Es sind die ganz banalen Dinge des Alltags, die manchmal die paradoxesten Blüten entfalten. Wie gelangt unser Essen eigentlich vom Teller in den Mund? Dank Globalisierung und Multikulturalismus lässt sich diese Frage schon lange nicht mehr pauschal beantworten – es hängt vom kulinarischen Kontext ab Mal mit der Hand, mal mit der Gabel, mal mit Stäbchen oder direkt aus der Schüssel geschlürft. Von anderen Ländern glauben wir jedoch viel genauer zu wissen, wie die Essenaufnahme von statten geht. In Asien beispielsweise, so die allgemeine Annahme – isst jedermann mit Stäbchen. Das wiederum stimmt leider ganz und gar nicht. Von Lisa Hessler
Messer und Gabel sind das Maβ aller Dinge
Da es bei uns üblich ist, mit Messer und Gabel (und Löffel) zu essen, neigen wir dazu, dieses Werkzeug als die Norm zu sehen und die Nahrungsaufnahme mit Stäbchen oder Fingern zu belächeln oder gar zu verurteilen. Fakt ist, dass die Verwendung von Besteck in Form von Messer und Gabel in Europa erst seit dem 17. Jahrhundert üblich ist. Doch selbst Sonnenkönig Ludwig der XIV. griff an der gedeckten Tafel lieber mit den Händen zu als zum Besteck. Tatsächlich essen heute weltweit nicht einmal eine Milliarde Menschen mit Messer und Gabel (und wahrscheinlich noch viel weniger – man denke nur an Variationen wie Fisch- oder Käsemesser, Hummerzange und Spargelheber).
Geschätzte 1,2 Milliarden Menschen weltweit hingegen benutzen Essstäbchen als alltägliches Essbesteck. Über die Hälfte der Weltbevölkerung jedoch verwendet keine weiteren Hilfsmittel beim Essen als die Hände (oder nur eine!). Wir Besteck-Benutzer sind im weltweiten Vergleich also alles andere als der Standard!
In Asien isst man mit Stäbchen
Mit Asien halten wir es oft so wie mit Afrika – wir sprechen davon als sei es ein Land und kein Kontinent. Dabei haben Nepal und Kambodscha ungefähr genauso viele Gemeinsamkeiten wie Russland und Spanien. Asien ist ein Kontinent voller Gegensätze, so auch bei der Esskultur. Essstäbchen kommen ursprünglich aus China und sind vor allem in Ostasien weit verbreitet. In Thailand beispielsweise (Achtung, es besteht die Gefahr das eine oder andere Weltbild ins Schwanken zu bringen!) isst man nur Nudelgerichte (chinesischer Ursprung der Nudeln) mit Stäbchen. Für Reisgerichte verwenden Thais Löffel und Gabel, wobei sie die Gabel verwenden, um das Essen auf den Löffel zu laden, den sie dann zum Mund führen. In arabischen Ländern, aber beispielsweise auch in Indien, Malaysia und Laos, isst man traditionell mit den Händen, indem man das Gericht mit Reis vermengt und zu kleinen Bällchen formt oder mithilfe von Fladenbrot in den Mund befördert. Auch in Japan kann man Sushi übrigens mit den Händen essen. In vielen islamisch und hinduistisch geprägten Ländern gilt die linke Hand als unrein und dient vorwiegend der Körperpflege, weswegen man nur die rechte Hand zum essen verwendet. Die Annahme, dass alle Asiaten mit Stäbchen essen, ist also viel zu generell und daher generell falsch.
Mit den Händen essen ist unhygienisch
Natürlich ist es gesellschaftlich inakzeptabel, den Sonntagsbraten im bayrischen Wirtshaus mit den Fingern zu essen. Mit den Händen zu essen gilt in unserem Breitengraden als unfein bis unrein und wird lediglich toleriert, wenn es Kleinkinder tun. Tatsächlich entstanden Essstäbchen unter anderem vor dem Hintergrund, die Nahrungsaufnahme hygienischer zu machen und das Essen nicht mehr zu berühren. Unsere Einstellung bezüglich des Essens mit den Händen scheint jedoch verzerrt: nie kämen wir auf die Idee, einen Hamburger, Döner oder Taco mit Besteck zu essen. “Fingerfood” ist (unter der englischen Bezeichung) gesellschaftlich auch bei uns akzeptiert. Es gibt also keinen Grund das “mit den Händen essen” zu verpönen – wir tun es schlieβlich mittlerweile auch regelmäβig und immer öfter. In Ländern, in denen es üblich ist, mit den Händen zu essen, stehen in Restaurants häufig Waschbecken in unmittelbarer Nähe der Tische zur Verfügung. Bei Fast-Food Ketten ist mir ein solches Hygieneangebot noch nicht begegnet.
Dieser Beitrag soll kein Aufruf sein über das Ziel hinauszuschieβen und beim nächsten Restaurantbesuch auf das Besteck zu verzichten, wenn das im Usprungsland so der Brauch wäre. In Zeiten der Globalisierung kann es aber nicht schaden, nicht nur unsere Gaumen mit den Geschmäckern anderer Länder bekannt zu machen, sondern auch unseren Geist mit deren Gebräuchen.
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