“Ich war Gefängniswärter im Irak”

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Mitte März wurde ein Video veröffentlicht, das zeigte, wie spanische Soldaten zwei iranische Gefangene in der Basis von Diwaniya mit Fusstritten traktierten. Die Erzählung des Soldaten Carlos (fiktiver Name eines jungen Spaniers, der von August bis Dezember 2003 im Irak stationiert war) sagt nicht direkt etwas aus über dieses Geschehnis, erklärt aber den psychologischen Hintergrund: eine Mischung aus Anspannung, schlechter Vorbereitung, falsch verstandener Kamaraderie und dem Gefühl eigener Hilflosigkeit. Sein Bericht ist ein bedrückendes Zeitzeugnis.

Ich kam Ende 2001 zur Armee, noch unter dem fürchterlichen Eindruck der Geschehnisse des 11. September. Ich war gerade 20 geworden und hatte keinen Zweifel darüber, dass die Muslime unsere Feinde waren und der Westen der Hort der Zivilisation und der Kultur. Als man mich fragte, zu welcher Einheit ich wollte, bat ich darum, in erster Frontlinie zu sein, falls es zum Konflikt kommen sollte. Ich kam dann zur schnellen Eingreiftruppe FAR. Das wurde als Elite-Einheit angesehen, die psychischen und physischen Anforderungen waren sehr hoch, die Disziplin eisern.

 

Nach einigen Monaten war ich voll integriert. Die Armee füllte mein ganzes Bewusstsein aus und auch die Gespräche mit den Kollegen drehten sich immer um den Militärdienst. Nicht alle gliederten sich gut ein. Einer machte sich ab dem ersten Tag unbeliebt. Er war sehr undiszipliniert, und immer wenn er einen Befehl nicht genau befolgte, wurden wir alle dafür bestraft und durften etliche Liegestütze machen. Alle außer ihm selbst. Während uns der Schweiß aus allen Poren lief, saß er vor uns und schaute zu. Wir sollten ihn anschauen und ihm unseren Dank sagen. Das taten wir. Er war mehmals Aggressionen ausgesetzt und ich habe manchmal auch mitgemacht. Damals fand ich das gerecht. Er war für uns die Schande der Abteilung.

Ich dagegen war ein guter Soldat. Gehorsam, physisch gut in Form, stressresistent. Auch wenn ich ab und zu Fehler machte. Manchmal irrte ich mich, als ich mit dem Panzer durchs Gelände fuhr. Bei jedem Irrtum bekam ich vom Feldwebel Schläge auf dem Helm, die so dröhnten, dass alle zuschauten. Die öffentliche Demütigung schmerzte mich mehr als die Schläge. Deswegen bat ich den Feldwebel um Schläge in die Rippen. Ich hatte damals jedoch keinen Zweifel daran, dass ich die physische Bestrafung verdiente.

Um aus dem Panzer auszusteigen, musste man einen Fuß auf das Seitenteil setzen, doch niemand tat das. Wir sprangen alle direkt auf den Boden aus mehr als einem Meter Höhe. Bis zu fünfmal am Tag. Die Knie taten mir so weh, dass ich kaum laufen konnte. Doch ich meldete mich nicht krank, weil ich nicht wollte, dass mich meine Kameraden für ein Weichei hielten. Im Krankenhaus bekam ich Spritzen, die mir den Schmerz nahmen, aber nicht die Verletzung, die chronisch wurde.

Vier Monate vor der Abreise in den Irak machten wir eine Nachtübung im Wald nahe der Kaserne. Die Abteilung wurde in zwei Gruppen geteilt: einmal diejenigen, die generell nicht besonders beliebt waren – und eben alle anderen. Die erste Gruppe hatte den Auftrag, nicht gefangen genommen zu werden und unsere, sie zu fangen. Wir machten vier Gefangene. Mein Feldwebel befahl mir, zwei davon für´s Verhör auszusuchen. Wir wussten nicht, was jetzt passieren sollte, denn wir hatten keinerlei Information erhalten. Ich ließ zwei Gefangene in Ruhe: einen, weil es eine Frau war, und der andere war mein bester Freund. Beide blieben während der Übung, die in drei Phasen ablief, mit verbundenen Augen auf dem Boden sitzen.

