In aller Kürze: "The Green Mile" [Stephen King, 1996]


Stephen King meets Charles Dickens. Formal. Sein nämlich als Fortsetzungsroman konzipiertes Plädoyer gegen die Todesstrafe ist ein anrührendes Tableau zwischenmenschlicher Konflikte und Zwiespälte im Todestrakt. "The Green Mile" wirft die Frage auf, mit welchen psychischen Folgen Gefängniswärter leben müssen, wenn sie einen unschuldig zum Tode Verurteilten hinrichten, ob sie letztlich an ihrer Schuld oder am Gewissen zerbrechen, oder an beidem, oder gar nicht. Dabei fallen eindeutige Antworten nicht leicht, da sich King eindeutigen Antworten verschließt. Er lässt den Zeigefinger in der Tasche, seine moralische Botschaft ist nie zu moralisch, sein Protagonist John Coffey (wie das Getränk, nur anders geschrieben) eine der tragischsten Figuren aus der Feder des Schriftstellers. Es gibt die Guten und die Bösen, eine mit klugen Dialogen implementierte Kriminarrative, eine mit klugen Analogien (Percy/Brad) durchzogene Verquickung von Gegenwart und Vergangenheit, Christus-Konnotationen, metaphysische Wunder und Ressentiments gegenüber Schwarzen, Zirkusmäuse, überaus ergreifende Szenen (es wird kaum ein Auge trocken bleiben, wenn Coffey auf "Old Sparky" festgeschnallt wird), ebenso wie Mörder und Vergewaltiger, die allerdings das letzte Maß an Würde erhalten, was ihnen kurz vorm staatlichen Mord ein paar weitere Stunden am Leben erhalten. Denn sie sind trotz ihrer grausamen Verbrechen vor allem eines geblieben: Menschen. Bisweilen flach in der Skizzierung etwaiger Einzelschicksale und Charaktere sowie aufgesetzt im Versuch, Coffey als "Tumorheiler" zu etablieren, bündelt der Roman obige Fragen zur metaphorischen Erkenntnis, dass wir alle irgendwann unsere grüne Meile gehen, die vielleicht letzten, des Öfteren jedoch unendlich langen 60 Schritte, Schuldige wie Unschuldige gleichermaßen.
8/10

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