«Ich mache mich nicht zum Sklaven»

Von Newssquared @Oliver_schreibt

Aus dem Traum wurde ein Trauma: Während der Olympischen Spiele 1972 in München stürmen am Morgen des 5. September bewaffnete Palästinenser in das Olympische Dorf und nehmen israelische Sportler als Geiseln. Elf Athleten und ein Polizist sterben beim Versuch, die Gefangenen zu befreien. Auch die Attentäter werden getötet. Das ZDF arbeitet diese Ereignisse vor fast 40 Jahren nun in dem Fernsehfilm München 72 – Das Attentat auf.

Regie bei diesem spannenden Drama führte der Israeli Dror Zahavi. Er zeigt, wie hilflos Politik und Sicherheitskräfte angesichts des Terrors waren. Neben Heino Ferch als Polizeichef, Felix Klare und Bernadette Heerwagen, die als Polizisten eine Liebesgeschichte erleben, spielt Benjamin Sadler Ulrich K. Wegener, damaliger Berater von Hans-Dietrich Genscher und späterer Gründer der GSG 9.

Herr Sadler, Sie spielen in München 72 – Das Attentat Ulrich Wegener, damals Verbindungsoffizier des Bundesgrenzschutzes. Der Echte hat das Filmteam beraten. Wie hat er Ihnen bei Ihrer Figur geholfen?

Benjamin Sadler: Er ist ein imposanter, ganz wacher und agiler Typ. Er hat mir dadurch geholfen, dass er einfach er ist. Konkret haben wir über das Buch gar nicht gesprochen. Es ging darum, ein Grundgefühl zu bekommen, wie er damals getickt hat. Wie ist er mit gewissen Situationen emotional umgegangen? Ich hatte auch über ihn im Vorfeld viel Infomaterial, deshalb war die Begegnung nicht die große Überraschung. Ich ahnte schon, dass da jemand mit einer klaren Direktheit kommt. Trotzdem, das Original ist natürlich immer imposanter als das, was man geschrieben sieht.

Der Fernsehfilm-Chef des ZDF, Reinhold Elschot, sagte, dass Schauspieler nicht so brillieren können, wenn sie jemanden spielen, der noch lebt. Sehen Sie das auch so?

Sadler: Ich weiß, was er damit meint. Mir selbst geht es aber nicht so. Sonst hätte ich die Figur auch nicht gespielt. Ich versuche immer herauszufinden: Wo sind die Punkte seiner Wahrheit und wie kann ich die umsetzen? Wenn eine Figur an sich schon dröge ist, wegen der historischen Fakten, die man berücksichtigen muss, ist sie auch uninteressant für mich. Und genauso gibt es im rein Fiktionalen im Drehbuch ja auch gewisse Rahmenbedingungen.

Ulrich Wegener findet seine Darstellung durch Sie fantastisch. Hat er Ihnen das schon gesagt?

Sadler: So wie er ist, sagte er: Nee, das ist in Ordnung.

Er wäre sicher auch einer, der sagen würde, wenn es nicht in Ordnung wäre.

Sadler: Das denke ich auch. Ich habe mich natürlich gefreut. Aber dafür mache ich das nicht. Natürlich habe ich gehofft, dass sich unsere Vorstellungen überlappen. Meine Aufgabe ist es aber, die Figur in meinem Kontext umzusetzen. Ich mache mich nicht zum Sklaven von irgendwelchen Ansagen von außen. Außer es ist die Vision des Regisseurs, dann ist das was Anderes.

Im Film gibt es trotz der Tragik viele Stellen zum Schmunzeln. Sie stellen Ulrich Wegener als sehr strikten, steifen Zeitgenossen dar. Ich habe mit ihm gesprochen und er hatte dieses Augenzwinkern. Hätte das nicht auch zu Ihrer Figur gepasst?

Sadler: Das ist absolut Teil seiner Persönlichkeit. Aber gerade im Krisenstab gibt es wenig Lustiges. Eigentlich gar nichts. Da herrschten tragische, aber auch tödlich-komische Situationen vor. Die beruhen auf historischen Gegebenheiten. Denn natürlich ist es absurd, wenn der Polizeichef in die Tiefgarage läuft und ruft: «Nicht schießen, nicht schießen!» Dann weiß man gar nicht, ob man lachen oder weinen soll. Das kann ich mit Wegener im Film nicht in dieser Form bieten. Er selbst hat München 72 als die schlimmste Erfahrung beschrieben, die er je gemacht hat. So ironisch und charmant kann er heute nur mit dem Thema umgehen, weil er jetzt weiß, dass die Verantwortlichkeiten geklärt sind. Was soll er jetzt da noch groß drauf herumreiten? Damals in der Generalstabssituation war dafür kein Platz.

Und die Polizei wirkt vor allem durch ihre behäbige Art oder das präpotente Verhalten eher unfreiwillig komisch. Das war Überforderung von Anfang bis Ende. Denn das Grundgefühl bei den Olympischen Spielen 72 war eine Utopie. Wir kommen alle zusammen und haben uns lieb. Aber auch von den Leuten, die die Aufgabe hatten zu schützen, war es schon naiv zu glauben, dass man sich nur mit einem Dackel hinstellt und dann wird alles gut. Sie hatten noch nicht mal einen funktionierenden Plan B.

Wie finden Sie den Film eigentlich?

