Originaltitel: La petite et le vieux
Autor: Marie-Renée Lavoie
Genre: Belletristik
Seiten: 256 Seiten
Verlag: Hanser Berlin
ISBN-10: 3446243844
ISBN-13: 978-3446243842
Erste Seite:
Ich hatte mich erfolgreich überzeugt, ein Junge zu sein, und bestand jetzt auf dem Namen Joe. Oscar wäre mir lieber gewesen, wie die Heldin meiner liebsten Zeichentrickserie, aber Oscar hieß damals auch das Skelett aus dem Biologieunterricht und irgendein neuer, revolutionärer Besen. Also gab ich mich mit Joe zufrieden, auch wenn diese eine Silbe, bei der man so albern die Lippen schürzt, ein wenig banal klang.
Klappentext:
Es ist nicht unbedingt Liebe auf den ersten Blick zwischen der achtjährigen Hélène und Roger, dem neuen achtzigjährigen Nachbarn mit dem Hang zu bizarren Flüchen. Doch bald wissen sie, was sie aneinander haben. Hélène, die sich bei all ihrer Zartheit mit nie versiegendem Heldenmut den größeren und kleineren Widrigkeiten des Lebens entgegenstellt, findet in Roger einen Schutzpatron und erlöst ihn ihrerseits aus seiner Einsamkeit. Wie in Muriel Barberys Die Eleganz des Igels wird in diesem Debütroman eine bezaubernd ungleiche Freundschaft beschworen. Von Roger und Hélène kann man einiges lernen: anständige Flüche und positiven Kampfgeist.
Inhalt:
Irgendwann Mitte der Achtzigerjahre, lebt die kleine Hélène alias Joe, hängt ihren Träumen nach, die darin bestehen, dass sie eines Tages wie ihr großes Vorbild „Lady Oscar“ sein möchte. Eine Fernseheheldin, die gegen all die Ungerechtigkeiten der Welt kämpft. Hélène kämpft auch, für ihre Familie, schon mit ihren 8 Jahren merkt sie, dass die Erwachsenen manchmal Hilfe brauchen. Joe sucht sich einen Job als Austrägerin, damit sie heimlich das Haushaltsgeld ihrer Mutter aufstocken kann. Nach einem dieser Botengänge kommt sie nach Hause und sieht auf der anderen Straßenseite den neuen Nachbar Roger. Sein Auftreten ist mehr als rüpelhaft, aber irgendwie ist Joe von ihm fasziniert und so wird der Nachbar bald zu einer ungewöhnlichen Konstante in dem Leben des kleinen Mädchens.
Meine Meinung:
Französische Literatur besprüht einen eigenen Zauber, wenn sie richtig gemacht wird, was ich hier für mich nicht feststellen konnte. Erwartet hatte ich mir eine wunderbare Geschichte, um eine andersartige Freundschaft, erhalten habe ich diffuse Satzkonstrukte, die nichts Einzigartiges an sich hatten.
Der Hauptcharakter des Buches ist Hélène, um sie dreht sich alles. Ihr Familienleben wird näher beleuchtet, aber auch die spärliche Freizeit findet ihren Platz, was nur keinen Platz fand, war die Freundschaft. Sicherlich sprechen Hélène und Roger miteinander, aber da war keinerlei Tiefe vorhanden, die Wärme, die ich mir erhoffte, die gab es nicht. Roger ist eine Randfigur, findet manchmal einen Auftritt, welcher aber meist so belanglos ist, dass man im Klappentext nicht auf eine ungleiche Freundschaft hätte hinweisen sollen, sondern eher auf eine Geschichte um ein kleines Mädchen, welches ihrem Platz im Leben sucht, damit wäre der Inhalt tausendmal besser beschrieben gewesen.
Monsieur Roger ist schon eigen, ein Gespräch zu führen, ohne sich seinen Flüchen hinzugeben, das funktioniert nicht und es hätte eine liebenswerte Eigenschaft sein können, mich hatte dieses aufgesetzte Getue allerdings nur genervt, weil man in jedem Satz die Authentizität vermisste und sich fragte, wann die Geschichte wohl endlich im eigenem Herzen ankommt, aber um wohlige Wärme dort zu erzielen, war es einfach ein zu gefühlskalter Schreibstil. Der Anfang war noch vielversprechend, weshalb ich mich auch von der Leseprobe einlullen ließ. Da war Humor, Poesie und das Gefühl, sich auf eine wunderbare Abenteuerreise zu begeben, aber diese Versprechen die dort gemacht wurden, sie zerbrachen relativ schnell, was ich alles, oder zumindest viel darauf schiebe, dass es eine eindeutige Themaverfehlung ist.
Liebenswert ist Monsieur Roger also nicht, aber was ist mit Hélène? Nun ja, sie ist altklug und so sehr sich auch um ihre Familie sorgt, so hochnäsig kam sie mir doch viel zu oft rüber. Sie möchte eine Heldin sein, gibt sich dieser Leidenschaft hin und man spürt ihre Sehnsucht auf ein wagemutiges Leben, sieht ihre Anstengungen und kann sie doch einfach nicht sympathisch finden. Was tragisch ist, weil ich so viel Hoffnung in die Geschichte legte und die Enttäuschung darüber hat noch einmal den Eindruck des Buches geschmälert.
Im Klappentext wird das Buch mit Muriel Barberys “Die Eleganz des Igels” verglichen, was ein Affront. Die Geschichten sind wie Tag und Nacht, eine voller Wärme und Freundschaft und die andere, naja, die besitztüberhaupt nichts davon.
Fazit:
Themaverfehlung. Eine ungleiche Freundschaft gibt es nicht. Wärme findet man zwischen den Zeilen ebenso wenig wie Authentizität. Die Geschichte klingt aufgesetzt und hat keinerlei Schönheit in sich, wie man es sich erwartet hätte – wie man sich so viel erwartet hätte und am Ende nur enttäuscht zurückbleibt.
Danke für das Rezensionsexemplar an den Verlag Hanser Berlin und vorablesen.de!