Ich wurde als Flüchtling geboren

Als ich noch ein Kind war, erzählte mir meine Großmutter häufig davon, wie sie 1948 dazu gezwungen wurde, aus ihrer Heimat Palästina nach Syrien zu fliehen. Sie hoffte, dass ihre Kinder und Enkel niemals erfahren müssten, wie es sich anfühlt, ein Flüchtling zu sein. Doch nun kam es anders. Wir sind eine von hunderttausenden Familien, die Palästina vor Jahrzehnten verlassen mussten. Seit drei Generationen hat meine Familie Flüchtlingsstatus in Syrien. Ich wurde als Flüchtling geboren. Vor eineinhalb Jahren bin ich doppelter Flüchtling geworden:

Meine Familie und ich mussten von Syrien in den Libanon fliehen.

Während der letzten Jahrzehnte ist das Flüchtlingscamp Al Yarmouk in Damaskus das Zuhause von mehr als einer Million palästinensischer Flüchtlinge und Syrer geworden, es wuchs zu einem Stadtviertel heran. Mit dem Beginn der Syrienkrise im März 2011 kamen hier zusätzlich tausende syrische Familien an, die aus der Umgebung fliehen mussten und hoffen, in Al Yarmouk sicher zu sein. Die Großzügigkeit und Gastfreundschaft der Menschen war überwältigend. Wir Palästinenser wissen was es heißt, sein Zuhause verlassen und sein gesamtes Leben zurücklassen zu müssen. Aber das Gefühl von Sicherheit hat nicht lange angehalten. Seit Anfang 2013 steht das palästinensische Flüchtlingscamp unter der härtesten Belagerung, die man sich vorstellen kann. Bis heute sind mehr als 2.150 Menschen hier gestorben. Mehr als 135 Menschen sind verhungert oder starben, weil sie keinen Zugang zu medizinischer Hilfe oder ärztlicher Behandlung hatten.

In der Vergangenheit wusste ich nie genau, ob ich mich selbst mehr als Palästinenser oder als Syrer fühle. Ich habe nie einen syrischen Pass erhalten. Ich besitze nur ein Ausweisdokument, das mich als „palästinensischen Syrer“ beschreibt: Einen Flüchtling für den Rest meines Lebens. Nun, plötzlich, teile ich dieses Schicksal mit denjenigen, die wir früher unsere Gastgeber nannten. Ich fühle das Leid der Flüchtlinge, der Syrer, der Palästinenser und aller Menschen die fliehen mussten. Ich fühle ihre Not, ihre zerstörten Hoffnungen und Träume. Ich fühle nicht mehr nur mein eigenes Leid oder das meiner Familie. Mein Schmerz ist kein einzelner Tropfen in einem großen Ozean mehr. Es fühlt sich eher so an als wäre ich der Ozean, der das Leid jedes einzelnen Flüchtlings in dieser schwierigen Welt aufnehmen muss.

Was mich am Leben hält, was mich jeden Morgen aufs Neue aufstehen lässt, ist der Wille, meine syrischen und palästinensisch-syrischen Landsleute hier im Libanon zu unterstützen. Ich begann als Freiwilliger bei einer Partnerorganisation von CARE zu arbeiten. Rund 1 Million Flüchtlinge im Libanon brauchen dringend humanitäre Hilfe. Sie müssen wissen, welche Rechte sie haben und welche sozialen und medizinischen Dienstleistungen ihnen zur Verfügung stehen. Sie brauchen Nahrung, eine sichere Unterkunft und Schulen für ihre Kinder. Einige Flüchtlinge, mit denen ich arbeite, waren Ingenieure, genau wie ich. Sie waren Ärzte, Lehrer, Bauern und Arbeiter. Wir führten alle ein normales Leben, wir hatten ein gutes Leben, ein Leben wie viele meiner Freunde und Familienmitglieder in Europa, den USA oder Australien.

In dieser Krise fühle ich einmal mehr was es heißt, syrisch-palästinensischer Flüchtling zu sein. Ich möchte nicht, dass wir Palästinenser leiden müssen, aber ich habe auch Angst um die Sicherheit und die Gesundheit meiner syrischen Freunde. Bin ich mehr Palästinenser oder Syrer? Das ist eigentlich keine Frage mehr, die ich mir stelle. Ich weiß, dass ich immer beides sein werde und ich werde nicht aufhören, mich für alle meine Freunde einzusetzen. Bis wir endlich alle wieder ein Leben in Frieden führen und sicher nach Syrien, in unser Land, zurückkehren können.

Von Ali Sandeed, Freiwilliger CARE-Helfer im Libanon

Ali Sandeed_Freiwilliger CARE-Helfer im Libanon

Ich wurde als Flüchtling geboren

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