Im Gespräch mit Regisseur Tom Tykwer

Zu seinen bekanntesten Werken gehören sicherlich der 1998er Film "Lola rennt, in dem Franka Potente in drei leicht voneinander unterschiedlichen Geschichten durch Berlin hetzt, die Literaturverfilmung "Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders" von Patrick Süskind und der Eröffnungsfilm der 59. Berlinale "The International". Der deutsche Regisseur Tom Tykwer bringt mit seinem neuesten Film eine weniger internationale Produktion auf die Kinoleinwände als in den vergangenen Jahren. filmtogo hatte die Möglichkeit sich mit Herrn Tykwer zu treffen und über "Drei" zu unterhalten.

Interview mit Regisseur Tom Tykwer

filmtogo: Wie kommt es, dass du jetzt mit deinem Film "Drei" nach Berlin zurückgekehrt bist?

Tykwer: Ich bin ja nicht wirklich zurückgekehrt. Ich war nie so ganz weg. Ich war eigentlich mit jeder Produktion in Deutschland. Bei "Das Parfum" waren wir natürlich mehr in München unterwegs, auch viel in Spanien und Frankreich. Aber den letzten Film, "The International", haben wir eigentlich auch versucht überwiegend in Berlin zu drehen. Vor allem die Postproduktion und die Drehbucharbeit war da. Ich versuche irgendwie doch immer in meiner Heimat verankert zu bleiben. Aber es stimmt natürlich schon, dass "Drei" nicht nur in Berlin gedreht, sondern vollständig dort entstanden ist. Er ist von meiner mir angewachsenen Produktionsfirma produziert worden. Er ist vor allen Dingen aber in deutscher Sprache. Das macht natürlich auch einen Unterschied. Die deutsche Sprache bedeutet mir natürlich insofern etwas, weil ich dann doch manchmal eine Sehnsucht danach habe mit Schauspielern eher in einem suchenden Gestus der Sprache zu verweilen. Wenn ich das auf Englisch mache, dann muss ich eigentlich immer erst einmal im Kopf übersetzen. Dann habe ich einen Abschnitt übersetzt und liefere den auch so ab. Oft ist dieser dann auch ziemlich präzise und analytisch wohl auch ganz gut, aber er ist nicht so offen wie im Deutschen. Wenn ich mit der Schauspielerin oder dem Schauspieler da stehe und wir suchen nach der richtigen Idee, dann muss man das Gespräch manchmal gar nicht zu Ende bringen. Man kann sofort etwas drehen, quasi mitten im Satz. Das ist natürlich etwas anderes. Das gelingt in der Muttersprache viel eher.

filmtogo: Gibt es da Unterschiede bei den Darstellern? Du hast mit internationalen Schauspielern gearbeitet. Sind da die Arbeitsweisen unterschiedlich? Das Verhalten während der Arbeit?

Tykwer: Also die Unterschiede sind nicht kulturell bedingt. Jeder Schauspieler ist anders. Die individuellen Unterschiede sind aber nicht länderspezifisch, sondern menschenspezifisch.

filmtogo: Und wie Deutsch ist "Drei" jetzt eigentlich? Wie sehr ist der Film auf ein deutsches Publikum zugeschnitten? Er ist bereits in Venedig und Toronto auf Filmfestspielen gelaufen. Reagieren da die Menschen anders auf den Film als in Deutschland?

Tykwer: Es gibt in dem Film spezifische Momente. Es läuft sehr viel über Sprache, was sich dann nicht wirklich für andere Länder übertragen lässt. Der Film ist so gesehen schon sehr deutsch. Allein schon die Konstruktion der drei Leute, die obendrein auch noch ein Wessi, ein Ossi und ein Ösi sind. Da kommen dann Dialekte ins Spiel, eine spezifische Form von Humor und es zeigt sich in Nuancen auch eine Sozialisation, die im Ausland einfach unter den Tisch fallen würde. Die Resonanz ist deshalb hierzulande soviel reicher und interessanter. Im Ausland funktioniert der Film vor allen Dingen als ästhetisch herausfordernde Komödie, während er in Deutschland wirklich als Film wahrgenommen wird, der versucht einer ganzen Menge Aspekte des Lebens auf die Spur zu kommen und dabei trotzdem nicht seinen Humor verliert.

filmtogo: Ursprünglich war die Idee zu "Drei" mehr so eine "Zwei"-Idee. Du hattest zuerst geplant den Film mit zwei Figuren aufzuziehen. Wie kam dann der Umschwung, dass es eben dann "Drei" geworden ist?

