ICSI-Protokoll Woche 2

Von Knitterfee

Zyklustag 8 – Mittwoch, 14.10.2015

Während ich meinen ersten Wochenbericht schreibe und veröffentliche, bröselt mir der ganze Tag unter den Händen weg, bis ich Abends auf der Couch (die ein Futon ist, und die ich nicht besonders mag) zusammengekauert zusammenklappe und für 5 Minuten einfach vollständig die Fassung verliere. Und natürlicher übertreibe ich, ich war schon weitaus schlimmer drauf. Und nach 5 Minuten war der Spuk vorbei – auch wenn es nicht der letzte dieser Art bleiben wird.
Beim Abendessen (8 Minutenschnitzel, 500g Rosenkohl, 300g Möhrchen und Mayo für 2.) diskutieren wir über Sinn und Unsinn von Followerpower, ob wir in den „Healthy Baby Code“ investieren wollen und stellen fest, dass ich ziemlich aufgeschwemmt bin, meine Haut dafür aber ganz gut ist.

Zyklustag 9 – Donnerstag, 15.10.2015

Ich nehme einen Haufen Nahrungsergänzungen und fühle mich ein wenig wie eine gestopfte Weihnachtsgans. Appetit bleibt weiterhin tagsüber eher eine Randerscheinung. Ich fühle mich wie eine Henne – immerhin nicht ständig wie eine Weihnachtsgans. Ansonsten Arbeit, Arbeit und Arbeit. Da wir um 18 Uhr einen Tisch zum Tapas essen reserviert haben, muss ich meine tägliche Kamerazeit machen, während ich mich schminke. Ich habe das Gefühl, dass meine Konzentration immer schlechter wird, gerade wenn ich etwas erzählen will. Auch die Tage vergehen so, wenn ich mir keine Notizen machen würde, könnte ich das hier jetzt nicht mal niederschreiben, weil ich mich an nichts mehr erinnern würde. Der Abend ist schön, Tapas sind lecker, und ich rege mich beim spätabendlichen Klopapier-Kauf beim REWE darüber auf, dass der Kundin vor mir bestimmt noch nie ein Arzt Vorträge über ihre Ernährung gehalten hat, weil sie völlig normalgewichtig aussieht, ihr Einkauf aber nur aus gezuckertem Joghurt, Toastbrot, Haribo und TK-Pizza besteht.

Zyklustag 10 – Freitag, 16.10.2015

Follikel-Scan 2. Wieder eine andere Ärztin. Wusste ich vorher, war mir auch ganz recht. Auf Instagram fragt mich jemand, in welcher Klinik sind. Ich will das momentan aber noch nicht sagen, unter anderem deswegen, weil wir aus diversen Gründen ziemlich unzufrieden sind und ich diese Klinik nicht weiterempfehlen kann. Auf der anderen Seite will ich diesen Behandlungszyklus auch erst einmal abwarten und vergehen lassen, um dann nochmal mit klarem Kopf darüber nachzudenken, ob es wirklich so gravierend ist, oder ob es vermutlich in jeder anderen Klinik genauso gelaufen wäre.

Ansonsten schnacke ich jemand vom Praxisteam, der kein Arzt ist, eine Kopie unserer Ultraschallbilder ab und lasse mir vorsichtshalber schon das mischen der Brevactid-Spritze erklären. Das Team in der Klinik fängt all das, was von ärztlicher Seite her meiner Meinung nach total falsch läuft, im Rahmen ihrer Möglichkeiten ab und sind immer freundlich, hilfsbereit und warmherzig.
Ergebnis unseres Ultraschalls sind einmal 6 und einmal 5 bis 6 Follikel pro Seite. Blutentnahme. Anruf am Nachmittag und die Info, dass ich Montag Nachmittag nochmal zum Ultraschall kommen soll. Wieder zu einer anderen Ärztin.
Ich beschließe, mir die Ärzte einfach nur noch als Untersuchungsroboter vorzustellen und nicht als Menschen – ansonsten kommt mir meine Vagina so langsam vor wie ein Durchgangsbahnhof – jeder darf mal mit dem Ultraschall reingucken – denn das wird am Montag dann Ärztin Nummer 4 in dieser Klinik und zusätzlich noch meine „Haus-Gyn“ – 5 Ärzte, die mir im letzten halben Jahr im Körper rumgefuhrwerkt haben.

