Frau und – natürlich Willi.
“Willi! Du grenzdebiler Schrecken der Menschheit, Was TUST DU???, schrie ich in das Zimmer hinein.
Der Tag fing echt gut an.