ich möchte mich nur mal kurz bei meinem hirn bedanken.

Von Natasha Neverland @natashanvrlnd

während ich das hier schreibe, fühle ich mich ein bisschen alt. vielleicht sogar ein bisschen sehr alt, denn ich kenne den MSN messenger und ICQ noch. für die, die noch nie etwas davon gehört haben: das waren quasi die ultimativen kommunikationsmittel der späten 90er jahre.

um mit jemandem zu kommunizieren, musste man sich zuerst eine e-mail adresse erstellen und die potenziellen gesprächspartner hinzufügen, danach konnte man mit dieser person chatten, einander bilder schicken und später sogar zusammen spiele spielen. man konnte sich einen ultralangen nicknamen ausdenken, den nach belieben wieder ändern und sämtliche smileys und herzen oder sterne dazuknallen.

ein typischer MSN-nickname sah dann etwa so aus:

__*{.klaaine_prinzessin.}*___[*baarbiie.is.a.bitch.*]__

man wollte schon damals der ganzen welt seine meinung sagen. scheiss auf barbie, diese blöde schlampe. scheiss auf die ganze welt.

ja, hoch lebe die pubertät! wo wären wir ohne sie?

an dieser stelle muss ich jetzt fairerweise zugeben, dass es auch für meine freunde und mich damals nichts aufregenderes gab, als sich nach der schule vor den computer zu setzen und stundenlang zu chatten. das waren, wie zu erwarten, keine bedeutungsvollen konversationen und sie liefen meist folgendermassen ab:

A: hey
B: hey
A: wie geht’s?
B: gut, dir?
A: auch gut. was machst du so?
B: chatten. du so?
A: auch :)
B: hehe
A: (nach 15 minuten) ich gehe kurz essen, bin gleich wieder da.
B: (5 minuten später) ok
A: (nach weiteren 20 minuten) bin wieder da.
B: oke.
A: hehe
A: (nach zwei stunden) ich gehe dann mal schlafen. gute nacht :*
B: okay, gute nacht. hab dich lieb.
A: ich dich auch <3
B: <3
A: <3 :*
B: :*

das ganze MSN-prinzip erinnert ein bisschen an das von facebook. man hatte zwar kein profil, jedoch ein profilbild und konnte seine kontakte via e-mail adresse hinzufügen. die andere person musste nur noch kurz bestätigen und schon konnte man in die unendlichen weiten des präpubertären-gelabers eintauchen.

man wusste im grunde immer, mit wem man chattete und wenn man vermutete, hinter *peetraah_* würde sich in wirklichkeit peter, 45, LKW-fahrer mit vostrafenregister verbergen, so hatte man noch immer die möglichkeit, die person zu blockieren. ganz einfach.

ich erinnere mich, als ich mal in einen gruppenchat mit gefühlten dreimillionen leuten eingeladen wurde und innert sekunden den überblick verlor. ich kannte weder die nicknamen, noch die personen dahinter und ich glaube, so ging es allen. irgendjemand war auf die glorreiche idee gekommen, seine ganzen kontakte in einen chat zu werfen und alle zu ermuntern, ihre eigenen kontakte ebenfalls hinzu zu fügen.
ich verliess den massen-chat und hatte kurze zeit später eine anfrage von einem mädchen. ich erinnere mich leider nicht mehr an ihren namen oder an sonst was, aber ich erinnere mich an ein lied, das sie mir mal geschickt hat.

und hiermit komme ich zum grund dieses beitrags: 

mir gefiel das lied richtig gut, ich spielte wochenlang nichts anderes mehr ab. wie das halt so ist mit lieblingsliedern, konnte ich es irgendwann einfach nicht mehr hören.
über die jahre hinweg habe ich es völlig vergessen, ich wusste bis vor einer stunde weder wie die künstlerin, noch wie der song heisst. ich hatte die ganze zeit nur die melodie im kopf und alles mögliche versucht, um mich irgendwie an eine zeile zu erinnern, mit der sich der name des liedes ausfindig machen lässt. vergeblich.

vor ein paar tagen bin ich nachts aufgewacht und habe mich im bett sinnlos hin- und her gedreht. ich konnte nicht wieder einschlafen, war aber auch nicht richtig wach. ich befand mich in so einer seltsamen zwischenphase und auf einmal fiel mir der name der künstlerin schlagartig wieder ein. ich war leider zu müde, um ihn aufzuschreiben aber ich versicherte mir, mich morgen noch daran zu erinnern. dann schlief ich ein.
am nächsten morgen wusste ich natürlich gar nichts mehr. erst im verlauf des tag fiel mir dann ein, dass mir eingefallen war, wie die künsterlin heisst.

das war bei weitem nicht das erste mal, das mir so etwas passiert. es ist schon öfter vorgekommen, dass mir plötzlich wieder etwas eingefallen ist und ich mich dann gefragt habe, woher dieser gedanke jetzt kommt.

dieses phänomen ist schon längst bekannt. bekannt ist auch, dass wir eigentlich gar nichts richtig vergessen. unser hirn lässt mit der zeit einfach die alten erinnerungen verblassen, um platz für neue zu schaffen. man kann sich das bildlich ungefähr so vorstellen:

wenn ich mit einem bleistift auf ein blatt papier schreibe, das geschriebene dann langsam wegradiere und etwas neues darüberschreibe, sieht man zwar das neugeschriebene, der abdruck des alten ist jedoch noch immer da, also existiert das ebenfalls in gewisser weise noch.  

sigmund freud hatte damals zur behandlung seiner patienten seine ausgefeilte methode namens “freie assoziation” verwendet. was im grunde ganz einfach klingt, ist selbst für erfahrene psychologen nicht immer ein kinderspiel: der patient erzählt, was ihm gerade einfällt und der therapeut sucht sich dann ein paar anhaltspunkte raus, um darüber zu reden.

dass unser hirn wohl eines der faszinierendsten organe überhaupt ist, brauche ich wohl niemandem zu erzählen. wir nehmen innerhalb von einer sekunde mehrere millionen eindrücke auf. das können gerüche, töne oder berührungen sein. unser denkapparat filtriert diese reize und trennt die unbrauchbaren von den brauchbaren informationen.
so ähnlich läuft es auch mit dem vergessen: erinnerungen, die besonders schmerzhaft waren, lässt unser hirn schneller verblassen, als erinnerungen an glücksmomente. das passiert aus dem einfachen grund, weil unser hirn nicht will, dass wir leiden.

und auch mein leiden hat ein ende, denn ich weiss jetzt, wie das lied heisst:

cat power – troubled waters.

where does a thought go when it’s forgotten? – sigmund freud.


namasté.