Ich schenke Dir zwanzig Liter Geduld!

Von Wernerbremen

Quelle: Romana Huber

Ihr Lieben,
heute Abend möchte ich Euch eine Geschichte von Rudolf Otto Wiemer erzählen:
„Zwanzig Liter Geduld“
„Es ist noch nicht lange her, da fuhr ich, ehe ich meine Reise antrat, zur Tankstelle.
Alle Zapfstellen waren besetzt, und obwohl sich die Tankwarte große Mühe gaben,
hatte sich bis auf die Straße hinaus eine sehr lange doppelte Autoschlange gebildet.

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Ich reihte mich ein, warf einen Blick auf die sechs oder sieben Wagen vor mir, dann auf die Uhr und machte mich auf eine längere Wartezeit gefasst. Während ich vor mich hin schimpfte, fiel mein Blick auf den Wagen, der neben mir stand und der, ebenso wie ich, nur schrittweise, das heißt: unerträglich langsam der Zapfsäule entgegenrollte.
Am Steuer saß ein Mann, der, wie mir schien, viel Zeit hatte. Es lehnte am Fenster, und sooft die Motoren leiser brummten, hörte ich, dass er sang. Das Gesicht dieses Mannes wäre jedem anderen ebenso aufgefallen wie mir: ich musste an mich halten, als der Mann den Kopf drehte und herübersah.
Die Haut auf Stirn und Wangen war mit Brandnarben bedeckt, die Nase flach, wie eingedrückt. Dabei winkte der Mann mir zu und zeigte über sich in die Luft. Er hatte dort oben einen Adler entdeckt, der majestätisch über uns kreiste. Es ist wahr, der Vogel sah großartig , fast entrückt aus, wie er, kaum die Schwingen bewegend, seine Kreise zog.

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Der Mann am Steuer nickte mir zu, als habe er den Vogel extra für mich fliegen lassen. Dann wieder schienen ihn die Bäume, die hinter der Tankstelle aufragten, zu interessieren.  Schöne Bäume, gewiss, mit leicht flatternden Blättern – aber was sollte das jetzt? Oder die Spatzen, auf die er mich aufmerksam machte, die über uns in der Dachrinne lärmten?

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Der narbige Mann neben mir lachte. Dann sang er wieder. Dann rollte er, wie ich, zentimeterweise nach vorn. Dann waren wir beide fast gleichzeitig an der Reihe.Der Tankwart fragte: „Was darf es sein?“
Der Mann antwortete: „Zwanzig Liter Geduld, bitte.
Und lassen Sie Zorn ab. Und wischen Sie die Hetze vom Blech.“

Ich hörte genau, dass er dieses und nichts anderes sagte.
Der Tankwart stutzte, blickte in das Gesicht des Mannes, der verschmitzt lächelte.
Dann lächelte der Tankwart auch. Seine Bewegungen wurden langsamer, er nickte, öffnete den Verschluss, setzte den Zapfhahn ein und begann, während er die Skala beobachtete, zu pfeifen.

Der Mann übrigens, nachdem er bezahlt und sich wieder ans Steuer gesetzt hatte, nickte mir noch einmal freundlich lächelnd zu. Er wusste, dass ich seine Worte gehört hatte. Ich wollte ihn fragen, wie er zu solch ernsthaften Späßen käme, unterließ es aber, als ich sein zernarbtes und trotzdem lächelndes Gesicht sah.
Seitdem blicke ich mich jedes Mal um, wenn ich in einer Autoschlange stecke und wenn ich sonst zu warten gezwungen bin und gerade anfangen will, mich zu ärgern und zu lamentieren. Es ist mir dann, als wäre er in solchen Augenblicken dicht neben mir, der Mann mit den Narben, der sang und der Geduld tanken wollte. Er begegnet mir jetzt öfter.“

Quelle: Helmut Mühlbacher

Ihr Lieben,
als ich diese Geschichte las, musste ich zunächst etwas schmunzeln, denn es ist ja schon eine Zeitlang her, dass an Tankstellen Tankwarte tätig waren, die die Kunden bedienten. Das waren noch die Zeiten, in denen an Tankstellen nur getankt und eventuell noch Motorenöl und Scheibenwischer oder Ähnliches gekauft wurden, während man heute an Tankstellen auch Lebensmittel einkaufen kann.

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Wenn ich früher mit meiner Familie in den Urlaub fuhr und wir in einen Stau gerieten, dann fragten meine beiden Söhne mich immer wieder: „Papa, wann geht es denn endlich weiter?“ „Papa, wann sind wir denn endlich da?!" Wenn ein Stau länger dauerte, dann stiegen wir auch aus und verzehrten ein wenig von unserem Proviant.
Bei diesen Gelegenheiten habe ich oft festgestellt, dass die Menschen, die in den anderen Autos ebenfalls im Stau standen, oft sehr genervt und gereizt wirkten und ihrer Ungeduld durch deftige Worte Luft machten.
Ich habe mir dann vor künftigen Reisen eine kleine Kiste in Auto gestellt, in der sich allerlei Spiele befanden, so z.B. einen Gummiring für Ringtennis, Federballschläger, Frisbee, Murmeln.

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Wenn wir dann in einen Stau gerieten, dann stiegen wir aus, ich holte meine Spielekiste raus und schon bald hatten wir eine bunte Spielerunde rund um unser Auto und die Menschen, die sonst vielleicht durch den Stau genervt gewesen wären, waren manchmal richtig traurig, wenn der Stau sich auflöste und wir das Spielen abbrechen mussten.

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Mein geliebter Großvater, der Bauer war und von dem ich schon viel erzählt habe, sagte einmal einen sehr klugen Satz zu mir:„Es gibt wenige Augenblicke im Leben, in denen es wirklich auf die Minute ankommt und für die es sich lohnt zu hetzen, z.B. eine  Zugabfahrt oder die eigene Hochzeit, ansonsten genügt etwas Geduld."Wann wir ungeduldig sind, dann hat das meist Folgen: Wir werden ärgerlich, unsere Nerven werden strapaziert und unsere Gesundheit leidet darunter.
Wenn wir aber geduldig sind, dann werden wir innerlich ruhig, gelassen, unsere Nerven kommen zur Ruhe und unsere Gesundheit dankt es uns.

Ich Lieben,für das Wochenende wünsche ich Euch zwanzig Liter Geduld, für Euch und Eure Lieben.
Ich wünsche Euch, dass Ihr Euren Ärger, der sich vielleicht in der Woche angesammelt hat,
wie überschüssige Luft ablassen könnt, und dass Ihr die Hetze von dem Blech Eures Lebens wischen könnt. Seid herzlich aus Bremen gegrüßt
Euer fröhlicher Werner