Bernadette La Hengst
„Integrier mich, Baby“
(Trikont)
Ganz blass kann man sich noch erinnern – die Zeit rennt – wie dieses Mädchen vor kleiner Kulisse in der Münchner Kulturstation das Rumpelstilzchen gab, verzickt, verschwitzt, die Braut im Rücken und auf den Lippen ein wütendes „Jenseits von Eden“. Kaum jemand hat den Scherben-Song wieder so energisch über seine knapp fünf Minuten gebracht, man war ein klein wenig verliebt und linste schüchtern über‘s schale Bier, während Bernadette La Hengst, die grimmig vorlaute Frontfrau der Hamburger Band Die Braut haut ins Auge, eifrig Augenklappen ans Publikum verteilte. Wofür die Dinger waren – vergessen. Die Band verdröselte sich bald darauf in diversen Seitenprojekten, erst man hörte nicht mehr viel und nach 2000 gar nichts mehr, Auflösungserscheinungen. Nur das laute Mädchen steht noch immer da vorn und schimpft und rätselt und schmollt und schwärmt, weil vieles anders, aber nicht wirklich besser wird.
Bernadette La Hengst hat ein neues Album fertig, ihr viertes mittlerweile und es ist, wieder einmal, in zweifacher Hinsicht ein bemerkenswertes geworden: Zum einen gelingen ihr noch immer Lieder, die das Politische leicht und große Ganze fassbar und persönlich erscheinen lassen, sie macht aus ihren Kampf- keine Krampflieder, sondern Popsongs, über die man gern auch mal einen Dreivierteltakt länger nachdenkt. Die Ansprache ist bei ihr immer die direkte, unverstellte, man fühlt sich gemeint, ertappt und erinnert, man nimmt Teil an ihrer Unruhe, Stück für Stück. Wenn sie sich und jede/n in Frage stellt („Deine eigene Art“), sich an der Unzulänglichkeit des weiblichen Rollenverhaltens abarbeitet („Ich bin am Ende mit meiner Geduld, denn von Anfang an war ich an allem Schuld, an der sexuellen Rebellion, und am Untergang der Zivilisation ...“, Ich bin drüber weg) und dem trägen Glück hinterherweint („Such keine Krümel von dem Kuchen, nur das allergrößte Stück ... Armut an der Zeit, Reichtum an Geschwindigkeit“, Das träge Glück).
Das „Haus im Ozean“ ist ihr unverkitschtes Liebeslied an die Welt und das Leben im Allgemeinen, sie hatte es ursprünglich für ihren Coverkünstlers Volker März und dessen Ausstellung „Das Lachen der Hannah Arendt“ geschrieben und natürlich leuchtet da ein winziges Stück von Judy Garlands Regenbogen mit. Auch danach nichts auszusetzen: Selbst wenn die Dame nervt, ist sie irgendwie charmant – die Leidenschaft reibt sie auf („Der Wahnsinn ist eine warme Wohnung, in der kenne ich mich bestens aus, und sie hält mich immer in Bewegung, was oben reinkommt muß immer wieder raus“, Schafft die Leidenschaft ab), auch der queere Chor der „Rolling Role Models“, wie vieles hier unter kräftiger Mithilfe aus dem Umfeld der Künstlerin entstanden, hat Schmiss.
Die Liebeslieder auf „Integrier mich, Baby“ sind eine Klasse für sich, das gilt für den Soul des Titelstücks ebenso wie für das verswingte Duett mit Rocko Schamoni „Grundeinkommen Liebe“ – die Worte simpel, mit Bedacht gesetzt und mit lauter kleinen Widerhaken bewährt: „Die Liebe ist wie freie Kunst, ich glaube nicht ans Geld, ich glaub an uns und unsere kreative Depression ... ich bin frei und unvoreingenommen, gib mir bedingungsloses Grundeinkommen, in Liebe heute Nacht“, auch das verträumte „Liebe teilen“ wirkt trotz aller Assoziationsketten immer noch leicht und nah dran.
