Im rechtsfreien Raum

Im rechtsfreien RaumErst schwören sie darauf. Und dann pfeifen sie drauf, hieß es vorm einem halben jahr an dieser Stelle, als die politische Klasse sich weigerte, Deutschland ein Wahlrecht zu geben, das den Vorgaben der Verfassung Genüge tut. Das Problem ist kaum aus der Welt, da beweist eine Veröffentlichung des Chaos Computer Club, wie ernst es erster und zweiter Gewalt immer noch ist mit der Verfassungsmäßigkeit des eigenen Handelns: Der "Bundestrojaner", erfunden und gebaut, um Schwerkriminelle beim Internetsurfen und E-Mail-Schreiben bewachen zu können, enthält zahlreiche Hintertüren, die gegen die Vorgaben verstoßen, die das Bundesverfassungsgericht als Bedingung für die Einführung der staatlichen Spionagesoftware gesetzt hatte.
Auch im Umgang mit Gesetzesbrechern bleiben sich die Verantwortlichen im Land treu. Erlaubt ist, was gefällt, gemacht wird, was notwendig erscheint. Und das Internet, nach Auffassung von Politikern wie Schäuble, Wiefelspütz und Merkel der "größte Tatort der Welt", lässt sich staatlich am einfachsten handhaben, wenn es zum rechtsfreien Raum erklärt wird.
Das Handeln ist alternativlos wie immer, die Verantwortung über Kaskaden zunehmender Unzuständigkeit so geschickt verteilt, dass auch dieser erneute Verfassungsbruch niemanden Amt und Ansehen kosten wird. Mittlerweile lamentiert sogar der "Spiegel", der von den letzten 25 Verfassungsbrüchen Regierender nur nebenher Notiz genommen hat, über einen "programmierten Verfassungsbruch". Wobei das Software-Magazin mit "programmiert" keineswegs meint, dass die jahrelange Nichtachtung von grundgesetzlich garantierten Werten wie Versammlungs- und Gewerbefreiheit durch Bundes- und Landesregierungen zwangsläufig dazu führen musste, dass nun auch Kriminelle mit staatlicher Kriminalität leben müssen. Nein, die Überschrift ist ein halboriginelles Augenzwinkern: Software! Programmiert!
Gut, oder? Als der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt daran ging, minderjährige Sprayer in einer umfassenden Datenbank zu speichern, um später mal zu wissen, welcher MDR-Mitarbeiter, Pförtner in der Staatskanzlei oder Würstchenbudengewerbetreibender seine Karriere wie begonnen hat, stand keine so gute Zeile zur Verfügung. Auch als Sachsen Gesetze verabschiedete, die die Versammlungsfreiheit an bestimmten Orten für bestimmte Gruppen außßer Kraft setzte, klagten nur Betroffene, während die einstigen Sturmgeschütze der Demokratie schwiegen.
Damals ging es nur um einen "Angriff auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit" (Verfassungsgericht), heute um den "Vollzugriff auf den Rechner des Betroffenen". Ungekannte Dimensionen, wenigstens der öffentlichen Aufregung: "Die Entschlüsselung des Stückchens Software zur Telekommunikationsüberwachung könnte sich zu einem politischen Skandal entwickeln", freut sich "Spiegel"-Autor Christian Stöcker schon auf einen heißen Herbst.
Wie Frau Merkel einmal die Verfassung ändern wollte
Was man noch sagen darf
Der Doktor und das liebe Stimmvieh


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