Ich war mal Fachkraft

Fachkraft
Das Bild mit dem Fahrrad ist von Ende 2014, da war ich im Donaucanyon auf dem Weg nach Bulgarien

Ich war mal Fachkraft

Ein Gastbeitrag vom Max

Hallo,

mein Name ist Max und ich bin 2015 mehr oder weniger spontan nach Bulgarien ausgewandert. Ausgelöst durch eine längere Liebesgeschichte habe ich nach 4 Jahren Beruf und Arbeit alle Zelte in Deutschland abgebrochen, alles Hab und Gut verkauft, mich auf mein Fahrrad gesetzt und bin in fast 3 Monaten 2600km nach Bulgarien gefahren. Mein Traum von Frau hatte sich kurzfristig erfüllt, aber sie hat ihre längerfristige Zukunft in Deutschland gesehen…und so bin ich alleine hier geblieben.

Trotz meiner guten Ausbildung und sehr gefragten Berufs habe ich mich damals bewusst gegen eine Karriere als Fachidiot entschieden. Mein Chef wollte sogar die Kosten für meinen Meisterbrief übernehmen, sofern ich nach 5 Jahren die Firma (inklusive 3 Krediten) übernehme, also am Können lag es nicht.

Auslöser dafür alles abzubrechen war auch weniger mein Vermehrungstrieb, als die trockene Realität des deutschen Handwerks: Die Überstunden und durchgearbeitenden Nächte und Wochenenden um allen Wunschterminen gerecht zu werden gingen auf Kosten meines sozialen Umfeldes. Die körperliche Belastung führte zu meinem ersten Bandscheibenvorfall im Alter von gerade mal 24. Wie sich das mit 45 auswirken kann war an meinem Chef zu erkennen: 8 Uhr morgens mit einem Nervenzusammenbruch im Büro sitzen, weil man seine eigenen Kinder zwei Wochen nicht gesehen hat, obwohl sie im gleichen Haus schlafen. Sich die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen, weil die Gelenke zu schwach sind um die zwei Monate alte Tochter im Arm zu halten.

Alex, wenn du das liest, ich habe einen Heidenrespekt vor dir…du bist für viele Menschen, einige Mitarbeiter und einer Reihe von Berufsgenossen der Inbegriff von Meister. Aber ganz so wie du wollte ich dann doch nicht werden.

Seit 2015 in Bulgarien
Jedenfalls, Februar 2015, war ich hier. Bulgarien…mein Mexico. Oder so ähnlich.

Völlig abgebrannt, von der Liebe verlassen, ohne viel Hab und Gut bin ich die ersten Monate in einer Art Eco-Komune nahe Vidin untergekommen. Abeitskraft gegen Lebensmittel zu tauschen machte für mich mehr Sinn, als bunt und mit Ziffern bedruckte Papierschnipsel zu verlangen. Ich war schliesslich ein (unglaublich naiver) Idealist, dem alles Recht war um die Welt (bzw das eigene Weltbild) besser zu machen. Aber auch Idealisten kommen irgendwann an ihre Grenzen. Wie zum Beispiel Eco-Aktivisten, die mitten im Wald den Dieselgenerator anschmeissen um ihr Handy zu laden. Oder heulen, wenn sie Tiertransporter auf dem Highway sehen, aber sich keine Stunde später im Restaurant Fleischbällchen bestellen. Ich weiss nicht genau was mich mehr desillusioniert hat.

Ich jedenfalls wollte meinen Idealismus nicht aufgeben und zog mich Aufgrund eines Auftrags weiter in die Wüste zurück…wie auch immer man die Gegend zwischen Lom und Montana nennt. Dort bezog ich das Haus einer älteren Dame die schon seit 20 Jahren in Dänemarkt lebte, ihre Nachbarn, Schweizer im Niemandsland die zufällig (oder war es Gottes Wille?) dort waren haben alles für mich eingefädelt. Ein Anruf und ich durfte kostenlos in dem Häusschen leben.

Natürlich war diese Lehmhütte baufällig und natürlich habe ich als Handwerker erstmals was daran gemacht…wobei sich erstmals die Fragen des bulgarischen Lebens in der Pampa auftaten. Warum liegt da ein Schornstein im Wohnzimmer? Wer hat mir meine Cola geklaut und wo ist mein Hammer hin? Welcher Mensch verbrennt im Winter seine Fenster um zu heizen? Warum sind die Dosen im Dorfladen älter als die Verkäuferin? Nachdem ich meine Ideale und Überzeugungen an die lokalen Realitäten angepasst habe (ich war buchstäblich im ärmsten Dorf in der ärmsten Region Bulgariens gelandet, der Ort war landesweit bekannt und berüchtigt) stellte ich langsam fest, das die lokalen Ureinwohner mein Prinzip “Tausche Arbeit gegen Essen” nicht verstehen konnten…sie dachten ich hätte eine Art geistige Behinderung und wäre deswegen hier gelandet.

