„Ich sei passiv-aggressiv, meint meine Chefin“, sagte der Klient im Coaching. - Eine Fallgeschichte aus meiner Coachingpraxis.

Eine Fallgeschichte aus meiner Coachingpraxis.

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Winner of the „Not my job contest“.

Passiv-aggressiv zu reagieren ist eine Verhaltensweise von vielen Menschen. Was steckt eigentlich dahinter? Und wie erkennt man solches Verhalten frühzeitig?

Die ersten Interaktionen mit einem neuen Klienten geben mir oft wichtige Hinweise für bestimmte Verhaltensmuster und Konflikte, die jemand mitbringt.

Mit Herrn K, einem Personalreferenten in einem Konzern, war das auch so. Er hatte sich für ein 3-h-Coaching angemeldet, um seine „Außenwirkung“ zu überprüfen. Per Mail bat ich zweimal um seine Handynummer, um für bestimmte Situationen ihn benachrichtigen zu können. Er antwortete nicht darauf.

„Warum haben Sie denn nicht auf meine Bitte mit der Handynummer nicht reagiert?“, wollte ich im Coaching von ihm wissen. Er antwortete: „Ich konnte mir nicht vorstellen, für was Sie die brauchen und außerdem nehme ich es mit dem Datenschutz sehr ernst.

Da liegt seine Chefin wohl nicht ganz falsch, dachte ich.


Wir alle sagen nicht immer , was wir denken oder fühlen. Oder drücken genau das Gegenteil von dem aus, was wir fühlen. Menschen, die oft passiv-aggressiv reagieren, können an sich die Anzeichen bemerken:

  • Sind Sie schnell sauer, wenn Sie mit jemand anderem unzufrieden sind?
  • Meiden Sie Menschen, über die Sie sich geärgert haben?
  • Verstummen Sie, wenn Sie wütend auf jemand sind?
  • Schieben Sie Dinge auf, um andere zu ärgern oder bestrafen?
  • Machen Sie sarkastische Bemerkungen, wo eher ein klärendes Gespräch nötig wäre?

Kennen Sie diese passiv-aggressiven Verhaltensweisen?

Vor allem dadurch, dass negative Gefühle wie Ärger, Nichteinverstandensein, Ressentiments und Aggressionen nicht direkt geäußert werden, sondern auf eine schwer fassbare passive Weise. Am besten erkennt man es daran, dass man sich über jemanden ärgert, der andere aber ganz unschuldig erscheint und eine vernünftig klingende Erklärung für sein Verhalten vorbringt.

Es ist auch eine manipulative Methode, mit der die meisten Menschen ihren Weg gehen, indem sie indirekt feindselig sind. Subtile Anzeichen passiver Aggressivität sind Prokrastination, Schmollen und feindseliges Verhalten auf indirekte Weise, die zeigen, dass sie heimlich verärgert sind.

Bestimmt kennen Sie die Beispiele von passiv-aggressivem Verhalten. Auch wenn Sie dabei nicht an diesen Fachbegriff  denken:

  • Auf der Autobahn schleicht ein Autofahrer im Schneckentempo, eine Reihe Autos hinter sich.
    Auf sein Verhalten angesprochen würde er vielleicht antworten, dass durch zu schnelles Fahren Unfälle passieren und die Autobahn für alle da wäre.
  • Ein Angestellter befolgt die von der Geschäftsführung gemachten Vorschriften sklavisch genau und verzögert dadurch die Zusammenarbeit mit anderen. Darauf angesprochen, weist er daraufhin, dass Vorschriften eben dazu da sind, dass man sie befolgt, sonst bräuchte man sie ja nicht.
  • Der Azubi, der beim Zusammenstellen der Stühle im Seminarraum laut schnauft und öfter eine lange Pause macht, um sich zu erholen.
  • Der Partner, der oft Kopfweh bekommt, wenn beim Zubettgehen eine erotische Stimmung in der Luft liegt.
  • Ein Mitarbeiter reißt einen Witz über Schwule. Als ein homosexueller Kollege sich das verbittet, wird ihm Humorlosigkeit vorgeworfen.
  • Ein Kind, das sich ungerecht behandelt fühlt, läuft von zu Hause weg und hofft, dass die Eltern sich Sorgen machen und es suchen.
  • Ihr Partner will eigentlich nicht mit ins Kino, sagt aber dann doch zu. Braucht allerdings so lange, sich fertigzumachen, dass sie erst eine halbe Stunde später loskommen.
  • Der neidische Kollege, der es immer mal vergisst, Sie über ein wichtiges Detail des Kunden zu informieren.

