In der Natur des Marktes

Neulich wieder ein Gespräch geführt mit jemanden. Weniger ein Gespräch, mehr so zugehört, was er stammelte. Bisschen Widerstand geleistet, es dann aufgegeben. Brachte nichts. Säue tragen keine Perlen. Zugehört also, gelauscht, wie er meinte, dass der Markt zuerst war, bevor der Staat kam. Sinngemäß etwa so: Am Anfang schuf Gott den Menschen. Und der Mensch war wüst und finster. Und Gott sprach: Es werde Markt. Und Gott sah, dass der Markt gut war. Dann übersprang er die Schöpfungsgeschichte, holperte zur Vertreibung. Er sagte weiter: Weil du auf die Stimme des Marktes nicht gehört hast und den Staat gegründet hast, von dem ich dir geboten habe: Du sollst ihn nicht gründen! - so sei der Erdboden verflucht. Im Schweiße deines Angesichts sollst du deine Steuern zahlen, dich vom Staat knechten, unterdrücken und ausbeuten lassen. Denn Markt bist du, und zum Markt wirst du zurückkehren. Er hat es vielleicht doch weniger theatralisch formuliert. Mir war aber so, als hätte er es genau so gesagt. Quintessenz: Erst Mensch, dann Markt und später erst kam der Staat.