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Phase eins: Uns wurde befohlen, die beiden ausgewählten Gefangenen zu schlagen. Der Befehl ging an niemanden persönlich und uns wurde auch nicht gesagt, wie das zu passieren hatte, aber in solchen Situationen fühlst du dich stark, du wirst keine Strafe bekommen und das Monster kommt heraus, das in uns allen wohnt. Mindestens habe ich das so in all den Jahren vor mir selbst gerechtfertigt. Die anderen verpassten den Gefangenen Tritte und Schläge. Ich hatte noch niemals im Leben jemanden geschlagen und blieb zunächst ruhig. Aber mein Feldwebel drängte mich mitzumachen. Ich ging näher hin und verpasste jedem einen Tritt. Als ich einmal begonnen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören. Das waren meine Kameraden in der Truppe.

Phase zwei: Nachdem wir sie geschlagen hatten, befahl man uns, ihnen die Hose und die Unterhose runter zu ziehen. Einer meiner Kameraden strich einem Gefangenen mit dem Gewehrlauf durch die Po-Ritze und tat so, als wollte er es ihm reinstecken. Ein Unteroffizier bellte ihn an: “Was machst du? Möchtest du, dass man das mit dir tut?” Aber dann drehte er sich achselzuckend weg und ging. Der Feldwebel ließ die Gefangenen niederknien, einen hinter dem anderen mit direktem Körperkontakt, so dass seine Genitalien direkt am Hintern des anderen klebten. Sie sollten sich bewegen als hätten sie Sex: “Macht mal die Lokomotive mit den Waggons, die sich bewegen”, sagte er und lachte.

Phase drei: Das Verhör führte ein anderer Feldwebel. Er fragte nach allem Möglichen. Wie ihre Eltern heißen oder ihre Vorgesetzten. Manche Fragen waren militärisch irrelevant, andere nicht. Jede vierte Frage war eine Wiederholung. Die Ehrlichkeit des Gefangenen und seine Widerstandskraft sollten so getestet werden. Der Feldwebel sprach langsam und verpasste den Gefangenen nur kleine Schläge, wenn die Antwort nicht so ausfiel wie beim vorigen Mal. Doch ich hatte nicht seine Geduld, ich war müde und nervös und beleidigte und schlug sie bis ein Kollege mich weg zog und sagte, das sei so nicht effektiv.

Ich weiß nicht genau, was dann passiert war. Jedenfalls waren sie fünf Minuten später bereit, jede Frage zu beantworten, obwohl sie uns nur Namen, Idenfikationsnummer, Dienstgrad und Geburtsdatum sagen sollten. Man wollte uns wohl mit dieser Übung darauf vorbereiten, was passieren könnte, wenn wir im Irak in Gefangenschaft gerieten. Aber wenn das so war, wurde es uns nicht gesagt. Weder ich noch die Mehrheit meiner Kameraden mussten jemals den Gefangenen mimen, immer nur den Gefängnis-Wärter.

Uns wurden die Reglas de Enfrentamiento erklärt, kurz “Roes” (Regeln für den Kampfeinsatz). Mein Unteroffizier erläuterte sie innerhalb von drei Minuten, als wir uns in Kuwait akklimatisierten für den Irak-Einsatz. Ich erinnere mich, dass man uns sagte, wir dürften, im Gegensatz zu den US-Truppen, nur dann zurückschießen, wenn wir zuerst angegriffen wurden, und dass die Fahrzeuge mit dem roten Halbmond tabu seien. Doch auch dieses Prinzip wäre relativ, weil sie von den Aufständischen zu Kriegszwecken genutzt werden könnten. Das war jedenfalls alles, was man uns sagte.

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Ich betrat den Irak Mitte 2003. Der Krieg hatte am 20. März begonnen und die Situation war nicht sehr bedrohlich. Doch in den viereinhalb Monaten, die ich in der Gegend verbrachte, verschärfte sich die Sicherheitslage. Unsere Brigade sollte die Städte Diwanya und Nayaf samt Umgebung unter Kontrolle halten. Das Kontingent bestand aus 1.300 Soldaten (Spanier und Südamerikaner), wovon 400 zu den operativen Einheiten gehörten, 900 waren zuständig für Logistik, Sanitärs, Kommunikation, Befehlsstand usw. Die gesamten Einsätze im Feld leisteten einige wenige. Das waren 14-Stunden-Tage von Montag bis Sonntag, und nicht selten wurden wir mitten in der Nacht noch für irgendeinen Einsatz aus dem Schlaf gerissen oder mussten nach Rückkehr Wache schieben.