Das Gemeinsame dieser Menschen ist: Sie ärgern sich, aber sie sprechen nicht darüber, sondern kontern mit Sturheit und indirektem aggressiven Verhalten. Und sie widersetzen sich äußeren Einflüssen.

Gegenüber wichtigen und normalen Verpflichtungen, die jeder Mensch hat, entwickeln sie massiven Widerstand. Also wenn es darum geht, Termine, Fristen oder Verabredungen einzuhalten, die Wohnung aufzuräumen, Rechnungen zu bezahlen. Allerdings ist ihr Protest nicht direkt („Mach ich nicht !“), sondern indirekt. Sie vergessen es, zögern es hinaus, erfinden seltsame Entschuldigungen. Leugnen letztlich ihre Verantwortung.

Sie weigern sie auch konsequent, ihr Verhalten kritisch zu hinterfragen oder Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Stattdessen tragen sie wortreiche Rechtfertigungen vor und erfinden immer neue Ausreden, so lächerlich diese auch sein mögen.

Ein sicheres Anzeichen, dass Sie mit einem passiv-aggressiven Menschen zu tun haben:
Er bleibt ganz ruhig, während Sie an die Decke gehen.

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„Ich hab das gebaut, was auf dem Plan steht.“ Bildquelle

„Was führt Sie zu mir?“, frage ich den Klienten.

„Ich komme auf Empfehlung meiner Chefin, weil sie meinte, ich verhielte mich oft passiv-aggressiv. Sie hat auch Psychologie studiert und Psychologen verteilen ja gern mal Diagnosen für ganz normales Verhalten oder wenn ihnen etwas an einem Mitmenschen nicht passt.“

Der versteckt aggressive Unterton seiner Antwort entgeht mir nicht, aber es ist zu früh, das anzusprechen und ich frage stattdessen: „Haben Sie ein Beispiel für so ein ganz normales Verhalten?“

„Klar. Zum Beispiel meine Gewohnheit, bei eMails all die Mitarbeiter, die das Thema auch angeht, in CC zu setzen. Meine Chefin sagte, das wäre unnötig. Ich finde, dass es notwendig ist, alle Beteiligten zu informieren, deswegen habe ich mich über ihre Bitte hinweggesetzt, weil ich finde, dass ich Recht habe. Dann kam es zum Gespräch und sie reagierte wirklich sauer. Ich verstehe das nicht, ich will doch nur sicherstellen, dass sich keiner übergangen fühlt.“

Menschen, die häufig passiv-aggressiv reagieren, äußern ihren Ärger nicht, sondern schlucken ihren Frust und tun so, als wäre nichts passiert. Als ich Herrn K. frage, ob er sich vielleicht geärgert hat, als ihm seine Chefin verbot, andere Empfänger ins CC zu setzen, schaut er ganz erstaunt: „Ärgerlich? Ich? Nein, nur irritiert.“

Die Zusammenarbeit mit solchen Menschen ist anstrengend, weil ihre Kommunikation verwirrend und mehrdeutig ist und sie nichts dafür tun, für Klarheit zu sorgen. Zu Beginn geben sie sich kooperativ, sind aber bei den ersten Forderungen oder Anordnungen verstimmt. Bringen diesen Ärger aber nicht zur Sprache, weil sie glauben, dass das inakzeptable Gefühle sind, die sie nicht haben wollen oder dürfen.

Meist haben Sie früh gelernt, ihre wahren Gefühle zu maskieren oder ganz abzuspalten. Das können sie mit der Zeit so gut, dass niemand mitkriegt, dass sie sich gekränkt oder belästigt fühlen. Stattdessen wirken sie erst einmal sympathisch, hilfsbereit, zugänglich und angenehm. Doch innen drin sind sie oft neidisch, rachedurstig und wütend.

