Unterführungen sind die Unorte der Städte. Sie sind dunkel, dreckig und stinken. Niemand benutzt sie gerne. Nun gibt es in Mannheim eine Vielzahl von alten Bausünden in der Straßenverkehrsführung und in der Anlage von Rad- wie Fußgängerwegen. Die Stadt ist, leider muss man es sagen, in ihrer heutigen Gestaltung aus überkommener Zeit für Autos angelegt. Unterführungen sollten das, was über Tage nicht nachhaltig geregelt wurde, unterirdisch vereinfachen. Eine zentrale Wegeführung ist die des Radweges am Neckar entlang, die an der Kurpfalzbrücke ein 40 Meter langes Stück unter der Straße hindurchführt. Um die Unterführung wenigstens etwas attraktiver zu gestalten, hat sich die Stadt nun ein paar Dinge einfallen lassen. Neben einer neuen LED-Beleuchtung und Spiegeln, die für mehr Sicherheit sorgen sollen, wurde der Künstler Benjamin Burkard beauftragt, die vierzig Meter lange Fliesenwand zu bemalen. Er schuf ein breites, zwischen Realismus und Fantastik changierendes Mensch-Tier-Panorama unter dem Titel „Systema Naturae“.
Der Titel des Werks ist angelehnt an das große bahnbrechende Kompendium des schwedischen Naturforschers Carl von Linné. In mehreren Bänden setzte er den Anspruch um, alle bekannten botanischen und zoologischen Gattungen zu klassifizieren und zu systematisieren. Bedeutung hat seine Veröffentlichung vor allem, weil seine zweiteilige Namensgebung bis heute Standard in der Zoologie ist. Interessant ist aber auch, und vielleicht hatte diesen Umstand der Künstler Benjamin Burkard im Sinne, dass von Linné in seiner „Systema Naturae“ zum ersten Mal seit Aristoteles den Menschen nicht über das Tier stellte, sondern ihn als Gattung zu einem Einzelteil des Gesamtsystems machte. Das einzige Unterscheidungsmerkmal des Menschen gegenüber dem Tier sei die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis.
Diese Idee lässt sich auch in dem 3 mal 40 Meter großen Wandgemälde aus Acrylfarben wiederfinden. In dem miteinander verwobenen Panorama sind Menschen und Tiere gleichermaßen in Maschinen gefangen oder mit Maschinenteilen verbunden. Umgekehrt mischt sich aber auch die Natur in Form von überwucherndem Blattwerk in die technische Welt ein. Während die Tiere, die allesamt Wildtiere wie Hirsche, Antilopen, Elefanten oder Büffel sind, sehr naturgetreu dargestellt sind und würdevoll wirken, sind die Menschen teilweise verwaschen und schemenhaft dargestellt. Auffallend ist, dass bei allen Menschen in dem Gemälde die Augen nicht zu sehen sind. Entweder fehlt das ganze Gesicht oder die Augen sind überschattet oder abgewendet oder verwischt. Ausnahmen bilden allein die Kinder. Mensch und Tier, so könnte man deuten, sind der menschengeschaffenen Technik gleichermaßen ausgeliefert; der Mensch aber scheint seine Sehkraft verloren zu haben, die er vielleicht nicht zur Selbsterkenntnis benötigt, wohl aber, um seine Umgebung, seine Umwelt wahrzunehmen.
Die assoziative Komposition der einzelnen Elemente spiegelt sich in der künstlerischen Technik, die von der klassischen Malerei ausgeht und mit verschiedenen Schichtungen arbeitet. Benjamin Burkard hat gewissermaßen wie von Linné das Vorhandene gesammelt, systematisiert und so in Bezug zueinander gesetzt. Der junge Pfälzer Künstler ist eigentlich kein Street Artist, sondern arbeitet normalerweise „klassisch“ im Atelier. Die organische Verbindung von Mensch und Maschine ist eines seiner Markenzeichen; auch die Verfremdung durch Auslassungen findet sich in seinem Werk immer wieder. Für Mannheim hat er mit dem Wandgemälde eine schöne Bereicherung der Kunst im öffentlichen Raum geschaffen. Es bleibt zu hoffen, dass das neue Unterführungskonzept aufgeht und das „Systema Naturae“ lange erhalten bleibt.