Nach dem Ultraschall fahren wir mit den Katzen zum Tierarzt, Leo zum Checkup und Flix das Öhrchen ansehen lassen, er hatte sich etwas gekratzt und wir wollten das einfach ansehen lassen. Dann Kater wieder nach Hause, zu IKEA, weil ich diverse Samla-Boxen brauche, um meine Produkte für die Fotos ordentlich zu sortieren. Die meisten Produkte behalte ich hier, falls nochmal Nachschüsse kommen.
Aus dem Samla-Boxen-Haul wurde ein Kuscheldecken-Kuschelkissen-Nestbau-Haul. Auch gut.

Dann brachte Christoph das Auto weg und ich bestellte indisch. Essen, und als ich das schreibe ist es kurz nach 20 Uhr und wir sind schon wieder reif für’s Bett.

Zyklustag 11 – Samstag, 17.10.2015

Die Erschöpfung erwischt mich. Ich fühle mich erkältet, müde, depressiv, appetitlos. Die Kinder, die ein Stück weiter die Straße runter Trommelkonzerte sind wieder da und meine Welt ist laut. Die zweite Nacht ohne Doxylamin, das fühlt sich positiv an, obwohl das vermutlich einfach nur meiner Erschöpfung geschuldet ist, nicht tatsächlicher Entspannung.
Nach dem Einkaufen verziehe ich mich erstmal ins Bett und sinniere über angeschwollene Eierstöcke, und wie unnatürlich sich das anfühlt.
Ich versuche mir zu sagen: „Es ist anstrengend, aber es ist machbar.“
Und trotzdem habe ich keinen Bock mehr.
Habe das Gefühl, ich sollte weniger arbeiten – wenn ich am Wochenende einfach auch mal Wochenende machen würde, wäre ich ja vielleicht auch nicht so platt. Man erkläre das meinem kleinen Workaholic-Ego, das schreit nämlich „Aber es ist bald Halloween! Und Weihnachten! Und so viel Arbeit!“
Hmpf.
Abends essen wir Putenschnitzel Hawaii, weil ich nichts anderes essen mag und immer noch angegrummelt bin.

Den Rest des Abends verkrümel ich mich wieder ins Bett, inklusive Ärger darüber, dass meine Libido und meine Eierstöcke momentan einfach kein gutes Team abgeben.

Zyklustag 12 – Sonntag, 18.10.2015

Dritte Nacht ohne Doxylamin. Unruhige wirre Träume und immer wieder festklammern an Christoph im Schlaf. Bereits gestern haben wir einen Ausflug ins Niendorfer Gehege geplant.
Als wir loswollen, schaffe ich es, den Reißverschluss meiner Jacke mal wieder total durcheinanderzubringen und sie klafft recht prominent über meinem angeschwollenen Bauch auseinander.
Für den Rest des Tages tue ich einfach so, als sei ich schon längst schwanger.
Der Ausflug tut gut. Waldruhe und Pilze gucken und mein neues Objektiv mal ausserhalb des Studios ausprobieren.