Kurzum, er sprach von einem Naturzustand, aus dem der Mensch ausbrach. Die gute Natur des Marktes hat der Mensch umgepflügt, hat sie mit künstlichen Bedingungen ausgestattet und wundert sich nun, dass er nicht gesund und natürlich leben kann. Der Typ war ein bisschen irre, man hat es gesehen, er ließ dauernd seine Pupillen kreisen und kippelte nervös mit dem Kopf. Nicht nur deswegen fand ich seine These heiter, sondern auch, weil sie so plump und durchsichtig war. Wie ein Kind, das unaufgefordert und ungefragt zur Mutter läuft und bestätigt, es habe nichts Verbotenes getan, wäre nicht am Süßigkeitenschrank gewesen.
Die gute Natur ist doch ein Kalauer traumverlorener Romantiker. Wenn wir schon vom allgemeinen Lob auf natürliche Lebensformen sprechen: Der edle Wilde und die verlorene Natur, das sind doch lediglich fromme Herzenswünsche, lustige Halluzinationen. Thoreau war eine Weile so ein romantischer Naturbursche, bis er am Mount Ktaadn die Kargheit und die Ödnis dieser natürlichen und urwüchsigen Landschaft am eigenen Leibe spürte. Danach fühlte er sich von der Natur verstoßen, sich in ihr fremd und auf sich alleine gestellt. Die wundersame Einheit zwischen Mensch und Natur erschien ihm jetzt realitätsfern. Es wurde ihm klar, dass er kein Stück Natur in der Natur ist. Wer schon schlecht ausgerüstet durch einen morastigen Wald stapfte, der ahnt die Gemütlichkeit, die der Naturzustand sein kann. Der Einbruch in die Natur, ich rede nicht von ihrer Zerstörung und Ausbeutung, die Schaffung von künstlichen Lebensräumen, das Nebeneinander von Natürlichkeit und Künstlichkeit macht den Reiz hienieden aus - und ist das künstlich natürliche Lebensumfeld des Menschen.
Überhaupt ein seltsames Denken. Erst war der Markt, dann der Staat. Wie hat denn dieser Markt ausgesehen? Ich stelle ihn mir so vor, dass Menschen untereinander handelten. Wenn man den Tausch von Steinen, die aussahen wie Pfeilspitzen gegen Steine, die aussahen wie Hämmer, überhaupt als Markt bezeichnen kann. Alleine dass man bei einem archaischen Tauschhandel schon den Markt wittert, macht, dass ich eine gehörige Portion Beschränktheit bei dem wittere, der das argumentativ aufführt. Das wäre, als würde ich beim Anblick eines Speichenrades aus der Bronzezeit ehrfurchtsvoll Automobil oder Rudolf Diesel vor mich her sabbern.
Sei es so, zurück zum Tauschhandel, der später mit Äquivalent, mit Münzen, also Geld, ausgestattet wurde. Haben die Teilnehmer dieses Marktes denn keine Regeln gehabt? Ware gegen Ware beispielsweise? Prüften die Teilnehmer nicht vor Tausch oder Kauf, ob die Ware in Ordnung ist? Liest man nicht schon in vorkapitalistischer Literatur, dass man dem Händler, der Schrott verkaufte, ans Leder ging? Vertrieb man Betrüger nicht, legte sie lahm, sperrte sie ein, schlug sie tot? Finden sich in der Geschichtsschreibung nicht unzählige Berichte über den Hass gegen Wucherer und Maßnahmen gegen sie? Gab es also nicht immer schon, als der Staat dem Markt noch nicht übergestülpt wurde, vereinbarte, stillschweigende und allgemein akzeptierte Regularien, deren Nichteinhaltung nicht toleriert wurde? Ich stelle mir vor, dass kräftige Teilnehmer ihre Kraft auch gebrauchten, sich ihr Monopol mit der Faust sicherten. Das erntete sicher Empörung, empfand man als ungerecht, aber so war das manchmal in der Natur des Marktes.
Dann kam der Staat, so meint es jedenfalls der schrullige Typ. Der sei ein künstliches Gebilde. Er hat in seiner geistigen Eingezäuntheit nicht verstanden, dass sein Marktbegriff auch nichts weiter ist, als ein Kunstgriff, ein künstlicher Kniff, um seine ideologischen Präferenzen irgendwie philosophisch zu legalisieren. Den Markt gibt es gar nicht, er ist ja nur eine terminologische Vereinfachung, eine Simplifizierung zur Verarbeitung komplexer Prozesse, die alles sind, aber sicher nicht natürlich, sondern in von Menschen gemachten Bahnen und Abläufen geschehen. Überhaupt kann Staatlichkeit viele Gesichter haben, ich werde hier keine Staatstheorien breitklopfen. Sie ist aber in jedem Falle, vereinfacht gesagt, ein modus vivendi. Das heißt, der Staat regelt das Zusammenleben, das Überleben. Das geschieht manchmal schlecht, aber hin und wieder auch gut. Statt Staatlichkeit könnte man auch Vergesellschaftung meinen.
Bleiben wir mal beim Bild eines Staates, der künstlich über die Marktnatur gewickelt wurde. Der Staat hat das, was an Regeln im natürlichen Markt schon vorherrschte, übernommen und an ihnen gefeilt, sie zu Rechtsansprüchen gemacht, Gerechtigkeit, die in der Natürlichkeit immer ein Kräftemessen war, zu einem Gut gedrechselt, das jedem widerfahren kann. Bevor die Kritiker kommen: Ich rede nicht von diesem oder jenem Staat, sondern von Staatlichkeit, von einer Theorie, nicht unbedingt von der Praxis. Dass die Staatlichkeit unter der herrschenden Ökonomie Gerechtigkeit für viele Menschen einfach ausklammert, ist ein gravierendes Problem. Deswegen muss die Lösung des Problems nicht sein, die Staatlichkeit aus der Wirtschaft zu bannen, sondern eine Staatlichkeit zu schaffen, die die Wirtschaft so mitgestaltet, dass jeder etwas davon hat.
Jetzt könnte der Typ eingewendet haben, wenn ich es ihm so erklärt hätte, dass es vorher ja keine Regeln gab, bevor der Staat war. Dann hätte ich geantwortet: Na, dann wurde es ja Zeit dafür! Oder er könnte es bestätigt haben und hätte mir somit zugestimmt, es habe auch da Regelungen zwischen den Teilnehmern gegeben, dann hätte ich gesagt: Dann hat der Staat nichts getan, was nicht schon war! Ich habe nichts dergleichen gesagt, ich schreibe besser als ich rede. Ich habe ihn gelassen, zweimal angesetzt, zweimal aufgelaufen. Mir war nicht nach Hartnäckigkeit.
Ich hätte überhaupt antworten sollen, dass der Naturzustand, dieses tolle Ideal, beinhaltet, auch mal jemanden erschlagen zu dürfen. Gott hat nicht nur den Markt erschaffen, sondern auch Kain und Abel. Das ist doch Beweis genug. Staatlichkeit bedeutet ja auch, dass man Mord und Totschlag zu rechtfertigen hat, dafür bestraft wird. Meistens jedenfalls, denn es gab schon Staatlichkeiten, die mehr Naturzustand waren als Zivilisation, die Mord und Totschlag zur Doktrin erhoben. Aber von denen rede ich ja nicht. Da finden die Anti-Etatisten den Staat natürlich wieder toll, denn da schützt er sie, erschwert das Erschlagen der Gierigen und Starken. Und eine Staatlichkeit, die das Stehlen ahndet, finden sie auch nicht übel.
Natürlichkeit nur für den Markt - ansonsten haben sie es gerne künstlich ...

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