Die Feuchtigkeit wurde durch einen leichten Wind vertrieben und die sanfte Sonne lockte die Menschen auf die Strasse von Buenos Aires. Auch Jose Gonzales und Roberto Riberalta haben sich Neuigkeiten auszutauschen. Nein, keine Events, keine Schreckensmeldung, nichts erregendes, aber doch eine Neuigkeit mit ihrem feinen, kribbelnden Werten.
„Buenos Dias Jose, guten Morgen, du siehst ja gut aus, hast du einen Kuss bekommen heute Morgen, hahaha …“
Traum
„Du sagst es, du sagst es … nein, Roberto, im Ernst, ich hatte einen wundervollen Traum … letzte Nacht fuhr ich auf einem grossen, alten Dampfer einen unserer schönen Flüsse hoch, den Pilcomayo vielleicht, oder den Paranà. Der Hauch des Urwaldes wehte zu mir rüber, weißt du, dieser erotische Wind, nicht der beissende Wind der Pampa, der einen im Norden das Gesicht gerbt und im Süden die Finger klamm werden lässt. Nein, dieser zarte Wind im Urwald, der auf den Flüssen die jungen Herzen höher schlagen, und die Schmetterlinge vorbeitreiben lässt.“
„Carramba, alter Knabe, kein wunder bist du so gut drauf, bei diesen Träumen, aber komm, wir trinken einen Mate zusammen…“
„Nein hör mir zuerst zu. Irgendwie beschäftigt mich der Traum. Ich war also auf diesem Dampfer, weiss du, diese grossen, diese weissen, deren rhythmisch stampfende Motor uns an die guten alten Zeiten unseres Landes erinnern. Ich sass auf dem Deck und genoss die Stimmung, fühlte eine Ruhe in mich einströmen, und die Ruhe machte sich in mir breit und weit, und all die Gelenkschmerzen waren irgendwo weit weg und nicht mehr zu spüren. Und so schlief ich im Liegestuhl auf dem Deck ein.”
„Hey Jose, dann schliefst du also doppelt! Das macht dir so schnell keiner nach…“
Schmetterling
„Ja genau, Roberto, aber schau, es kommt noch besser. Ich schlief also in dem stoffbespannten, bunten Liegestuhl auf dem Dampfer und dabei wurde ich selber zu einem Schmetterling, und gaukelte leicht wie eine Feder über den Fluss, und sah dort das weisse Ungeheuer auf dem grünen Wasserband, Rauch ausstossend und dumpfe Geräusche schlagend, ich flog als Schmetterling auf das Schiff zu, und setzte mich auf meine eigene Stirn, entfaltete meine Flügel in der Sonne, und flog dann wieder auf, segelte niedrig über das Wasser und taumelte dann hoch in die grünen Baumkronen hinein, und ich wunderte mich, dass ich mit meinen grossen Schmetterlingsaugen die Dinge nicht differenzierter wahrnehmen konnte, nein, das Grün war einfach wie eine gemusterte Wand, eine Urwaldswand sozusagen.“
Jose räusperte sich etwas und war einen Moment nachdenklich und still. Auch Roberto hörte nun fasziniert zu. Der Strassenlärm verschwand in der geheimnisvollen Traumatmosphäre, die Jose mit seiner tiefen, getragenen Stimme verbreitete, und der Strassenmusikant, der in der nähe auf seiner Gitarre klimperte, schien dem ganzen noch die nötige Magie zu verleihen.
Chamäleon
„Und dann aber, plötzlich,“ begann Jose wieder, „plötzlich schnellte eine klebrige Zunge aus der grünen Urwaldswand, und ich war auf einen Schlag ausgeschaltet, wie wenn man eine Lampe ausknipst.
Zack, einfach so und ich verwandelte mich in ein Chamäleon, in seine Haut, in seine komischen Augen,” (und hier hielt Jose seine Fäusten vor die Augen um die groteske Bewegungen des um sich guckenden Chamäleons nachzahmen), “ich wurde Haut und Saugnäpfe und Farben des Chamäleons. Und nachdem das Chamäleon den Falter verspiesen hatte, schlief es ein – und ich, Jose Gonzales, wachte auf. Durch einen Kuss meiner Frau. Und seither fühle ich mich wie verwandelt. Ich schwebe. Ich bin glücklich. Aber ich habe auch das Gefühl, ich sei drei mal eingeschlafen aber nur einmal aufgewacht.“
„Jose, Jose, du träumst mir verrückte Dinge. Das Leben ist kurz, es ist einfach und es ist schön. Komm jetzt Jose, wir trinken einen Mate Tee.“