Wie entsteht passiv-aggressives Verhalten?

Viele Menschen lehnen es ja ab, bei der Selbstreflexion auch auf die eigene Kindheit zu schauen. Sie halten das für Psychologen-Latein und sagen: „Wie soll denn etwas, das dreißig oder vierzig Jahre lang her ist, heute noch einen Einfluss auf mein Verhalten haben? Ich bin doch ein freier Mensch und kann mich so oder so entscheiden.“

Ihre Erklärung für ein unangemessenes Verhaltensmuster lautet dann meist: „Ich bin halt so! Das ist meine Persönlichkeit. Niemand ist perfekt.“ Was ja aussagen soll, dass man das Verhalten eben akzeptieren müsse, denn der Betreffende könne es nicht ändern.

Doch fast immer findet man in den ersten zehn bis zwölf Lebensjahren Situationen und Beziehungserfahrungen, die verstehbar machen, warum sich jemand als Erwachsener so verhält. Deshalb frage ich meinen Klienten nach einer Weile:

„Wie wurde denn in Ihrer Herkunftsfamilie mit Gefühlen umgegangen, speziell mit Ärger und Wut?“

Herr K. wurde nachdenklich und sagte: „Zuhause durfte nur einer ärgerlich sein und rumbrüllen, und das war mein Vater. Wegen jeder Kleinigkeit regte er sich auf und ließ seinen Ärger dann an uns aus. Da gab es dann öfter Kopfnüsse, wenn man beim Lernen was nicht gleich kapierte. Auch Ohrfeigen, wenn er schon gereizt nach Hause kam und ihm irgendwas nicht gefiel.“

„Wie ist Ihre Mutter damit umgegangen?“ will ich wissen.
„Die Ehe meiner Eltern war nicht gut, das spürte ich schon als Kind. Sie hatten heiraten müssen und meine Mutter war mit zwei Jungs eigentlich überfordert. Vor allem, weil mein Bruder schon früh schwierig und aufsässig war.“

„Da wollten Sie vermutlich Ihrer Mutter nicht noch mehr das Leben schwermachen und waren ganz brav“, vermute ich laut.

„Woher wissen Sie das?“,  fragt Herr K. erstaunt.
„Psychologen sind schnell mit Hypothesen bei der Hand“, revanchiere ich mich auf seinen Eröffnungssatz. „Und oft haben sie Recht.“

Jetzt erzählte Herr K.: „Ich war tatsächlich brav. Half meiner Mutter beim Abwasch und beim Zusammenlegen der Wäsche. Das gefiel ihr und sie lobte mich dafür öfters. Aber wenn ich mal keine Lust hatte, ihr zu helfen, wurde sie ganz eisig. Wütend sein auf sie ging gar nicht. Da redete sie dann tagelang nicht mit mir, bis ich mich entschuldigt hatte. Das Schlimmste war, wenn Sie ärgerlich war und mich dann anschrie: »Du bis genauso ein Egoist wie dein Vater!«“


Wie sich passiv-aggressives Verhalten zeigt.

Frühe Erfahrungen in der Familie bringen uns dazu, Strategien und Einstellungen zu entwickeln, um täglich mit den verschiedensten Situationen umzugehen. Wir müssen solche Strategien entwickeln, weil wir als Kinder abhängig sind sind und die Familie nicht verlassen können. Manche Siebenjährige versuchen das ja aber werden dann von der Polizei bald wieder zurückgebracht.

Mein Klient erlebte früh, dass er anerkannt und geliebt wurde, wenn er hilfsbereit und nett war. Für seine ärgerlichen Impulse wurde er kritisiert und bestraft. Als Kind unter zehn Jahren kann man jetzt nicht mit den Eltern verhandeln („Hört mal, so geht das nicht!“). Man braucht also eine Strategie, die sofort wirkt und einen unabhängig vom Verhalten des anderen macht.

