Im Durchschnitt

Von Robertodelapuente @adsinistram
Letzte Woche konnte ich in der Zeitung lesen, dass mein Geldvermögen geklettert sei. Als ich dann noch so ein Radio-Feature gehört habe, in dem es hieß, die Deutschen würde immer reicher, da glaubte ich es sogar. Nicht übel, dachte ich mir, endlich mal Dry Aged Beef statt Discount-Hackfleisch, das mit Mehlpampe und Rote-Beete-Saft "angereichert" wird.
Der Gang zur Bank war ernüchternd. Der Blick auf das Konto trist. Es hatte sich nichts geändert. Auf meinem Konto lag kein Dry Aged Beef, sondern die übliche Summe, die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist. Da lebe ich seit 35 Jahren in Deutschland, in dem Land, das immer reicher wird und ich gehöre mal wieder nicht dazu. Leute, Integration sieht anders aus.

Beim Abholen von Vermögenswerten?

So wenig integriert fühlte ich mich zuletzt, als Terra X "die Deutschen" erklärte. Der durchschnittliche Deutsche heiße Thomas Müller. Da war ich schon raus aus der Geschichte. Er habe außerdem ein Nettoeinkommen von mehr als 3.000 Euro im Monat und ein Haus. Den Deutschen gehe es so gut wie nie, sagte die Stimme aus dem Off stolz. Und ich? Ich war wieder mal nicht dabei. Ich heiße ja auch nicht Thomas Müller. Ob da ein Namenswechsel nützt? Aber auch der kostet ja Geld. Jeder Strohhalm, zu den immer reicher werdenden Deutschen aufzusteigen, wird einem wie mir verwährt.
Gehört es nicht auch zur Eigenart "der Deutschen", sich im Durchschnitt einzurichten, sich zwar persönlich unwohl oder arm zu fühlen, aber durchschnittlich trotzdem zufrieden zu sein? Dass die Deutschen immer reicher werden, plärre man mal in die Wartehaale eines Jobcenters. Und auch die Menschen in Deutschland, die sich mit Leiharbeit verdingen, werden kaum reicher geworden sein. Aber vielleicht fühlt sich der Leiharbeiter ja trotzdem gut, weil er auch sein Quäntchen zum Durchschnittswert beigetragen hat.
So ein Leben im Durchschnitt macht zufrieden. Man hat dann 3.000 Euro Monatseinkommen, obgleich man für einige lausige Mücken schuften muss. Hat ein Haus, obwohl man eine Wohnung in einem Brennpunkt bezog. Und man gehört plötzlich zu einer aufsteigenden, immer reicher werdenden Art, auch wenn man faktisch immer weniger Kaufkraft darstellt.
Im Durchschnitt sind wir zufrieden, sind wir reich, sind wir ständig im Aufwind. Aber was ist das für eine Gesellschaftsauffassung, in der der Durchschnitt seine Alles-läuft-rund-Tyrannei entfaltet? Ob Terra X "die Deutschen" erklärt oder Zeitungen schreiben, dass die Deutschen immer reicher würden: Da wird die Gesellschaft stets von oben herab gelesen und gedeutet, errechnet und verschleiert. Leute wie ich, unsaturiert und unsicher, sind da kein Gradmesser. Wir gehen im Durchschnitt unter.
Durchschnittlich ist also alles in Ordnung. Durchschnittlich gibt es keinen Grund zu jammern, denn durchschnittlich geht es aufwärts. Nur jede unterdurchschnittliche Regierung, in einem Land voller unterdurchschnittlich kritischer Intelligenz, feiert den Durchschnitt als grandiosen Erfolg. Mich ärgern solche Durchschnittsangaben nicht nur durchschnittlich, im Durchschnitt halte ich sie für einen Betrug an meiner Lebensrealität. Nicht mal im Durchschnitt bin ich erfasst.