Ihr habt’s gut!

Von Skeltem

Jedes Mal wenn ich mit dem Fahrrad ins Fitness-Studio fahre, bekomme ich hautnah mit, wie der Aufbau Ost funktioniert. Sogar Hintern nah.
Das geht so: Ich rattere über die “Straßen” Reinickendorfs nach Osten und versuche, nicht in ein Schlagloch zu fallen, bzw., bei Regen, in einem zu ertrinken. Zum Glück hat Berlin noch genug Geld, um Schilder aufzustellen. “Vorsicht Straßenschäden”, steht in beunruhigenden schwarzen rot umrahhten buchtaben dort. ‘Danke, Kapitän Offensichtlich’, denken wir dahinschleichenden Verkehrsteilnehmer, bevor wir, abgelenkt, einen Achsbruch erleiden.
Dann nähere ich mich mehr oder weniger ehrfürchtig, der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Ok, um ehrlich zu sein, nähere ich mich fluchend und mit Mühe auf dem Sattel haltend. Dort wo früher der Todesstreifen war, überkommt mich dann eine tiefe Ruhe. Bin ich gestorben? War da noch eine Mine? Nein, ich bin soeben in Brandenburg angekommen. Makelloser schwarzer Asphalt begrüßt mich. Es gibt sogar, schluck, Blumenkübel rechts und links der Straße, die lebendige Pflanzen enthalten!
Irgendwo müssen die mehr als 12 Billionen ja geblieben sein, die seit der “Wende” in den Osten geflossen sind. Und tatsächlich: hier in Glienicke/Nordbahn kann ich auf ihnen Fahrrad fahren. Ich schreibe das nur wenig bitter. Ich gönne den Leuten ihre “blühenden Landschaften”. Und ich weiß, dass das nicht alles so toll ist, wie es sich im verschlafendsten Teil des Kreises Osthavel ausmacht. Aber dann denke ich auch an meine Heimat, wo sich griechische Verhältnisse abzeichnen, und die trotzdem brav den Soli abführen müssen.
Wenn ich dann nach dem Training in den Westen rübermache, bin ich froh, wenn ich das Schild “Berlin. Bezirk Reinickendorf” wieder hinter mir habe. Sicher, die Straßen sind schlecht. Nichts funktioniert richtig, siehe Flughafen und andere Großprojekte. Berlin ist arm, das weiß jeder, aber immerhin sexy. Und Glienicke/Nordbahn – so schön es ist, so gepflegt es ist, so ruhig es ist – ist sexy wie ein Swingerclub in Hobbingen.
Dann werde ich wieder fast über den Lenker geschleudert und frage mich, ob Sex nicht total überbewertet wird.