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So lernte Herr K. in zahlreichen Begegnungen mit seiner Mutter, seine „negativen“ Gefühle zu verbergen. Dadurch verschwanden sie natürlich nicht, sondern waren nur verdrängt. Doch die ärgerlichen und wütenden Gefühle suchen sich einen Weg und machen den Menschen mürrisch und gereizt. Und er entdeckt, dass er seine Aggressionen doch ausdrücken kann: aber eben passiv und indirekt.

Hier die häufigsten Formen:

1. Schweigen und ignorieren.
Das sieht gar nicht aggressiv aus, macht aber meistens das Gegenüber ärgerlich und das ist ja die Absicht.
Vielleicht grüßt der Mensch sie nicht im Büro. Oder übergeht im Gespräch mehrmals Ihre Frage oder Bemerkung. Doch vermutlich geschieht das nicht dauernd und konsequent, so dass Sie nicht genau wissen, ob es absichtlich oder zufällig passiert.

2. Versteckt beleidigen.
Solche Bemerkungen sind auf den ersten Blick schwer zu entschlüsseln, weil sie meist in etwas Angenehmes verpackt sind. Erst nach einer Weile merken Sie vielleicht, dass Ihnen etwas unangenehm aufstößt.
Ein Kollege lobt einen Artikel, den Sie verfasst haben mit den Worten: „Ich hab deinen tollen Artikel gelesen. Hast du den ganz allein geschrieben?“
Andere getarnten Abwertungen  kommen mit einem „Aber“.
„Ich will nicht unhöflich sein, aber hast du zugenommen?“
„Ich hoffe, du denkst nicht, dass es mich nichts angeht, aber dein Partner passt so gar nicht zu dir.“
„Du wirst es nicht hören wollen, aber dein Einschleimen bei der Chefin finden andere ziemlich peinlich.“

3. Schlechte Laune verbreiten.
Passiv-aggressive Menschen sind oft mürrisch oder launisch. Auf eine harmlose Nachfrage („Wo hast du den Vorgang abgelegt?“) reagieren sie genervt oder sauer. Jedoch nicht offen, sondern subtil.  Oder sie beschweren sich ausdauernd über das, was ihnen widerfahren ist (Keinen Parkplatz gefunden, unfreundliche Behandlung in der Kantine …)

Ein freundliches Lächeln von Ihnen wird nicht erwidert. Fragt man nach, ob derjenige etwas hat, kriegt man eine patzige Antwort: „Es kann ja nicht jeder dauernd so gut drauf sein wie du!“ Oder man bekommt statt einer Antwort nur ein stummes Schulterzucken.

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Photo credit: r.nial.bradshaw on Foter.com / CC BY

4. Stur sein.
Die passiv-aggressive Ladung dahinter erkennen Sie daran, dass der Mensch wortreich seinen Standpunkt verteidigt und dafür gute Argumente hat. Gleichzeitig ahnen Sie aber, dass er dies nur macht tut, weil er weiß, dass er sie damit ärgern kann.
Das ist der Schleicher auf der Autobahn oder die vielen Sarrazins der Welt. Auf ihr Verhalten angesprochen, werden sie sich immer mit klugen Worten verteidigen und die Vermutung, dass Ärger dahinter stecken könnte, entrüstet von sich weisen. Ihnen ginge es nur um die Sache, nur um’s Prinzip.

5. Vermeiden und Aufschieben von Aufgaben.
Wer kleine Kinder oder Teenager hat, kennt diese Strategie: „Mach ich später!“ Damit sucht das Kind einen Weg, weil es weiß, dass es das Geforderte tun muss (Hausaufgaben, Spülmaschine) sich aber nicht unterwerfen will, indem es gleich gehorcht. Das Aufschieben ist dann der Kompromiss. Ganz schlimm natürlich in der Pubertät.