Zyklustag 6 – Montag, 11.10.2015

Die Nacht war schlecht – ich habe mehrere Stunden gebraucht, um überhaupt in den Schlaf zu finden, immerhin ohne Doxylamin, aber wirre Träume und das typische „zu warm“ Gefühl. Morgens ist Christoph schon aufgestanden, Urlaub vorbei, zwei Wochen waren viel zu kurz. Draußen jemand mit Laubbläser unterwegs, während ich mir Kaffee koche. Bei Leo scheint das Schmerzmittel anzuschlagen, das die Tierärztin ihm verschrieben hat, weil er immer noch etwas mit den Hinterbeinen wegrutschte und Arthrose vermutete.
Bei meiner Therapeutin erzähle ich nur, was in der letzten Woche so passiert ist. Therapeutisch läuft ohnehin nicht viel – als Hausaufgabe soll ich mir eine Situation raussuchen, die mich wütend gemacht hat. Wo soll ich da anfangen? Die Welt und meine reine Existenz machen mich wütend. Dass das sehr depressive Gedanken sind, ist mir klar, und es ist okay, dass es so ist.
Wenn man ein Psycho-Pro ist wie ich, weiß man dass man gerade sehr kurze Depressive Episoden am besten an die Hand nimmt, eine Weile so miteinander geht und sie irgendwann loslässt, damit sie ihren eigenen Weg gehen können.
Der Termin in der Klinik läuft diesmal positiver. Wir müssen zwar wieder einmal ziemlich lange warten, dafür ultraschallt mich heute die Ärztin, deren Name als erster in der Liste steht. Normalerweise gebe ich da nicht viel drauf, aber irgendwie scheint das hier was zu ändern.
Es wird mit mir gesprochen während des Ultraschalls!
Unsere Fragen werden beantwortet!
Wir bekommen endlich einen Behandlungsplan ausgedruckt!

Auf dem Plan stehen netterweise dann auch weitere Daten nochmal, ohne dass wir sie angestrengt erfragen und selber irgendwie notieren müssen.

An den Rest des Tages erinnere ich mich kaum, nur dass ich spätnachmittags mit Janine skype und Christoph mir Essen ins Bett bringt weil ich mich nicht in den unteren Teil der Wohnung begeben mag.
Vorm einschlafen noch ein intensives Gespräch über Zwillinge, meine Angst mit Zwillingen in dieser Wohnung festzusitzen und diverse andere Ängste.
Am Ende steht der Beschluss, Zwillinge zu riskieren und 2 Embryonen transferieren zu lassen.

Zyklustag 7 – Dienstag, 11.10.2015

Nach der intensiven Diskussion habe ich beschlossen, mir doch nochmal mit einem Schlafmittel in den Schlaf zu helfen. Das funktioniert so gut, dass ich erst um 10 von meinem Orgalutran-Wecker aufwache.
Ich beschließe, Woche 2 bereits heute rauszuhauen, weil morgen spritzenfreier Tag ist und ich die nächsten Tage dann nicht mehr in Wochen einteilen will.

Wochenabschluss 2:

Es ist anstrengend, aber es ist machbar.
Je stabiler die Situation ist, in der man eine ICSI beginngt, desto besser, so viel ist klar. Auch als Gedankenwälzer stolpert man immer wieder über Gedanken und Gefühle, die einem so vorher gar nicht in den Kopf gekommen wären. Es hilft, Freunde zu haben, die einen auf die individuell richtige Art unterstützen – und es ist nicht wichtig, dass sie ständig vor Ort sind.
Meine Freunde wissen zum Glück, dass ich kein Getätschel mag, und dass ich nur in Extremsituationen heulend vor jemand anderem als meinem Mann zusammenbreche.

Ich fühle mich fehlplatziert in der Gesellschaft von Instagram-„Kiwumädels“. Auch wenn ich da Worte ein bisschen auf die Goldwaage lege, ich bin kein Mädel, und den Kinderwunsch habe ich nicht alleine. Nun kommt wieder die sexistische Allgemeinheit um die Ecke und sagt: „Ja, aber die Männer verstehen das ja alles nicht, was mit uns passiert!“
Und ich sage: „Sie werden es nicht besser verstehen, wenn Ihr Euch in Foren und Instagram-Gruppen verkriecht und sie nicht mit einbezieht.“
Ich kann nicht erwarten, dass er mich versteht, wenn ich nicht versuche, es ihm zu erklären.
Oder, um meinen Mann zu zitieren:
„Reden ist immer gut. Hilft ja nix wenn du das in dich reinfrisst. Dann können wir lieber nach vorne gucken und sehen wie wir das hinkriegen.“