Idles: Mehr geht nicht

Idles: Mehr geht nichtIdles
Support: JOHN
München, Ampere, 16. November 2018
Das Bild entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie: Da steht also ein Mann auf der Bühne, brüllt mit Inbrunst Richtung Publikum und das antwortet ihm mit begeisterten Schreien und zur Zustimmung wütend in die Luft gestreckten Mittelfingern. Allerdings besteht dieses Publikum größtenteils aus grimmig aussehenden, teilweise kahlgeschorenen Männern und der auf der Bühne textet in etwa wie folgt: „Die Maske der Männlichkeit ist eine Maske, die mich ausmacht … Ich bin ein richtiger Mann, ich weine und ich mag mich, möcht‘s versuchen – das alles passiert, weil Du Deinen Vater niemals weinen gesehen hast, weil Du ihn niemals weinen gesehen hast!“ und gleich darauf noch ein Popzitat hinterher: „I kissed a boy and I liked it!“ Das geht sehr deutlich gegen alles, was am Bild des Mannes von heute gestrig ist und was es nachhaltig ins Wanken bringt, gegen die über Generationen vererbte Schule der väterlichen Härte, gegen das längst überkommene Patriarchat.
Der Mann auf der Bühne ist Joe Talbot, Sänger der britischen Punkband Idles. Talbot ist selbst Vater und Sohn eines sehr dominanten Künstlers, er hadert, so sagt er, mit dessen Rolle in seinem Leben und liebt ihn gleichzeitig, auf seine Weise. Die Idles sind zur Zeit wohl eine der besten Livebands, die der Rockzirkus zu bieten hat – laut, aggressiv, politisch. Sie lieben Europa und verdammen den Brexit, der ihr Land in einen chaotischen Strudel aus Selbstzerfleischung, wirtschaftlichem Offenbarungseid und sozialer Destabilisierung getrieben hat („We are fucked, we are really fucked!“). Und sie werden nicht müde, dagegen anzusingen, brandmarken Nationalismus, fehlende Mitmenschlichkeit, Verwahrlosung und die Ohnmacht der Unterschicht. Ihr zweites Album „Joy As An Act Of Resistance“ steht dem Debüt „Brutalism“ an Wucht und ungebremsten Zorn in nichts nach, auf der Bühne gewinnt das Ganze nochmals an Schärfe.
Talbot gehört zu der Sorte Menschen, deren stete Wachsamkeit sich am ehesten aus ihren Augen ablesen läßt. Schon bei seinem letzten Besuch auf dem Münchner PULS-Open-Air tigerte er schon Minuten vor dem Auftritt nervös am Bühnenrand umher und sondiert die Umgebung, auch im vollgepackten Ampere ist er von Beginn an unter Hochspannung. Sein Blick bohrt sich geradezu in den wilden Mob zu seinen Füßen, er benennt „Dickheads“, wenn sie ihn nerven und widmet manchem neuen, guten Freund spontan den nächsten Song. Der Sound ist brachial, kein Stück fehlt – nicht die Hymne „Mother“, nicht das eingangs zitierte „Samaritans“ und selbst das wunderbare Solomon-Burke-Cover „Cry To Me“ kommt auf die Bretter. Die Band ist mit viel Spaß bei der Sache, allen voran der irre Gitarrist Mark Bowen, der immer ein wenig aussieht wie die noch durchgeknalltere Version von Eric Idle. Irgendwann stehen dann die Gäste von unten plötzlich oben an den Instrumenten, es klingt schräg, noch schräger, Ausgelassenheit, unendlicher Spaß. Wenig später verschwindet Talbot aus dem Lichtkegel des eifrigen best boy, Bowen schreit noch mal in die Menge, keine Zugabe, vorbei. Mehr geht nicht.

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