Helden laufen nicht in knallgrüner Leggins und rotem Umhang durch die Stadt, sie sehen aus wie du und ich. Sie sind wie du uns ich. Sie sind viele, fast jeder Mensch ist für jemand anderen ein Held. Man muss den Helden im Menschen nur entdecken. Denn die meisten Helden wissen nicht einmal, dass sie welche sind.von Kübra Gümüsay
Als ich kürzlich in den USA war, lernte ich Linda kennen. Linda ist eine richtige – und stolze – New Yorkerin mit einem starken Brooklyner Dialekt und stolze Palästinenserin. Sie trägt ein buntes Kopftuch und farblich abgestimmte Kleidung dazu, glitzernd und strahlend. Sie ist hübsch, klug und ziemlich gelassen. Gleichzeitig fix und blitzschnell. Wenn sie erzählt, muss man gut aufpassen. Rein beiläufig erzählt sie Wichtiges, rein beiläufig rührt sie einen Menschen zu Tränen, während sie entspannt weitererzählt.
Linda wurde jung verheiratet. „Er ist ein guter Mensch“, sagt sie über ihren Mann, der erst mit der Heirat von Palästina nach New York kam. Doch sie hatte ganz andere Ambitionen. „Ich wollte studieren und Karriere machen“, sagt Linda. „Ich war richtig gut in der Schule.“ Ihre Eltern, palästinensische Flüchtlinge ohne Bildung, fürchteten um die Zukunft ihrer ältesten Tochter. Und um ihren Ruf.
So heiratete Linda als sie gerade einmal 16 Jahre alt war. Einige Jahre später bekam sie ihr erstes Kind. Ihr Mann war bedacht und verantwortungsbewusst, wie sie sagt. Vor der Heirat hatte er ihr versprochen, sie alles machen zu lassen, was sie wollte, und sie zu unterstützen. Sein Versprechen hat er eingehalten.
15 Jahre später ist Linda noch immer eine junge Frau mit Ambitionen. Sie zeigt mir die Bilder ihrer drei Kinder, zwei von ihnen sind inzwischen größer als sie es ist. Sie sieht aus wie die coole ältere Schwester ihrer Kinder, nicht wie die Mutter.
Dann erzählt Linda ganz beiläufig die Geschichte des Vereins, dessen Vorsitzende sie ist. Die Gründerin war Basemah Atweh, eine junge Araberin in New York, die sich entgegen aller Widerstände von ihrem gewalttätigen Mann scheiden ließ. Und entgegen aller Widerstände auch nicht mehr heiraten wollte. Sie wollte ihr eigenes Leben selber in die Hand nehmen, ihre Kinder selber versorgen.
Basameh hatte es nicht einfach auf ihrem Weg. Aber andere sollen es einfacher haben. Zusammen mit arabischen Ärzten und Anwälten in ihrer Nachbarschaft gründete sie einen Verein – ein Ort, an dem hilfesuchende Frauen Hilfe finden sollen. Wo sie Englisch, Lesen und Schreiben lernen, ihre Sorgen von der Seele reden und Freundschaften aufbauen können.
Der Verein wuchs und wurde ein beliebter Treffpunkt in der Nachbarschaft. Auch Linda engagierte sich im Verein, ihr gefiel die Idee Frauen zu unterstützen und sie durch schwierige Zeiten zu begleiten. Vor sieben Jahren waren Linda, Basameh und zwei weitere Frauen aus dem Verein auf eine Feier für Ehrenamtliche in Washington geladen. Wieder erzählt Linda ganz beiläufig, wie auf der Rückfahrt ein LKW vom Weg abkommt und den Kleinwagen mit den Frauen an den Straßengraben drängt. Wie Linda die Kontrolle über das Fahrzeug verliert, der Wagen in den Graben prallt und Blut aus Basamehs Mund läuft. Die anderen Frauen im Wagen werden schwer verletzt. Linda kommt mit Schürfwunden davon.
Basameh stirbt. Am Tag nach ihrer Beerdigung geht Linda direkt in das Vereinshaus. „Geh, ruhe dich aus“, sagen die Menschen dort. Der Unfall ist gerade mal drei Tage her. „Ich wollte nicht gehen“, sagt Linda. „Ich wollte da bleiben, für Basameh. Weiter machen. Ich schulde ihr das.“
Wenige Monate später überreden die Vorstandsmitglieder Linda den Posten der Geschäftsführerin zu übernehmen. Seitdem investiert sie ihre gesamte Zeit in den Ausbau des Hauses. Sie haben die Räumlichkeiten erweitert, bieten neue Kurse an und wachsen jeden Tag ein wenig mehr.
Linda erzählt von ihrer täglichen Arbeit. Die schönen Geschichten, das gemeinsame Kochbuch, das die Frauen per Hand erstellt haben. Ich kriege eines geschenkt.
Und von der Frau, die vor einigen Wochen im Flur stand. Ihr Gesicht war blutig geschlagen, in der einen Hand hielt sie ihr Koffer, in der anderen ihren fünf-jährigen Sohn. Die Frau bringt keinen Ton raus. Der Sohn stellt sich vor seine Mutter und sagt zu Linda, „Wir gehen nicht mehr nach Hause. Wir gehen weg.“
Linda und ich stehen vor einem Gemälde mit rosa, lila und goldenen Pinselstrichen. „Das ist Basameh“, sagt sie. „Dieses Bild hat eine Freundin für sie gemalt. Basamehs Lieblingsfarben waren rosa und lila. Und diese goldenen Pinselstriche stehen für ihre goldenen Locken.“
„Ich vermisse sie“, sagt Linda. „Sie sagte mir immer: ‚Linda, wir können nicht immer die Umstände der Leute ändern, aber wir können zuhören. Im Zuhören liegt die Kraft.’“
Wir schauen uns das Bild noch eine Weile an. Ich habe Basameh nie getroffen, nie gesehen, aber ich kann sie mir nun vorstellen, durch Linda. Für sie war Basameh eine Heldin. Und während Linda in Erinnerung schwelgend und in tiefer Bewunderung das Bild betrachtet, bewundere ich sie. Auch Linda ist Heldin für jemand anderen. Sie weiß es nur noch nicht.
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