Manche Erwachsene bleiben in dieser Phase stecken. Sie überlassen die Verantwortung anderen („Nicht mein Tisch!“) oder schieben sie anderen zu („Du kannst das doch viel besser!“).
Beliebt ist auch das halbfertige Erledigen. Sie übernehmen eine Aufgabe, führt sie aber nicht zu Ende („Bin noch nicht dazu gekommen.“) Damit zeigt der Mensch seinen Groll darüber dass er etwas tun musste, verweigert aber, die Aufgabe ganz zu erledigen, worüber Sie sich dann ärgern können.
Entscheidend ist dabei, wie oft das Verhalten vorkommt. „Passiert“ es öfter und ist das Verhalten nicht durch andere äußere Einflüsse erklärbar, handelt es sich vermutlich um passiv-aggressives Verhalten.

6. Verzögern und sabotieren.
Für Menschen mit einer passiv-aggressiven Eigenart sind Uhren und Kalender nicht nützliche Werkzeuge, um im Leben zurechtzukommen. Sondern sie erleben sie als natürliche Feinde, weil sie sich dadurch in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen – und dagegen heftig rebellieren. Denn Termine signalisieren für sie Grenzen, die immer andere gesetzt haben.


Warum Veränderung von Gewohnheiten oft schwierig ist.

Die Strategien, die wir als Kinder entwickelt haben, sind Notmaßnahmen für schwierige Situationen. Praktisch psychische Überlebensstrategien. Das Kind hat oder sieht oft keine große Wahl. Aber die Strategie bewährt sich und deswegen nutzen wir sie immer wieder. Sie werden zu einer Gewohnheit.

Gewohnheiten werden zu neuronalen Autobahnen in unserem Gehirn. Der Vorteil von GEwohnheiten ist, dass sie das Gehirn entlasten, weil wir nicht mehr entscheiden müssen, nur noch reagieren. Zum Beispiel beim Lesen dieser Zeilen reagieren Sie auf die Buchstaben. Das automatische Zähneputzen abends. Das Bedienen des Lenkrads beim Autofahren. Superpraktisch, weil zeitsparend. Bis man eine dieser Gewohnheiten ändern will. Dann wird es schwierig.
Lesen Sie dazu diesen Artikel.

Deswegen wollen sich die meisten Menschen ja auch nicht ändern. Sondern nur besser fühlen.

Denn zum „besser fühlen“ muss man meistens etwas anders machen. Eine geliebte „schlechte“ Gewohnheit aufgeben. Sich also außerhalb der Komfortzone bewegen – und das will niemand so recht. Denn außerhalb der Komfortzone ist es immer anstrengend, beängstigend, schmerzhaft.

Passiv-aggressives Verhalten ist so eine Komfortzone.

Man ärgert sich, muss sich aber mit anderen Menschen nicht auseinandersetzen, indem man seinen Ärger direkt äußert. Dann vielleicht verhandeln müsste. Vielleicht einsehen müsste, dass man sich geirrt hat. Etwas falsch verstanden oder fehlinterpretiert hat. Einen Kompromiss finden. Alles anstrengend.

Deshalb stellte ich Herrn K. die wichtigste Frage im Coaching: „Wollen Sie denn an Ihrem Verhalten überhaupt etwas ändern?“
„Muss ich?“
war seine bezeichnende Antwort.

„Nein“, antwortete ich. „Sie werden damit nur immer wieder Schwierigkeiten mit anderen Menschen bekommen.“
„Das muss ich mir noch überlegen“, sagte Herr K. dann nach einer Weile.


Wenn jemand vom Unternehmen zu einem Coaching geschickt wird, ist das meist ungünstig. Der Geschickte erlebt das Angebot als Kränkung, als ungebetene Nacherziehung. Und geht meist in den Widerstand. Deshalb ist es als Coach wichtig, kein Interesse an einer Veränderung des Klienten zu zeigen, sondern das zu akzeptieren, was der Klient präsentiert. Erst wenn es ein kleines Zeichen der Veränderungsbereitschaft gibt, kann ein Arbeitsbündnis entstehen.

Plötzlich wollte Herr K. wissen: „Was würden Sie denn mit mir machen, wenn ich mein Verhalten ändern wollte?“
„Ich würde etwas mit Ihnen ausprobieren, bei dem Sie erleben, woran genau Sie arbeiten können.“
Jetzt wurde der Klient neugierig. „Okay, fangen Sie an.“

Ich war über die Wendung etwas überrascht, wollte aber seine Neugier nutzen und sagte: „Ich möchte, dass Sie die Augen schließen und genau beobachten, was an inneren Reaktionen passiert, wenn ich Sie bitte, einen bestimmten Satz zu sagen.“ Jetzt wurde er noch neugieriger, machte es sich bequem und schloß die Augen.