Herbert Grönemeyer, mittlerweile auch ein alter, dafür aber nicht mehr ganz so häufig belächelter Mann, hat kürzlich gesagt, von den letzten 750 Interviews, die er geführt habe, hätten sich drei mit dem Sound, mit dem Songwriting befaßt, der Rest mit dem Inhalt der Texte – gefallen hat ihm das nicht, es sei überdies ein sehr deutsches Phänomen. Genau aus diesem Grund ist das Album von Bernadette La Hengst in zweiter Hinsicht ein gutes, denn ein jedes ihrer sehr verschiedenen Stücke funktioniert auch musikalisch, ist klug arrangiert und steht als „Song“ für sich. Keine Weltmusik im naserümpfenden Sinne, La Hengst hat nur keine Lust, sich auf einen Stil festklopfen zu lassen, bleibt variantenreich und neugierig. Indiepop, Disko, Soul, Funk, Latinorhytmen und Chansonschwof – kann man alles haben, ganz offensichtlich haben ihre Wahlverwandten Olifr M. Guz von den Aeronauten und Peta Devlin gute Arbeit geleistet. Alles beim alten also: Hinhören lohnt sich. http://lahengst.com/
WinWin: Für das erste Mail am VÖ-Tag (21.09.) an [email protected] gibt's das Album per Post gratis ...
La Hengst auf Tour:
21.09. Hamburg, Hafenklang
03.10. Reutlingen, Franz K
04.10. Ulm, Kradhalle
05.10. Hannover, Cafe Glocksee
06.10. Köln, Tsunami
11.10. Nürnberg, Desi
12.10. München, Feierwerk
19.10. Hamburg, Fabrik
20.10. Rostock, Zwischenbau
09.11. Husum, tbc
11.11. Berlin, Festsaal Kreuzberg
15.11. Freiburg, White Rabbit
„Integrier mich, Baby“
(Trikont)
Ganz blass kann man sich noch erinnern – die Zeit rennt – wie dieses Mädchen vor kleiner Kulisse in der Münchner Kulturstation das Rumpelstilzchen gab, verzickt, verschwitzt, die Braut im Rücken und auf den Lippen ein wütendes „Jenseits von Eden“. Kaum jemand hat den Scherben-Song wieder so energisch über seine knapp fünf Minuten gebracht, man war ein klein wenig verliebt und linste schüchtern über‘s schale Bier, während Bernadette La Hengst, die grimmig vorlaute Frontfrau der Hamburger Band Die Braut haut ins Auge, eifrig Augenklappen ans Publikum verteilte. Wofür die Dinger waren – vergessen. Die Band verdröselte sich bald darauf in diversen Seitenprojekten, erst man hörte nicht mehr viel und nach 2000 gar nichts mehr, Auflösungserscheinungen. Nur das laute Mädchen steht noch immer da vorn und schimpft und rätselt und schmollt und schwärmt, weil vieles anders, aber nicht wirklich besser wird.
Bernadette La Hengst hat ein neues Album fertig, ihr viertes mittlerweile und es ist, wieder einmal, in zweifacher Hinsicht ein bemerkenswertes geworden: Zum einen gelingen ihr noch immer Lieder, die das Politische leicht und große Ganze fassbar und persönlich erscheinen lassen, sie macht aus ihren Kampf- keine Krampflieder, sondern Popsongs, über die man gern auch mal einen Dreivierteltakt länger nachdenkt. Die Ansprache ist bei ihr immer die direkte, unverstellte, man fühlt sich gemeint, ertappt und erinnert, man nimmt Teil an ihrer Unruhe, Stück für Stück. Wenn sie sich und jede/n in Frage stellt („Deine eigene Art“), sich an der Unzulänglichkeit des weiblichen Rollenverhaltens abarbeitet („Ich bin am Ende mit meiner Geduld, denn von Anfang an war ich an allem Schuld, an der sexuellen Rebellion, und am Untergang der Zivilisation ...“, Ich bin drüber weg) und dem trägen Glück hinterherweint („Such keine Krümel von dem Kuchen, nur das allergrößte Stück ... Armut an der Zeit, Reichtum an Geschwindigkeit“, Das träge Glück).
