Es hatte etwas Magisches an sich. Gelb und schwarz war es und ich hatte Angst, es anzugreifen. Als ich lesen konnte, musste ich feststellen, dass ich es nicht verstand. Denn es war in einer Sprache geschrieben, die mir ganz fremd war. H.C. Artmanns Buch „Med ana schwoazzn dintn“ stand im Bücherregal meiner Eltern. Zwischen Bänden über „Antikes Glas“ und „Gauguin“. Und es repräsentierte etwas, das in meiner Familie als „Unfein“ galt. Es war ein Herzeigebuch einer Sprache, die man meinte, selbst nicht zu sprechen und die man verachtete. Ohne zu wissen, dass man mit der eigenen Sprache gar nicht so weit weg war von Artmanns dialektaler Färbung. Gut, Graz war nicht Wien, aber die Steirer haben, wie allgemein bekannt, auch keinen schlechten Dialekt.
“Des Ano” kommt nicht aus dem Lateinischen
Viele Jahrzehnte später amüsieren mich meine Erinnerungen an die Familiengefühle der damaligen Zeit. Dialekt ist längst salonfähig geworden. Nicht zuletzt durch H.C. Artmann. Wer sich heute dieser Sprache bedient, scheint ganz nah am Volk zu sein, ihm aus dem Herzen zu reden. Und doch gibt es Gegenbeispiele. Max Gruber mit seiner Formation „Des Ano“ ist ein solches. Wer grübelt, welch lateinische Deklination mit „Des Ano“ wohl gemeint sei, befindet sich gewaltig auf dem Holzweg. Bedeuten die beiden Worte im Wiener Dialekt doch nichts anderes als „auch das noch“. Der Autor, Filmemacher und Sänger mit der gestreamlinten Business-Vergangenheit ist zwar einer, der sich des Dialekts bedient. Aber keiner, der dem Volk aus der Seele spricht. Vielmehr einer, der ihm ganz tief in die Seele schaut. Und zutage bringt, was es dort an Schwarzem gibt. „Faul im Staate“ so betitelte er sein Programm, das er im Nestroyhof-Hamakom derzeit an nur drei Abenden aufführt. Und das vor einer Kulisse, die er in seinem Leben wahrscheinlich „nie mehr“ – wie er sich selber ausdrückte – zur Verfügung haben wird. Spielt er doch vor dem großen, braunen, hölzernen Pferd, welches die Protestaktionen gegen den Bundespräsidenten Kurt Waldheim in den 80er Jahren ständig begleitete. Der “Republikanische Club – Neues Österreich” hat es für die Theaterserie „Die Politik des Vergessens“ zur Verfügung gestellt. Darin ist es nun ein „fast“ lebendiges Mahnmal gegen politische Amnäsie nicht nur eines ehemaligen österreichischen Staatsoberhauptes, sondern auch jenes Vergessens, in dem das Österreichische Volk sich so wunderbar eingerichtet hat.
Angesiedelt ist Grubers Konzert in der „LiteraTurnhalle“ des Salon5 von Anna Maria Krassnigg. Darin hat sie sich die theatralische Präsentation von Literatur in all ihrer Vielfalt zum Ziel gesetzt. Max Grubers Liedtexte sind ein ganz spezieller literarischer Fall. In Wiener Mundart verfasst, beschreiben sie Zustände, die zwar oft als allgemein Menschliche gelten. Im Speziellen aber doch gerade in Wien ihren ganz besonderen Nährboden finden. Der Autor erzählt darin von kleinen Männern, die duckmäuserisch ihr ganzes Leben fristen um schließlich – blöd gelaufen – vor Frau Gott Rechenschaft über ihr dürftiges Erdendasein abzugeben. Er imitiert sprachlich auf kunstvollste Art und Weise jenen Charakter, der anderen immer erklärt, warum etwas nicht geht, was man nicht tun darf und was ganz sicher schlecht ausgehen wird. Glaubst dass´d wos Besseres bist? So was tuat ma net! und ähnliche Suggestivfragen und Verbote werden dabei mit einem behäbigen Polkarhythmus untermalt. Die Anleitung, wie man einen Traum begräbt, dürfte vielen Menschen im Publikum unter die Haut gegangen sein – der Applaus danach war eindeutig. Auch, weil Grubers musikalische Begleitung jedes seiner Lieder mit einem unglaublich feinfühligen Klangraum ausstaffiert. Thomas Berghammer bedient dabei das gesamte Trompetenrepertoire und scheut sich auch nicht, eine Melodika zum Einsatz zu bringen. Jenes, einer Harmonika ähnliche Instrument, deren geblasene Töne aus vielen Kinderzimmern in den 70er und 80er Jahren die Eltern schier zur Verzweiflung trieben. Martin Stepanik bedient nicht nur das Keyboard und ein Klavier. Er addiert dem Klang von „Des Ano“ noch zusätzlich eine geniale elektronisch-musikalische Frischluftzufuhr.
Politisches und allzu Menschliches
Max Gruber erinnert in seinem Schwarz-Weißen Bühnenoutfit mit neckischem, schwarzen Hut ein wenig an die letzten Auftritte von Leonard Cohen. Wenngleich Gruber den allzu eleganten Touch durch eine schwarze Jean abmildert. In seinen Zwischenconférencen scheut er sich nicht, politische „Zustände“ beim Namen zu nennen. So nimmt er die Große Koalition als bipolare Störung wahr oder erklärt augenzwinkernd die Krise der Europäischen Union mit dem Fehlen einer gemeinsamen europäischen Fußballmannschaft. Mit seiner tiefschwarzen Gesellschaftsanalyse, die sich von der hohen Politik auch in die tiefen Abgründe des menschlichen Zusammenseins wagt, befindet er sich in bester Liedermacher-Gesellschaft. Mit dem einzigen Unterschied, dass man seine Lieder nicht mitsingen kann. Sein Wiener Schmäh, eingetunkt in den dunkelsten Blues, ist prall vollgepackt mit artistischen Wortkaskaden. Wobei er gerne viele Strophen bemüht, um auch nur jeden kleinsten gemeinen, dunklen Charakterfleck wortgewaltig auszuleuchten. In seinem epischen Gesang über das Wunder, das kommt, wird klar, dass Max Gruber auch Fähigkeiten besitzt, die gute Regisseure kennzeichnen. Was streichelweich beginnt, entwickelt sich im Lauf des Geschehens zu einem höllischen Weltuntergangsszenario, das alle zu verschlingen droht.
„Des Ano“ hat es im Rahmen der LiteraTurnhalle tatsächlich noch gebraucht. Das, was Max Gruber an Texten so scheinbar hingerotzt und ausgekotzt präsentiert, ist das Ergebnis von akrobatischen Sprachleistungen der Spitzenklasse. Eine letzte Gelegenheit, dem literarisch-musikalischen Lehrpfad entlang der österreichischen Seelenverwachsungen teilzunehmen, gibt es noch am 5. November.