Sadler: Mit hat er gefallen, weil ich ihn auf eine sehr angenehme Art und Weise nicht marktschreierisch finde. Das liegt vor allem am Regisseur Dror Zahavi. Er hat versucht, den Blick auf die Punkte zu richten, die für ihn wichtig sind und hatte nicht den Anspruch zu dozieren: «Ich sage euch jetzt mal, wie das hier ist.» Das ist bei solchen Sachen ja immer die Gefahr. Er wählt unsere stärkste Waffe im Fiktionalen, die Emotion, um das dem Zuschauer nahezubringen. Und er weiß sich in den entscheidenden Situationen zurückzuhalten. Ich bin mit Drors Film wirklich zufrieden, denn er hat eine Kraft als Film und nicht nur durch das Thema.

War es wichtig für den Film, dass der Regisseur aus Israel kommt?

Sadler: Ich finde nicht. Aber das Eine ist vom Anderen nicht zu trennen. Ich kenne Dror nur so. Er ist da geboren und aufgewachsen. Ich weiß nicht, wie es wäre, wenn er in Tschechien oder Frankreich aufgewachsen wäre. Ich verstehe die Entscheidung und den Wunsch der Produzenten Ariane Krampe und Nico Hoffmann, aufgrund der Komplexität und der sensiblen Situation sich jemanden von der anderen Seite zu holen. Also von denen, die mit involviert waren. Das ist ein kluger Ansatz. Aber ich bin sicher, dass die Entscheidung so einstimmig gefallen ist, weil Dror vor allem ein guter Regisseur ist.

War es besonderes für Sie, dass auch Israelis und Palästinenser mitgespielt haben?

Sadler: Ich fand es ganz wesentlich. Und das merkt man dem Film an. Die Terroristen wurden von Palästinensern oder auch israelischen Arabern gespielt, die selbst in der israelischen Armee waren. Die kannten die Situation aus ihrem Leben und für einige war das ganz schön emotional. Anders als wir müssen die in ihrem Militärdienst nicht nur vor der Kaserne Wache schieben, sondern es geht in Gebiete, wo es zu Schusswechseln kommen kann. Und die schießen nicht nur in die Luft. Dror wollte Leute aus diesem Kulturraum dabei haben. So bekommt Filmhandwerk eine tolle lebendige Ebene, weil auch in der fiktionalen Aufarbeitung alle Parteien involviert sind. Das finde ich eine fast philosophisch-schöne Tatsache und es ist die einzig adäquate Möglichkeit, sich dem zu nähern.

Wie haben Sie als Kind die Aufarbeitung des Attentats in der BRD miterlebt?

Sadler: Ich bin erst 1971 geboren, aber natürlich bin ich damit aufgewachsen. Wir haben es intensiv im Geschichtsunterricht behandelt, weil es zum kollektiven Gedächtnis gehört. Die prägendsten Bilder waren das des ausgebrannten Hubschraubers und André Spitzer im Fenster des olympischen Dorfes stehend, mit seinem Unterhemd an und der Typ, der mit der Waffe hinter ihm. Das ging um die Welt. Wir leben immer noch im Schatten dieser Ereignisse, denn wir beschäftigen uns mit dieser Realität heute noch so intensiv wie damals. Der internationale Terrorismus hatte dort seinen Kindergarten.

Sie wussten also schon aus dem Geschichtsunterricht, was damals schiefgelaufen ist? Oder hat Sie das Drehbuch doch überrascht?

Sadler: Ich war sehr überrascht, denn ich wusste, dass viel falsch gelaufen ist, aber dass es so eine Verkettung von Ereignissen war, daran konnte ich mich nicht mehr erinnern. Dabei konnte der Autor aus Zeitmangel gar nicht alles aufschreiben. Die Eckpunkte der entscheidendsten Fehlentscheidungen sind aber im Film. Konkret konnte ich mich vorher erinnern, dass die Panzerfahrzeuge im Stau steckten. Oder dass während des ersten Einsatzversuchs die Terroristen alles im Fernsehen mit ansehen konnten. Das muss man sich mal vorstellen. Der Film hat das in einer Klarheit wieder hochgespült, die sprachlos macht.

Haben Sie Angst vor Terror?

Sadler: Denke ich darüber täglich nach? Nein. Nach den Bombenanschlägen in London war ich eine Woche später da. Meine Familie und Freunde haben beinhart einfach weitergemacht, sind U-Bahn und Bus gefahren und haben gesagt: «Wir lassen uns von diesen Schweinen nicht unseren Alltag kaputt machen.» Ich habe jedoch erstmal öffentliche Verkehrsmittel gemieden und versucht, überall mit dem Taxi oder dem Fahrrad hinzukommen. Das war meine einzige direkte Konfrontation mit Terrorismus. Ich kenne die Paranoia auch aus Amerika, wobei ich mich dort nicht komisch fühle. Und auch nicht da, wo es naheliegend wäre; ich bin oft in Israel und besuche Freunde. Dort wird ganz anders damit umgegangen. Wenn wir unser Leben von Terroristen bestimmen lassen und Gesetzgebungen zulassen, die viel weiter gehen als die eigentliche Bekämpfung der terroristischen Gefahr, werden wir komplett entmündigt. Und das kann es nicht sein.

Ist München 72 auch in Israel ein Thema?

Sadler: Total. Das Casting für die Schauspieler dort wurde gar nicht publik gemacht. Die Information, dass Deutsche einen Film über München 72 drehen, hat sich trotzdem wie ein Lauffeuer verbreitet. Das Attentat ist bei allen, auch den jungen Leuten, sehr präsent. Ob es jetzt emotionaler gesehen wird als hier, kann ich nicht beurteilen.

München 72 – Das Attentat, Montag, 19. März 2012, 20.15 Uhr, ZDF

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