Im Dienste des Prinzen

Es fragt sich ja schon, weshalb ich mir eigentlich eine berufliche Herausforderung zulegen musste, wo doch die Aufgabe als Leibwache und Kammerzofe des Prinzchens herausfordernd genug ist. Meist fängt es schon in den frühen Morgenstunden an, wenn alle Bediensteten des jungen Herrn noch im Bett liegen, der junge Herr aber wegen einer vollen Windel nicht mehr im Bett liegen mag. Nun würde man ja erwarten, dass so ein kleiner Adliger ein Gebrüll anstimmt, um all sein Personal herbeizurufen. Aber das Prinzchen mag nicht warten, bis jemand kommt und entledigt sich der schmutzigen Windel gleich selbst, entsorgt sie brav im Windeleimer und macht sich dann auf Entdeckungstour in der Wohnung. Dass er dabei Spuren hinterlässt, kann ihm egal sein. Wozu hat man denn Diener, wenn nicht zum Beseitigen der Spuren? Irgendwann möchte das Prinzchen nicht mehr ohne seine Entourage sein und schleicht sich zum Bett seiner Eltern. Diese erwachen nicht wegen des süssen Gebrabbels aus prinzlichem Munde, sondern wegen des widerlichen Gestanks, der von dort kommt, wo eigentlich eine Windel sein sollte. Vielleicht erwachen sie auch, weil es dem Prinzchen nicht gelungen ist, sich eine Hose über den schmutzigen Hintern zu ziehen und er jetzt brüllend mit zwei Beinen in einem Hosenbein feststeckt.

Und jetzt geht es los. Während der eine sich mit dem Putzlappen in der Wohnung auf Spurensuche macht, versucht die andere, den jungen Herrn zu säubern, ohne dabei den Kinderschutz auf den Plan zu rufen. Denn Prinzchen und Wasser, das passt nicht zusammen. Nicht baden, nicht duschen, schon gar nicht Haare waschen. Wasser ist zum Trinken da. Und zum Herumspritzen am Lavabo. Aber Saubermachen ist das Letzte und das sollen alle wissen, die im Umkreis von zwei Kilometern wohnen. Meist bringt man das Kind mit Mühe und Not sauber, steckt es in saubere Kleider – so man denn etwas findet, was sich der junge Herr ohne Protest und Gezeter überziehen lässt, weil ihm Farbe und Aufdruck für einmal zusagen – und man denkt, man könne jetzt den Tag ruhig und beschaulich angehen.

Kann man aber nicht, denn Beschaulichkeit ist nicht des Prinzen Stärke. Die Beschaulichkeit gehört dem Zoowärter und ein Prinz grast nicht auf fremden Wiesen. Er weiss ja, was sich gehört. Der Prinz im Hause ist zuständig für Abenteuer, Klettertouren und Entdeckungsreisen. Und so verbringt man den Rest des Tages damit, das Kind von der Lehne des Trip Trap herunterzuholen, auf die es geklettert ist, um den Inhalt des Gewürzschranks genauer unter die Lupe zu nehmen und zu testen, wie sich scharfes Paprika und sanfte Prinzenaugen miteinander vertragen. Wenige Momente später muss die Türe bewacht werden, was leider nicht mehr geht, indem man die Türe abschliesst. Musste er vor wenigen Wochen noch mühsam einen Stuhl herbeischleppen, um das lästige Schloss zu öffnen, genügt es heute, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellt und schon ist sie da, die grosse Freiheit. Nun mag man sich fragen, weshalb er denn nicht rausdarf. Immerhin stattet er meist einen Besuch bei der Grossmama ab, die einen Stock tiefer wohnt. Und gegen einen Besuch bei ihr wäre tatsächlich nichts einzuwenden, könnte man denn sicher sein, dass er auch wirklich dort ankommt. Hin und wieder schnappt sich der junge Herr nämlich auch die Gummistiefel des grossen Bruders und dann geht’s ab in den Garten, wo das noch viel zu grosse Laufrad getestet werden will. Nun gut, auch dagegen wäre grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn denn das Prinzchen eine Hose und eine Jacke tragen würde. Und wenn man sich darauf verlassen könnte, dass das Gartentor für ihn die Grenze ist und er nicht das Territorium ausserhalb seines Reiches erkunden würde. Und dieses Territorium heisst nun mal Strasse und ist vollkommen untauglich für einen kleinen, abenteuerlustigen und unvernünftigen Prinzen.

Irgendwann stellt man sich die Frage, ob der Tag vielleicht einfacher würde, wenn das Prinzchen sich ein wenig aufs Ohr legen würde. Müde ist er ja und man selber könnte man eine Pause auch ganz gut gebrauchen. Aber ist Müdigkeit denn ein Grund, sich schlafen zu legen? Nein, denn wenn man müde ist, kann man für viel mehr Action sorgen. Dann kann man sich mit den grossen Brüdern anlegen – und herzzerreissend heulen, wenn die sich zur Wehr setzen – Orangensaft verschütten, weil man den Becher nicht mehr trifft, über die eigenen müden Beine stolpern und dergleichen. Macht doch unglaublich viel Spass, aber Mama spielt nicht mit und zwingt den jungen Herrn trotzdem ins Bett. Aber wo man schon im Bett liegt und Mama so friedlich nebendran, könnte man ihr ja gleich zeigen, wie geschickt man sich im Schlafsack über das Gitter des Betts schwingen kann. Aber diese humorlose Mama will nichts davon sehen, will nur langweilige Lieder singen und schläft am Ende selber fast ein.

Meist ergibt sich das Prinzchen dann doch noch dem Schlaf und die Bediensteten atmen auf: Ein paar Momente der Ruhe, in denen man über all die Spässe, die der junge Herr sich wieder erlaubt hat, lauthals lachen kann. Lange dauert die Ruhe nicht, denn bald schon steht er wieder da, mit zerzaustem Haar und schelmischem Blick und verkündet: „Han guet gschlafe!“ („Ich habe gut geschlafen!“) und dann geht’s weiter mit Klettern, Entdecken und Saft verschütten. Bis zum späten Abend, wenn er sich endlich zur Ruhe legt und wir Bediensteten an seinem Bett stehen und zueinander sagen: „Ist er nicht zum Fressen, dieser süsse kleine Tyrann?“

Im Dienste des Prinzen



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