ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 564
Von Walter G. Goes (Bergen / Rügen)
»Kunst ist (nach Georges Bataille) die Schöpfung einer sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit, die die Welt in Richtung einer Antwort auf die in der Substanz des menschlichen Seins verankerte Sehnsucht nach einem Wunder verändert.«
Ein kleines, so nicht für möglich gehaltenes Wunder erleben derzeit Mitarbeiter der KulturStiftung Rügen. Wollte man Favoriten aus der aktuellen Ausstellung in der Orangerie Putbus küren, die Wahl fiele seitens der Orangeriebesucher auf Anna Görners Folge von fünf kleinen Zeichnungen, welche die Künstlerin lapidar und ein wenig provokant »Gestrüpp« nennt. Den Platz für sie hat Anna Görner im rechten oberen Turmzimmer gefunden, das mit einem Panoramablick auf den Schlosspark und seine Baumriesen belohnt; einen wie Galeriebesucher kundtun kongenialen Ort gerade für diese Arbeiten. Es sind nicht die größten von der Künstlerin ausgestellten Formate und auch nicht die von der Farbe her vordergründig ins Auge fallenden Exponate. Nein, die Faszination, die gerade von diesen sehr verhalten in Szene gesetzten Bleistiftzeichnungen ausgeht, dürfte sich aus der Ungewöhnlichkeit der praktizierten Sichtweisen erklären.
In der nur auf den ersten Blick verwirrenden Abfolge von Zweigen, Ästen, Rinden und Blattwerk wird der Betrachter mit gewagten Unterblicken, grandios gesehenen Draufblicken, kühn zu Papier gebrachten Verästellungen von Bäumen und wuchernden Büschen überrascht: Ein zum Verweilen einladender, süchtig machender Kunstgriff, der diese Arbeiten als Kostbarkeit adelt. In der scheinbaren Unordnung der sinnlich erfahrenen Wirklichkeit finden sich auf Anna Görners Büttenpapieren Arrangements, die für mich und andere Betrachter Natur als Wunder aufscheinen lassen und das in virtuos ausgeführten Konstellationen.
Die Gefahr der Manieriertheit lag nah, doch bleibt Anna Görner im Detail angenehm offen für Entdeckungen, für das Auffinden des Besonderen im eigentlich Unspektakulären. Das hält das jeweils ganzheitliche Bild in Spannung.
Gut, dass es Künstler gibt, die sich dieser Wirklichkeit »in bangem Schmerz« (Paul Verlaine) um Verluste und so gekonnt (der Zeichner Horst Janssen lässt grüßen!) noch widmen.
Anna Görner hält fest, was andere im Wahn des satten Profits längst aufgegeben haben: die Demut vor der Natur. Wo Bäume der blanken Gier zum Opfer fallen, wo – wie im zu Putbus nah gelegenen Pastitzer Forst – ganze Baumareale nur der monetären Verwertung und nicht des Schutzes wegen gelistet werden, geraten die brachial eingeschlagenen Schneisen zum Menetekel für Dummheit und zur Austrocknung der Wunder, mit der die Natur die Vorlagen für künstlerische Botschaften liefert. ARTus
35 Arbeiten von Anna Görner sind bis zum 22. April in der Orangerie Putbus zu sehen. Zeichnung: ARTus