Alles wurde langsam besser

Nach dem ersten Jahr war ich in der Lage einige Brocken bulgarisch zu stottern – die Dorfältesten hatten sichtlich Spass daran mir mit Händen und Füssen die Landessprache beizubringen. Im zweiten Jahr zusammenhängende Wortgruppen und kleine Sätze. Sie verstanden das nicht ich behindert bin…sondern nur mein Weltbild. So haben mir die Leute mehr und mehr das Leben erklärt und bulgarisch beigebracht….und ich im Gegenzug ihre Dächer repariert, die Hofeinfahrt von Hand betoniert, Zäune gezogen, Malern, Mauern und Schreinern gelernt. Damals fragte ich noch meinen Chef, warum ich das alles lernen sollte – dieses Dorf brachte mir die Antwort. Die ersten kleinen Aufträge, das erste bischen China-Müll-Werkzeug. Es war nicht viel, aber mit jedem Schritt verbesserten sich Portfolio und handwerkliche Fähigkeiten, irgendwann fuhr ich für Arbeiten ins Nachbarsdorf.

Handwerk mauer

Zuletzt fertig gestelltes Projekt 2020. Ein traditionelles Dach auf der Steinmauer mit neuer Hoftür…in schwierigem Terrain muss man vielseitig sein.

Es war eine dieser Touren, Anfang 2017, auf denen meinen Reifen platzte und ich musste meinen Weg zu Fuss antreten…8 Kilometer heimwärts. Ich versuchte mich als Anhalter…und irgendwann gabelte mich jemand auf, der jemand kannte, der für eine Zeitung schrieb. Diese Zeitung wurde von einem Redakteur gelesen, der mir ein Kamerateam vorbeischickte. Jemand aus dem reichen Deutschland, wo die Strassen aus Gold und die Wände aus Brot sind, lebt freiwillig im berüchtigten Montana-Lom-Vidin-Delta…als mickriger Maestor. Und ist zufrieden. Die Sensation war perfekt.

Fachkraft

Das Bild vor dem Haus hat der Zeitungsreporter Anfang 2017 geschossen.

5 Minuten berühmt und jeder wollte meine Nummer….jetzt hiess es Spreu vom Weizen trennen. Ich hatte einen Freund in Sofia, bei dem ich mich für mein erstes “Projekt”, aufhalten konnte. Mein Preis, im Rückblick, war lächerlich, mein Gewinn war mager aber trotzdem…mehr als ich jemals zuvor hatte. Ein Lichtblick. Genau zu diesem Zeitpunkt wurde ich von einem Amerikaner mit bulgarischen Wurzeln zum Abendessen eingeladen, im Grunde genommen um seiner Familie mit meiner Geschichte den Abend zu versüssen, doch darauf folgte ein Job von ihm.

Kannst dir das Zimmer im Dach ausbauen, war seine Frage. Ich kann es versuchen, war meine Antwort.

Der erste grössere Auftrag mit richtigem Geld…ich hatte erstmals die Mittel mir eine richtige Bohrmaschiene und eine Flex zu kaufen…ein Wahnsinnsgefühl, selbst wenn ich jetzt daran zurück denke kriege ich Pipi in den Augen. Von da an ging es steil bergauf. Als nächstes war ein ganzes Apartment dran. Ich habe gearbeitet, gelernt, investiert und weiter gearbeitet. Über ein halbes Jahr lang, um meine Vision mit dem Segen des Klienten in die Tat umzusetzen. Zuerst hat er mich nur bezahlt. Nach dem das Apartment in zwei Tagen vermietet war hat er mich noch mal zum Essen mit seiner Familie eingeladen.

Fachkraft bad ausbau

Letztes Hand anlegen im fertig gestellten Badezimmer. Meine bulgarischen Helfer mussten grinsen: “Chef putzt? Chef nicht normal!”

Es war der Start in meine Selbstständigkeit. Von dort an habe ich mich konsequent weiterentwickelt und meine kleine Ein-Mann-“Firma” ausgebaut. Für Prominenz und Geldadel gearbeitet. Meine Verliebtheit in Details, Effizienz und Präzision hat sich als deutsche Qualität herrumgesprochen. Ich muss mich nicht mehr gegen Konkurenz aus dem Nachbardorf behaupten…und das alles ganz ohne 60-Stunden-Woche. Mit Liebe zur Arbeit statt Stress durch Termine. Ich habe mir in den letzten drei Jahren mehr aufgebaut, als mir in Deutschland in zehn Jahren möglich gewesen wäre.

skizze großprojekt in bulgarien

Die Skizze, mit der mein erstes Grossprojekt Ende 2017 angefangen hat und das Ergebnis

Gestern wurde ich 30. Mein Rücken schmerzt nur noch jeden dritten Tag, trotzdem stehe ich mit einem Lächeln auf und freu mich schon auf den nächsten Job.

Ich würde alles nochmal genau so machen…

Danke für deinen Gastbeitrag Max
Februar 2020

Weiterführende Links
Bulgarische Handwerker


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