Unsere Einsätze bestanden aus Patrouillen (Machtdemonstrationen, damit die Iraker wussten, wer hier das Sagen hat, wie ein Offizier meinte); Begleitungen irgendwelcher Fahrzeuge, die aus der Kaserne fuhren; Kontrollstellen auf den Strassen; Bewachung sensibler Punkte (Brücken zum Beispiel) und Bewachung von Treibstoff-Transporten. Die Hälfte der gesamten Irak-Zeit verbrachte ich damit, die langen Schlangen von Benzin-Tankwagen zu begleiten, die die Amis mit Sprit versorgten. Das Klima war höllisch. Bis 50 Grad im Sommer. Hitzschläge waren an der Tagesordnung. Mir kochten buchstäblich die Füße, aber ich durfte meinen Posten nicht verlassen bis ich mich übergeben musste oder ohnmächtig wurde. Die Verletzung in den Knien schleppte ich mit mir herum, bis ich später nach Spanien zurück kam.

Wir schliefen auf Stoffliegen, die dir Rücken und Hals zerstören. Die standen in Baracken in fürchterlichem Zustand. Mehrere Dutzend Soldaten lebten wie ich mit zwei Skorpionen zusammen in einer Baracke bis endlich jemand die Hütte aussprühte. Irgendwelche Art von Intimsphäre gab es über Monate für niemanden von uns. Der Catering-Service einer lokalen Firma war schlimm; wir aßen nicht selten das, was uns unsere Familien per Paket zukommen ließen. Meist waren wir eh auf Außeneinsätzen und aßen dann die Feldrationen.

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Zu Beginn hatten uns die Iraker freundlich empfangen. Die Leute feierten uns als Befreier. Das erschien mir damals logisch, denn schließlich hatten wir sie von Saddam Hussein befreit und brachten Wohlstand und Demokratie. Das Problem war, dass das nicht stimmte. Ich kann schwer erklären, wie die Änderung zustande kam. Ich weiß nur, dass wir ständig extremer Hitze ausgesetzt waren, kaum schliefen und nur arbeiteten, während ständig überall Schüsse zu hören waren. Das Schlimmste war, dass jede Person ein Aufständischer sein konnte und jedes Objekt eine Falle. Die ständige Spannung konnte man sehen: Ich verlor fast zehn Kilo Gewicht und entwickelte nervöse Ticks. Irgendwann hassten wir alle Iraker und unter uns sagten wir, wir würden alle töten, wenn wir könnten. Ich bin sicher, das sagten sie auch über uns.

Die Straßenkontrollen: Das waren Posten, die nach dem Zufallsprinzip Fahrzeuge zu kontrollieren hatten, um zu sehen, ob Waffen an Bord waren. Die Amis warfen uns vor, unsere Verhaftungsquoten nicht zu erfüllen, deswegen wurden die Kontrollen häufiger. Alle, die Waffen dabei hatten, bekamen den einen oder anderen Schlag ab, claro. Doch es gab einen besonderen Fall. Wir hielten einen PKW an, in dem zwei etwa 30-jährige Männer saßen. Sie mussten den Kofferraum öffnen, wo wir einen ganzen Sack voll iranischer Banknoten und Dollars fanden – etwa 200.000 Dollar an Wert, sagte man mir.

Mein Feldwebel beschloss, dass es Aufständische waren. Wir nahmen das Geld mit und verhafteten die beiden mit dem Gewehr in der Hand. Der PKW blieb einfach in der Landschaft stehen. Die Fahrt zur Basis dauerte vier Stunden. Der Feldwebel befahl Schläge, also bekamen sie welche, obwohl es keinen Grund dafür gab, die beiden Männer stellten keine Bedrohung für uns dar. Weil sie nichts sehen konnten, fasste ich einen am Arm und verdrehte ihn ihm auf den Rücken bis er aufschrie, nur für den Fall, dass er Fluchtgedanken hatte. Die beiden Iraker verbrachten zwei Tage in der spanischen Basis, wo sie von einem Kommandeur der Guardia Civil und dem Geheimdienst CNI verhört wurden. Danach wurden sie freigelassen. Es waren einfach Geschäftsleute.

Oft musste ich einen Panzer fahren. Wir lernten von den US-Marines, die alle zivilen PKW zwangen, am Straßenrand anzuhalten bis der Konvoy durch war. Mein Befehl lautete, den Irakern mit Gesten zu bedeuten, sie sollten an die Seite fahren, und wenn sie das nicht taten, sollte ich parallel daneben fahren und so tun, als würde ich eine Kollision provozieren bis sie vor Angst am Rand anhielten. Anfangs tat ich das mit aller Vorsicht. Am Ende fuhr ich auf ihre Spur, ohne mich darum zu scheren, was passierte. Es kam zufällig zu keinem Zusammenstoß, aber ein LKW war kurz vor dem Umkippen.