Das „Haus im Ozean“ ist ihr unverkitschtes Liebeslied an die Welt und das Leben im Allgemeinen, sie hatte es ursprünglich für ihren Coverkünstlers Volker März und dessen Ausstellung „Das Lachen der Hannah Arendt“ geschrieben und natürlich leuchtet da ein winziges Stück von Judy Garlands Regenbogen mit. Auch danach nichts auszusetzen: Selbst wenn die Dame nervt, ist sie irgendwie charmant – die Leidenschaft reibt sie auf („Der Wahnsinn ist eine warme Wohnung, in der kenne ich mich bestens aus, und sie hält mich immer in Bewegung, was oben reinkommt muß immer wieder raus“, Schafft die Leidenschaft ab), auch der queere Chor der „Rolling Role Models“, wie vieles hier unter kräftiger Mithilfe aus dem Umfeld der Künstlerin entstanden, hat Schmiss.
Die Liebeslieder auf „Integrier mich, Baby“ sind eine Klasse für sich, das gilt für den Soul des Titelstücks ebenso wie für das verswingte Duett mit Rocko Schamoni „Grundeinkommen Liebe“ – die Worte simpel, mit Bedacht gesetzt und mit lauter kleinen Widerhaken bewährt: „Die Liebe ist wie freie Kunst, ich glaube nicht ans Geld, ich glaub an uns und unsere kreative Depression ... ich bin frei und unvoreingenommen, gib mir bedingungsloses Grundeinkommen, in Liebe heute Nacht“, auch das verträumte „Liebe teilen“ wirkt trotz aller Assoziationsketten immer noch leicht und nah dran.
Herbert Grönemeyer, mittlerweile auch ein alter, dafür aber nicht mehr ganz so häufig belächelter Mann, hat kürzlich gesagt, von den letzten 750 Interviews, die er geführt habe, hätten sich drei mit dem Sound, mit dem Songwriting befaßt, der Rest mit dem Inhalt der Texte – gefallen hat ihm das nicht, es sei überdies ein sehr deutsches Phänomen. Genau aus diesem Grund ist das Album von Bernadette La Hengst in zweiter Hinsicht ein gutes, denn ein jedes ihrer sehr verschiedenen Stücke funktioniert auch musikalisch, ist klug arrangiert und steht als „Song“ für sich. Keine Weltmusik im naserümpfenden Sinne, La Hengst hat nur keine Lust, sich auf einen Stil festklopfen zu lassen, bleibt variantenreich und neugierig. Indiepop, Disko, Soul, Funk, Latinorhytmen und Chansonschwof – kann man alles haben, ganz offensichtlich haben ihre Wahlverwandten Olifr M. Guz von den Aeronauten und Peta Devlin gute Arbeit geleistet. Alles beim alten also: Hinhören lohnt sich. http://lahengst.com/
WinWin: Für das erste Mail am VÖ-Tag (21.09.) an [email protected] gibt's das Album per Post gratis ...
La Hengst auf Tour:
21.09. Hamburg, Hafenklang
03.10. Reutlingen, Franz K
04.10. Ulm, Kradhalle
05.10. Hannover, Cafe Glocksee
06.10. Köln, Tsunami
11.10. Nürnberg, Desi
12.10. München, Feierwerk
19.10. Hamburg, Fabrik
20.10. Rostock, Zwischenbau
09.11. Husum, tbc
11.11. Berlin, Festsaal Kreuzberg
15.11. Freiburg, White Rabbit