Michelangelo: Erschaffung des Menschen. Fresko von 1508 – 1512 in der Sixtinischen Kapelle
Früher gab es auf Fragen nach der Entstehung unserer Welt stets eine einfache Antwort, die Nachfragen erübrigte, da sie endgültig zu sein schien. Denn in der Bibel, speziell im Alten Testament, konnte man nachlesen, wie alles angefangen haben soll. Im Buch Genesis wurde die Schöpfung unserer Welt beschrieben. Gott schuf die Erde und das Paradies, setzte Adam als ersten Menschen hinein und gab ihm die Eva zur Seite. Dann war da leider die Sache mit dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, von dem die beiden nicht essen durften. Sie taten es aber trotzdem, was der allwissende Gott bereits vorher wusste, denn seine Allwissenheit bezieht sich auch auf das Zukünftige, sagt der Kurz-Katechismus. Demnach hat er die beiden ersten Menschen wissend ins Verderben gehen lassen, offenbar eine göttliche Eigenschaft. Die Folgen sind bekannt.Später gab es einen Noah, viel später allerdings nicht mehr, der auf Geheiß Gottes eine Arche baute, um auf diese Weise die danach von Gott geschickte weltweite Sintflut zu überleben, die auf grausame Weise alles Leben auf der Erde, auch das tierische, zerstörte. Das alles war, wenn zwar nicht jedem, so doch vielen bekannt. Eine moralische Wertung solcherlei Tuns fand aber nicht statt. Der Pastor hat es erzählt, der Bischof und auch sonst eigentlich jeder. Gott schuf die Erde und ebenso alles andere aus dem Nichts, es war Gottes “Creatio ex nihilo”. So war früher die Wahrheit. Die Kirche sagte nicht, dass es so hätte sein können, nein, sie sagte, dass es so und nicht anders abgelaufen sei. Wer damals geäußert hätte, dass diese Darstellung ein Märchen wäre, dem hätte sie einen Bund mit dem Teufel vorgeworfen.
Im Jahre 1996 ging Papst Johannes Paul II. – inzwischen in der Hierarchie der katholischen Kirche zum Heiligen aufgestiegen – eben diesen Bund ein, als er nämlich der Welt überfällig offiziell die Erkenntnis des Vatikans mitteilte, dass am Anfang des Universums ein so genannter Urknall (Big Bang) stand. Davor waren Adam, Eva und Noah real, danach standen sie nur noch für ein Gleichnis. So reagierte die Kirche auf den Urknall. Ihre Erkenntnis war das Ergebnis der Wissenschaft, und die Kirche, wollte sie nicht als rückständig gelten, musste ihr geschöpftes Paradies deswegen notgedrungen beiseitelegen und der Wissenschaft zustimmen. Obwohl auch heute noch Pastoren in ihrer Predigt gerne in einer Art und Weise davon reden, als wenn es immer noch die Wahrheit wäre. Der Papst sagte nicht, dass es das Paradies, Adam und Eva überhaupt nicht gab. Er sagte nicht, dass die gläubigen Christen jahrhundertelang an ein Märchen geglaubt hatten, und die Kirche ihnen das Märchen erzählt hatte. Die Theologen werden zwar darauf hinweisen, dass der Mensch in seiner Entwicklung zu neuen Erkenntnissen komme, aber sie lassen dabei völlig außer Acht, dass nach ihrer eigenen Darstellung die Bibel Gottes Wort darstellt. Demnach ist das, was da in Genesis über die Schöpfung steht, zwar Gottes Wort, aber es ist zugleich ein Märchen. Gott war also ein großer Märchenerzähler.
Der Verursacher dieses Urknalls ist für die Kirche natürlich ihr Gott, wer sonst, bei “Creatio ex nihilo” ist es geblieben. Dass am Urknall selbst nach diesem Modell der Wissenschaft eine Temperatur von Zig Milliarden Grad herrschte, und die Frage erlaubt sein muss, warum denn Gott einen energetisch so extremen Weg gewählt hatte, obwohl er doch laut Kirche nicht an die Naturgesetze gebunden war und ist, soll hier nur am Rande erwähnt werden, obwohl es schon interessant wäre, zu erfahren, wie die Kirche diese Temperaturen interpretieren will. Auch wäre es aufschlussreich, zu hören, warum Gott solch ein unbeschreiblich riesiges Universum erschuf, nur damit dabei die, ab dem Urknall gerechnet erst rund zehn Milliarden Jahre später entstehende, relativ klitzekleine Erde abfiel und der Mensch sich dort entwickeln konnte. Außerdem fragt man sich, warum Gott – nach wie vor der eigentliche Schöpfer, so die Kirche – das Leben gerade auf dem Planeten Erde entstehen ließ, wo doch dieser unser Planet noch lange nicht fertig zu sein scheint. Davon zeugen immer wieder Erdbeben und Vulkanausbrüche. Gab es denn für uns im weiten Universum kein ruhigeres Plätzchen? Man stelle sich vor, die Raumfahrt fände einst im weiten Weltall Leben, wie wir es bezeichnen würden. Was wäre das für eine unglaubliche Herausforderung für die Kirche, wirklich unglaublich. Vielleicht erfahren wir ja dann von einer Nebenstelle des Paradieses auf dem Mars.
Wie hat man sich eigentlich eine Schöpfung aus dem Nichts vorzustellen? Geht man der Einfachheit halber zunächst einmal davon aus, dass vor der Erschaffung des Universums eben nichts vorhanden war außer Gott – ohne dass dabei der Zustand des Nichts definiert wird –, dann würde das bedeuten, dass Gott, der ein Wesen sein soll, womit die Kirche eine Person ohne Körper bezeichnet, völlig allein im Ich-weiß-nicht-was vorhanden war. Eine direkte Folge dieser christlichen Glaubenslehre ist dann die Frage, warum ein Wesen seit ewigen Zeiten ohne irgendetwas im Irgendetwas sein Dasein fristete. Etwas langweiligeres kann man sich schwerlich vorstellen. Und als dann das Universum erschaffen worden war, war die unvorstellbare Zeit von rund 10 Milliarden Jahren lang nichts anderes als tote Materie für ihn da. Was ergibt das für einen Sinn?
Im Bereich der Naturwissenschaften wird das Nichts häufig als Abwesenheit von Zeit, Raum, Energie und Materie beschrieben. Da in dem so definierten Nichts nicht irgendetwas sein konnte, war auch kein Gott vorhanden. Denn der wäre natürlich irgendetwas gewesen. Auch ein höheres Wesen ist ja etwas, das wird jeder Theologe bestätigen. Demnach stand, saß oder lag ein Wesen, also eine Person ohne Körper, mitten im Nichts, das definitionsgemäß nichts ist, und in dem nichts sein kann. Die logische Schlussfolgerung daraus lautet: Es gab keinen Gott. Oder man muss davon ausgehen, dass dieser Gott selber ein Nichts ist, was vieles erklären würde. Wenn es aber einen Gott geben soll, dann ist er erst nach dem Urknall entstanden, und er wäre demnach nicht bereits seit ewigen Zeiten da. Das würde die Lehre der Kirche in einem wichtigen Punkt verändern.
Uwe Hillebrand