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Der Aufklärer: Das ist der Mann hinten auf dem Panzer, der am festeingebauten MG steht und verhindern soll, dass sich ein möglicher Angreifer von hinten dem Konvoy nähert. Ich kam auf diesen Posten als meine physische und psychische Kondition mich als Fahrer nicht mehr geeignet erschienen ließen. Die Anweisung war klar: Niemand durfte sich auf weniger als 100 Meter nähern. Aber ich war nicht Gott und konnte die Iraker nicht zwingen, meinen Zeichen und Gesten Folge zu leisten, weswegen ich von den Vorgesetzten oft eins auf den Deckel bekam. Am Ende beschloss ich, meine Befehle rücksichtslos durchzusetzen.

Ein PKW kam auf 50 Meter heran. Ich bedeutete ihm, er solle zurückbleiben. Der Fahrer ignorierte mich. Also richtete ich das MG auf ihn und zielte. Der PKW bremste brüsk, der Fahrer riss das Lenkrad herum. Der Wagen hinter ihm krachte ihm ungebremst ins Heck. Der vordere PKW überschlug sich und blieb neben der Straße liegen. Mein Vorgesetzter fragte mich, was da passiert war. Ich erklärte, der PKW-Fahrer hätte meine Befehle ignoriert, damit war der Fall erledigt. Wir setzten unseren Weg fort.

Einmal hatten wir Alarm, weil Aufständische in einem Ort eine Stunde entfernt von der Basis gesichtet worden waren. Mein Zug wurde hingeschickt mit zwei Panzern. Wir fanden sie auch und verfolgten sie, bis sie sich in einer Moschee versteckten. Wir sollten uns auf den Angriff auf die Moschee vorbereiten, um sie herauszuholen. Nach zwei Stunden kam der Gegenbefehl: Abzug und zurück zur Basis. Glücklicherweise war irgendwem eingefallen, dass wir wohl nicht mehr lebendig aus dem Dorf herauskommen würden, wenn wir die Moschee angriffen.

Zu den Aufgaben unserer Einheit gehörten nachts auch die Bewachung und Verpflegung der Gefangenen. Mein Unteroffizier sagte, ich sollte mitkommen und ihnen das Abendessen geben. Er hatte den Schlüssel und öffnete zwei Zellen, jeweils besetzt mit einem etwa 35- oder 40-jährigen gefangenen Iraker. Einer von ihnen schien mir dunkle Haut zu haben, obwohl man das bei dem Schummerlicht kaum sehen konnte. Er war halb nackt – in der Zelle gab es absolut nichts, auch kein Bett – und halb tot vor Angst. Mein Vorgesetzter befahl mir, die Zelle zu betreten und dem Gefangenen das Gewehr an die Schläfe zu setzen, während er das Essen auf dem Boden absetzte. Ich gehorchte, doch irgendetwas in meinem Inneren zerbrach in diesem Moment.

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Ich fragte mich, was ich hier tat, auf einen unglücklichen Iraker zielend. Wie war ich nur in diese Lage gekommen. Eine Woche lang hatte ich das Gefühl, nichts hier sei wirklich real, als stünde ich unter irgendwelchen Drogen. Als ich Nachtwache hatte, war ich kurz davor, mir eine Kugel in den Kopf zu jagen. Nur der Zuspruch von zwei Kameraden hat mich gerettet. Im Morgengrauen wurden neue Gefangene gebracht, die nach einem Glas Wasser bettelten. Ein Soldat tat so, als reichte er ihnen eine Flasche … und goss sie dann grinsend vor ihren Füßen aus. Ein anderer ließ sich lachend mit ihnen fotografieren. Die menschliche Natur.

Ich erinnere mich daran, dass unser Hauptmann uns beglückwünschte, weil wir die einzige Einheit der Brigada Plus Ultra waren, in der niemand nach dem Psychologen der Basis verlangt hatte.

Ende 2003 fuhr ich wieder nach Spanien, zurück nach Hause. Sechs Monate später litt ich unter Schlaflosigkeit, Angstzuständen, ich war plötzlich disziplinlos und meine sozialen Kontakte brachen weg. Am Ende ließ mich die Armee wissen, dass ich nicht mehr brauchbar war. Über zwei Jahre war ich in psychiatrischer Behandlung sechs Stunden pro Tag von Montag bis Freitag in einem Krankenhaus. Auch wenn es mir deutlich besser geht, wurde ich nie mehr der, der ich mal war.


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