“Im August in Osage County” von John Wells

Der pure Horror: Familienzusammenkunft in John Wells'

Der pure Horror: Familienzusammenkunft in John Wells’ “Im August in Osage County”

Ein einziger Bundesstaat trennt die Ödnis des ländlichen Nebraskas, wie wir es in Alexander Paynes Familienstudie um einen Vater/Sohn Roadtrip kennengelernt haben, von der ebenso kargen Landschaft Oklahomas, wo die Institution Familie scheinbar ein ähnlich disharmonisches Konstrukt darstellt. In Oklahoma liegt Osage County, im August mit einer Temperatur von über 40 Grad Celsius geradezu ausgedörrt. So trocken, nüchtern und lieblos, emotional ausgetrocknet von jahrelanger Verachtung füreinander, gibt sich auch die Großgemeinschaft, die in John Wells‘ Im August in Osage County am Esstisch zusammen kommt, um den Tod eines Familienmitglieds zu betrauern, nur um sich gegenseitig zu zerfetzen.

Wells, zuvor mit Arbeiten für die Fernsehserien Emergency Room und Shameless beauftragt, 2010 mit seinem Spielfilmregiedebüt Company Men in die Kinolandschaft gewechselt, arbeitet sich für sein zweites Langfilm-Regiewerk an dem gleichnamigen mit einem Pulitzer Preis ausgezeichneten Theaterstück von Tracy Letts entlang. Während Letts, auch für das Drehbuch zum Film verantwortlich, sein Stück nach einem Gedicht von Howard Starks benannte (August: Osage County), dass ihm als Inspiration diente, schweben über Wells‘ Verfilmung die Worte „Das Leben ist lang“, von T. S. Eliot übernommen. Das trifft sicherlich für das Leben von Beverly Weston (Sam Shepard) zu, der sich lieber in seine angesammelte Literatur flüchtet als seiner Tyrannin von Ehefrau (Meryl Streep) zu begegnen, die Tablettensüchtig durch das Haus rennt, schreit, wie eine Furie durch die Räume stürmt.

Tyrannin: Meryl Streep als Violet Weston

Tyrannin: Meryl Streep als Violet Weston

Mit so einer Frau an der Seite kann das Leben wahrlich lang erscheinen. So lang, dass Literatur alleine nicht ausreicht um sich in andere Welten zu denken, der Alkohol wird für Beverly zum treuen Wegbegleiter, der ihn jedoch schon bald vom Wege abbringt und ihn vom Leben erlöst. Der herbeigeführte Tod des Mannes führt dann seine Familie wieder zusammen, aber auch hier wird deutlich, dass sie alle bereits ein langes Leben hinter sich haben, so jung sie auch sein mögen, und ihnen allen ein noch viel längeres Leben bevorsteht. Die Länge des Lebens als Qualen die man zu erleiden hat. Nirgendwo zeigen sie sich schöner als in dieser Familienkonstellation.

Das Leben ist lang, umso länger wenn man es alleine verbringen muss. Das bekommt Meryl Streeps Violet zu spüren. Zwar flüchtet sie sich in starke Worte, zerbricht aber auch immer wieder an der Situation ihres Lebens. Die Matriarchin vergrault ihre eigene Familie Stück für Stück, bis ihr nur noch die Flucht in die Arme ihrer Haushälterin bleibt. Der Krebs frisst sie auf, die Sucht nach den Pillen wird zur Last für ihre drei Töchter, die ihr zwar helfen wollen, aber selbst in nicht weniger schwierigen Verhältnissen leben. Meryl Streep agiert hier grandios, als gerupftes Huhn, bildlich wenn sie ihre Perücke abnimmt und die Folgen von Violets Krebserkrankung zum Vorschein kommen, sinnbildlich wenn sie von ihrer Tochter Barbara (Julia Roberts) geradezu gerupft wird, um am Boden liegend in Verteidigungshaltung zu gehen. Die starke Frau mag ein verbaler Stimmungskiller in jeder Situation sein, hinter der Fassade steckt jedoch pure Schwäche. Die Wahrheit ist, dass Violet eine verwirrte und verletzte alte Frau ist.

Julia Roberts (links), Meryl Streep (mitte) und Julianne Nicholson (rechts)

Julia Roberts (links), Meryl Streep (mitte) und Julianne Nicholson (rechts)

„Liebe ist für die Ewigkeit“ heißt es in einem optimistischen Moment, aber eigentlich geht dieses überaus lange Leben, das jedes der Familienmitglieder lebt, über die Ewigkeit hinaus. So verschwindet auch hier jegliches Liebesgefühl, wenn es nicht ohnehin schon so ausgedörrt wie die Einöde Oklahomas ist. Violet zerrt an dem Verlust ihres Mannes, ihre Tochter Barbara hat sich gerade erst von ihrem Gatten Bill (Ewan McGregor) getrennt, dem es irgendwann auch genug wird, der die gemeinsame Tochter Jean (Abigail Breslin) einpackt und davon fährt um nimmer wiederzukehren. Tochter Karen (Juliette Lewis) taucht sowieso jedes Jahr mit einem neuen Kerl auf – der Neueste (Dermot Mulroney) nimmt lieber Drogen und macht sich an die junge Jean heran, als dass er sich für Karen interessiert – und Ivy (Julianne Nicholson), die dritte Tochter des Familienclans, verliebt sich in ihren vermeintlichen Cousin Charles (Benedict Cumberbatch). Aber selbst diese Verbindung wird am Ende gesprengt, mit größtmöglicher Tragik.

So ruhig Alexander Payne sein Nebraska zum Abschluss brachte, ein Faustschlag war das Höchste aller Gefühle, so sehr eskaliert Im August in Osage County hier bereits zur Hälfte des Films. Hier findet das Familiendinner statt, das nur umso mehr beweist, dass Familie nicht automatisch ein zusammengeschweißtes System darstellt, sondern viel mehr eine Gruppe von Menschen aneinander bindet, mit denen man sich im schlimmsten Fall arrangieren muss, denen man nun eben nicht ohne Weiteres aus dem Weg gehen kann. Die Ruhe Oklahomas, immer wieder in kurzen Landschaftsaufnahmen eingefangen, täuscht hier nur über das stürmische Innenleben hinweg.


Im August in Osage County”Im August in Osage County”

Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA, 2013
Länge: ca. 121 Minuten
Regie: John Wells
Darsteller: Meryl Streep, Julia Roberts, Chris Cooper, Ewan McGregor, Margo Martindale, Sam Shepard, Dermot Mulroney, Julianne Nicholson, Juliette Lewis, Abigail Breslin, Benedict Cumberbatch, Misty Upham

Kinostart: 6. März 2014
Im Netz: imaugustinosagecounty.de

Bilder © Tobis Film GmbH & Co. KG



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