Tykwer: Es war eigentlich noch gar kein Film. Es war eine Sammlung von Fragmenten und Ideen zu einer langjährigen Zweier-Beziehung. Etwas das uns irgendwie überall umgibt. Gerade aber so ein wenig seltener wird, weil die Leute es dann doch nicht so lange miteinander aushalten. Aber die, die es schaffen, prägen gewisse Merkmale. Die habe ich genauer untersucht und dazu Fragmente hochgestapelt. Ich fand den Widerspruch faszinierend, der sich in so langen Beziehungen verdichtet. Einerseits ist da unsere Sehnsucht danach, den Schutz den so eine Beziehung bietet auszudehnen. Man möchte die Vertrautheit vergrößern und gemeinsam Geschichten erleben und schreiben. Und dann der diametral gegenüberstehende Wunsch und auch Trieb nach steter Erneuerung, nach Veränderung und nach Abwechslung. Natürlich auch die Lust auf das Rauschhafte. Das Rauschhafte der Liebe und des Verliebtseins, das dann irgendwann langsam aus Beziehungen verschwindet und das man immer wieder sucht. In diesem komischen Spannungsfeld bewegen sich solche Leute. Trotzdem war es immer noch kein Film, sondern eine Sammlung dieser Momente. Der Film kam erst in Schwung als diese dritte Person ins Spiel kam. Und das nicht in der klassischen Rolle des Fremdgehers oder Verführers, sondern in der Doppelfunktion als Liebhaber von beiden. Es ist dieser verrückte Moment, in dem sich wirklich beide, unabhängig voneinander, in diesen Mann verlieben. Dadurch entsteht für den Film eine ganz andere Energie.

filmtogo: Die Rolle der Hanna hast du direkt für Sophie Rois geschrieben. Ohne sie als Darstellerin wäre der Film gar nicht zustande gekommen?

Tykwer: Nein, das wäre auch gar nicht gegangen. Ich habe beim Schreiben so explizit an sie gedacht und an ihre verrückte Weise einen Text durch ihre Sprechmaschine zu schreddern und dann wieder zusammenzusetzen und noch viel toller wieder auszuspucken. Sie verfügt über ein so gewaltiges Arsenal an Intensität, an lustvollem Spiel mit Blicken und Sprache. Sie hat auch eine Körperlichkeit die ich fürs Kino unheimlich aufregend finde. Ich empfand sie nur als noch ein wenig unterrepräsentiert und unentdeckt. Deswegen war ich auch immer wild entschlossen den Film nur für sie zu machen und auch nur mit ihr zu machen. Es war dann auch etwas anstrengend, als ich ihr endlich gegenüber saß und ihr das Buch anbot. Wenn man das Buch und die Figur nur für sie gemacht hat, dann ist die Erwartungshaltung, dass man zur Tür rausgeht und sie anfängt das Buch schwitzend vor Aufregung zu lesen und drei Stunden später anruft. Stattdessen hat sie mich eine Woche lang schmoren lassen. Das hängt höchstwahrscheinlich damit zusammen, dass sie vor allen Dingen erst einmal verdauen musste, was da alles auf sie zukommt. Sie hat zu mir gesagt, ich hätte vor 25 Jahren zu ihr kommen sollen, da wäre sie wenigstens 20 Jahre und nicht so angestrengt davon gewesen, was sie hier alles auspacken müsse. Darauf habe ich erwidert, dass sie damals noch nicht über die nötige Erfahrung verfügt hätte. Sie hätte es damals nicht spielen können. Der Film handelt von uns heute. Er handelt von erwachsenen Menschen. Sie war die Einzige und das hat sie dann natürlich eingesehen.

filmtogo: Ein weiterer wichtiger Aspekt des Films ist natürlich auch die Kultur. Mit den Kinobesuchen, dem Theater, dem Ballett und natürlich auch Hanna als Kulturmoderatorin und Simon als Kunsttechniker nimmt die Kultur innerhalb des Filmes eine wichtige Rolle ein.