„Ich bitte Sie, mal den Satz zu sagen: »Ich muss manchmal Dinge tun, die ich nicht will«“.

Seine Reaktion war ein entschiedenes Kopfschütteln: „Never, ever!“

Wir waren am Punkt, am Engpass. Hier ist es oft hilfreich, dem Klienten seinen inneren unbewussten Konflikt zu erklären. Deshalb sagt ich zu Herrn K.:

„Sie glauben, dass Sie durch Ihr passiv-aggressives Verhalten sich Freiheiten verschaffen. Die Freiheit, etwas nicht zu tun, Dinge zu verzögern, Termine nicht zu beachten, Anordnungen zu unterlaufen usw. Die Freiheit, nicht zu gehorchen.
Aber Sie sind dadurch nicht frei, sondern total berechenbar. Wer länger mit Ihnen zu tun hat, weiß schon im voraus, wie Sie reagieren, nämlich genau entgegengesetzt zu dem, was der andere von Ihnen will. Aber das ist keine Freiheit, sondern reflexhafter Widerstand.“

Herr K. hörte zu. Man konnte sehen, dass es in ihm arbeitete. „Und was soll ich jetzt tun?“ fragte er etwas verzagt.

„Zwei Dinge: Erstens akzeptieren, dass Sie manchmal etwas tun müssen, was Sie nicht wollen. So wie jeder Erwachsene.“
Herr K. äußerte Bedenken: „Das wird schwer für mich. Und was wäre das zweite?“

Allein, dass der Klient nachfragte, machte mich vorsichtig hoffnungsvoll: „Üben Sie, angemessen Ihren Ärger zu äußern und schauen Sie, was passiert. Die Reaktion des anderen ist unwichtig, es geht darum, dass Sie erleben, dass Sie Ihren Ärger direkt ausdrücken dürfen. Dass Sie heute sagen dürfen, was Sie wollen und was Sie nicht wollen.“

„Und was soll das bringen?“ wollte Herr K. wissen.
„Damit verlassen Sie schrittweise das Gefängnis Ihrer Kindheit, in der nur Ihr Vater Ärger zeigen durfte und Ihre Mutter Ihren Ärger durch Liebesentzug bestrafte. Jetzt sind Sie noch zu oft das Kleinkind, das trotzig auf dem Töpfchen sitzt und der Mutter nicht geben will, was sie erwartet.“

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„Du hast nicht gesagt, wer.“ Bildquelle: Flickr.com

Die letzte Bemerkung war eine psychoanalytische Deutung. Das ist im Coaching etwas riskant aber ich hoffte, dass die Bemerkung durch ihren drastischen Ausdruck bei Herrn K. im Gedächtnis bleibt, für die Situationen, in denen er wieder dabei war, kindlich-trotzig zu reagieren – anstatt erwachsen. Anders ausgedrückt wollte ich ihm mitgeben: „Komm endlich runter vom Topf!“ 

Weitere Fallgeschichten finden Sie hier:

  • „Ich fühle mich nirgends zugehörig.“
  • „Meine Zwangsstörung macht mich fertig!“
  • „Warum sabotieren wir uns selbst?“
  • „Im Aufschieben bin ich Weltmeister!“
  • „Mit 45 bin ich immer noch der Juniorchef.“
  • „Ich bin einfach zu nett!“
  • „Karriere Top, Privatleben Flop!“
  • „Ich kann keine Entscheidungen treffen.“
  • „Ich habe alles erreicht!“
  • „Delegieren kann ich nicht.“

PS: Alle Fallgeschichten sind real, aber so verfremdet, dass ein Rückschluss auf meine Klienten nicht möglich ist und die Vertraulichkeit gewahrt bleibt.

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Bild: © Visualhunt.com, Flickr.com,

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