Ich, meine Mutter und die Anderen

Eine Replik auf Biermann Pischko

Ich, meine Mutter und die Anderen

Ein Gastbeitrag von Janosch Deeg

Pischko, ein türkischer Migrant hat eine etwas andere Autobiografie verfasst. In einfachen Sätzen schildert er sein turbulentes Leben und gewährt uns nebenbei Einblicke in unsere Gesellschaft, die den meisten ansonsten verwehrt bleiben dürften.

Als illegaler Einwanderer kam er Anfang der 90er Jahre nach Deutschland und bestreitet – selbstverständlich nicht legal – seit vielen Jahren seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf von Bier auf öffentlichen Plätzen. Seine authentische Sprache und seine direkte Erzählweise lassen seine Erfahrungen, seine Gefühle und Sorgen real und nachvollziehbar werden. Ein Außenseiter hat sich sein Leid von der Seele geschrieben und damit vielleicht nicht nur sich selbst ein Stück weit therapiert.

Jede Stadt hat seine Charaktere, nicht die Prominenz, die Reichen und Mächtigen, im Gegenteil, schräge Gestalten am Rande der Gesellschaft: Obdachlose, Säufer, Huren, Irre oder Weltverbesserer. Man trifft sie auf den Straßen der Städte, grüßt oder meidet sie, und man erzählt sich Geschichten über diese faszinierenden Anderen. Man würde unbedingt etwas vermissen, gäbe es sie nicht. Und doch weiß man in Wirklichkeit wenig über jene Außenstehenden. Pischko ist einer von ihnen, ein Vergessener des Systems und doch so präsent.

Freiburg im Breisgau an einem beliebigen Sommerabend: Auf dem Augustinerplatz versammeln sich Menschen um miteinander zu reden und zu lachen, zu trinken, um den Feierabend zu zelebrieren und die Nacht einzuleiten. Dabei darf einer nicht fehlen – Pischko -, und er wird es auch nicht, solange er lebt, das hat er versprochen. Pischko verkauft Bier, billiges Bier für nur einen Euro pro Flasche, bis an sein Lebensende, das ist seine Aufgabe, dafür ist er berühmt, dafür wird er geliebt. Sein klappriges Rad dient ihm als Transporter auf dessen Gepäckträger er einen Bierkasten durch die Stadt kutschiert und an die Durstigen verkauft. Sein Deutsch beschränkt sich auf rudimentäre Begriffe, die in seinem Gewerbe gewinnbringend eingesetzt werden können: Dankeschön, Bitteschön und Prost. In Freiburg ist Pischko prominent, eine Person des “öffentlichen Lebens”. Viele nennen ihn einfach Prost, oder eher Prouscht oder Berost, wie Pischko sagen würde.

Er hat ein Profil auf StudiVZ, Studenten haben ihm zu Ehren ein T-Shirt gestaltet – Legalize Pischko -, er ist der Held des Augustinerplatzes, er ist der Biermann, den jeder kennt. Aber keiner kennt den kurdischen Migranten Hüseyin Topal. Doch das hat sich nun geändert. Pischko hat sein Sortiment erweitert – um eine Autobiografie. Stolz verkauft er nun zusätzlich zu dem altbewährten Klassiker Bier, ein Buch, sein Buch – auch schon ein Klassiker, auf seine Art. Auf 600 handschriftlich verfassten Seiten ohne eine einzige durchgestrichene Passage hat er auf türkisch sein Leben niedergeschrieben. Die Zeit dazu fand er im Gefängnis, wie er es nennt. Möglicherweise war es aber auch eine geschlossene Psychatrie.

Die Taktik sich als psychisch krank auszugeben, um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, wurde frühestens dann zu einem schwerwiegenden Nachteil, als er Probleme mit der Staatsgewalt bekam. Er wurde der Brandstiftung bezichtigt und eingesperrt. Einem Irren traut man dergleichen schnell zu. In seinem Buch wird er nicht müde diesen Tatbestand zu bestreiten. So ist sein Buch manchmal auch eine Verteidigungsschrift. Aber es ist noch viel mehr. Pischko entführt uns in die Türkei der 70er Jahre, wo er eine unglückliche Kindheit und Jugend verbrachte. In seiner zerütteten Familie fand er weder Halt noch Liebe und als kurdischer Alevite gehörte er darüber hinaus einer Minderheit an und wurde verfolgt und gedemütigt.

Als Kind wurde er als Bastard beschimpft, als Jugendlicher dann gefoltert. Er hatte Hoffnung diesem perspektivlosen Leben, gefüllt von Spott, Hohn und Schmerz, in dem gelobten Deutschland ein Ende zu bereiten. Man bräuchte eigentlich nicht hinzuzufügen, dass dieser Traum nicht in Erfüllung ging. In Deutschland wiederholte sich das Drama: keine Anerkennung, keine Freunde und unschuldig im Gefängnis. Er war die meiste Zeit obdachlos, spielsüchtig, hatte nie Geld, kaum Arbeit und selten bis nie Menschen um sich, die wir als Vertraute bezeichnen würden.

Doch bei aller Traurigkeit und allem Schmerz, die das Buch durchziehen, spricht aus seinen Worten zuweilen auch Hoffnung und Zufriedenheit. Tristesse und Freude liegen in vielen seinen Beschreibungen nah beieinander. Das mag auch an seiner Tätigkeit liegen, die ihm – zumindest manchmal – ein wenig Respekt verschafft:

Ich aber lebe in der Tiefe, in meiner dunklen Kammer, auf dunklen Straßen, auf Schleichwegen, in allen Schlupfwinkeln der Stadt habe ich gute und schlechte Erinnerungen versteckt.(..) Ich liebe diese Stadt mit all ihren Menschen, ich bin dankbar für die Liebe und den Respekt vieler Menschen in dieser Stadt. Ich frage mich manchmal, was ich denn dafür getan habe. Ich verdiene das doch gar nicht

Pischko ist ein stadtbekannter Charakter, aber – und dies zurecht, betrachtet man seine literarischen Fähigkeiten – ein Unbekannter in der Literaturszene, und doch hat sein schonungsloser, nackter Bericht eine unbedingte Daseinsberechtigung. Er hätte mehr Leser als nur die biertrinkenden Freiburger Studenten verdient. Denn Pischko hat zwar mit seiner Autobiographie “nur” seine Vergangenheit aufgearbeitet, aber versehentlich erklärt er uns dabei ein Stück weit unsere Gesellschaft.

Ich glaube ich habe mich durch das Schreiben ein Stück verstanden. Menschen die mein Buch lessen werden kommen vielleicht zu mir und erzählen mir von mir und ich werde versuchen, zu verstehen was Pischko für ein Mensch ist

Das Buch konnte erst durch die Mithilfe vieler Freiwilliger erscheinen. Es wurde Im Stückle Verlag gedruckt und kann bisher leider nicht online bestellt werden. Am besten man begibt sich abends auf die Straßen von Freiburg und kauft sich sein Exemplar plus Bier direkt bei dem Autor und gibt so einem Verlierer unserer Gesellschaft etwas von seinem verlorenen Stolz zurück.

Der Autor hat während seiner Studienzeit das ein oder andere Bier von Pischko erworben. Die Widmung in seinem persönlichen Exemplar lautet wie folgt: “Janorsch- Libe Geröse, ihr Biermann Berost”

Der Artikel erschien ursprünglich auf le-bohemien.net

Zum Thema:

- Aus dem Leben eines Biermanns

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Warum spenden?: Selbstverständnis eines Bloggers – Journalismus im schwarmintelligenten Wandel



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