Tykwer: Kultur existiert irgendwie schon immer als sozialer Begegnungsraum. Aber die Kultur hat, zumindest bei uns Westeuropäern, einen Anteil an unserer Alltagsrealität, der mir im Kino unterrepräsentiert erscheint. Ich glaube, dass sich wahnsinnig viele Menschen inzwischen über kulturelle Produkte oder Produktionen identifizieren. Sie erschaffen sich darüber Begegnungsmöglichkeiten. In jedem Kennenlerngespräch geht es überwiegend um vergleichende Verhandlungen von Geschmäckern. Diese Gespräche beziehen sich auf ein Buch oder auf einen Film. Es ist ja nicht so, dass nur große oder mittelgroße Städte kulturell etwas zu bieten haben. Es gibt dann doch überall ein Theater in der Nähe und es gibt natürlich auch überall ein Kino, meinetwegen auch eine Buchhandlung. Natürlich gibt es auch überall Konzerte, seien es Klassik oder Popmusik. Obendrein gibt es natürlich auch noch das Internet, das sozusagen als Hauptkommunikationsplattform Kultur vermittelt. Wenn man auf Facebook ist und sich eine Seite anguckt, dann sind da Leute die sich auf eine bestimmte Weise selbst vorstellen. Das ist ja auch der Sinn von Facebook, dass die Menschen sich präsentieren und repräsentieren. Sie definieren sich dort in der Regel durch ihr Lieblingsbuch, ihre Lieblings-CD, die Lieblingsband, den Lieblingsfilm, das Lieblingsevent und all diese Dinge. Das alles sind kulturelle Ereignisse über die man sich definiert. Dieses Phänomen ist für mich dermaßen umfassend, dass es für mich dringend an der Zeit war es zu einem Teil eines Filmes werden zu lassen.

filmtogo: Du bist mit einer gewissen Leichtigkeit an die Thematik von Simons Wechsel von der Heterosexualität zur Bisexualität herangegangen. Denkst du es war einfach an der Zeit, das nicht mehr so sehr in den Mittelpunkt zu stellen, sondern zu sagen, dass es nun einmal so ist. Die Tatsache gar nicht so sehr in den Fokus zu nehmen?

Tykwer: Der Film nimmt diesen Schritt von Simon schon sehr ernst. Der Film ist nicht flapsig im Umgang mit dieser Situation, die für Simon als Grenzüberschreitung empfunden wird. Aber er macht natürlich auch kein Drama daraus, weil es keines ist. Es ist kein Drama, weil wir heute anfangen müssen anzuerkennen, dass wir uns in der spätmodernen Aufklärungsepoche, in der wir uns befinden, nun wirklich schon lange darüber einig sind, dass wir keine sexuell festgelegten Wesen sind. Das sehen wir inzwischen auch ein und empfinden es nicht mehr als skandalös, peinlich oder fremd. Zumindest in der Theorie. Ich glaube, dass wir alle dazu bereit sind zuzugeben, dass wohl kaum ein Mensch zu 100 Prozent Hetero- oder Homosexuell ist. Er ist viel eher irgendwo auf einer Skala zwischen 1 und 100 zwischen den Polen angesiedelt. Mehr in die eine oder in die andere Richtung. Aber wir haben alle sozusagen auch eine andere Seite in uns. Es ist immer wieder erstaunlich, dass es in der Praxis nicht auch so einfach ist, einen Weg zu finden, anders damit umgehen zu können. Wir fühlen uns natürlich sehr verpflichtet den bürgerlichen Idealen und den gesellschaftlichen Mustern zu entsprechen. Die verlangen von uns, dass wir dann doch eine Kleinfamilie gründen. Diese Kleinfamilie stellt dann die Basiszelle des gesellschaftlichen Konstrukts dar. Darauf basieren sowohl unser Steuerrecht als auch unsere ganze Architektur. Diese Wohnzellen, wie sie hergestellt werden, wären ja völlig sinnlos wenn sich auf einmal Menschen in Zehner-Rudeln zusammenraufen würden.

filmtogo: Gibt es schon Pläne für die Zeit nach "Drei"?

Tykwer: Ich beschäftige mich mit einer Adaption von einem Roman. Der heißt "Der Wolkenatlas" und ist von David Mitchell. Der Roman hat mich bereits vor ein paar Jahren völlig geflasht. Ich bin jetzt seit mehreren Jahren damit beschäftigt die Finanzierung auf die Beine zu stellen. Das ist ein monströses Projekt. Es spielt in sechs verschiedenen Zeitaltern und auf vier verschiedenen Kontinenten. Es ist gelinde gesagt maßlos.

Der Film "Drei" von Tom Tykwer läuft ab dem 23. Dezember in den deutschen Kinos.

Das Interview führte Denis Sasse.


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