Ich gehe gerne ins Ballett. Ich bin nicht so der ausgeprägte Ballettkenner, aber ich sehe es mir gerne an (und komme mir daneben wie ein fettes Trampel vor, aber das nur mal am Rande).
Gestern Abend war es mal wieder so weit. Wir warfen uns in Schale und trotteten ins Nationaltheater, um dort eine Aufführung zu sehen. Es war quasi ausverkauft. Wir hatten Plätze auf dem Balkon, ganz an der Seite, in der ersten Reihe. Ich gestehe, es waren keine übermäßig teueren Karten, aber Ballett ist ja auch so schon teuer genug. Man kann sich da ja nun bekanntermaßen über das Geländer lümmeln – oder es auch lassen. Die beiden Herren neben mir warfen sich recht hemmungslos über das Geländer, wackelten die ganze Zeit herum und ließen uns (und dem Rest des Balkons) damit keine Sicht. Ich drehte mich um – keiner sonst aus der Reihe beugte sich nach vorne, schließlich nimmt man damit ja jedes Mal dem Sitznachbarn die Sicht. Nach einer weiteren hemmungslosen Aufbäumattacke des Menschen neben mir, tippte ich ihm schließlich auf die Schulter und sagte: “Entschuldigen Sie, aber ich kann leider überhaupt nichts sehen.”
Entsetzt drehte er sich um und herrschte mich an: “Dann lehnen Sie sich eben auch nach vorne.” Ich war etwas irritiert ob des plötzlichen Ausbruchs und sagte nur: “Dann sehen aber die neben mir nichts mehr.” Er murmelte noch irgendwas, das ich besser nicht verstand, blieb dann aber halbwegs gerade sitzen.
Nach der Pause saß nur noch einer der beiden Herren da, nicht der, mit dem ich gesprochen hatte, sondern der andere. Kaum saßen wir wieder, drehte der sich zu uns und blökte mich an: “Ihr Verhalten hat dazu geführt, dass mein Partner an seinem Geburtstag die Veranstaltung verlassen musste, weil SIE sich ja SO gestört fühlten.” (Eine glatte Lüge, er hatte sich auf der anderen Seite auf den Balkon gestellt, wie wir später unschwer sehen konnten). Meine ständige Begleitung, eigentlich eher nicht der aufbrausende Typ, mischte sich jetzt ein und sagte, dass wir ja leider keine Ahnung haben konnten, dass der arme Mensch Geburtstag hatte, dass wir aber trotzdem ganz gerne etwas gesehen hätten. Unser Nachbar hatte dann tatsächlich die Nerven zu sagen: “Sie haben wahrscheinlich nicht viel Erfahrung mit solchen Veranstaltung. Sonst wüssten Sie, dass dies eine Seitenoper ist und es daher absolut üblich ist, sich über das Geländer zu lehnen.” Ich war erstaunt über so viel Arroganz, und während ich noch überlegte, ob ich ihm jetzt lieber gleich meine Handtasche über den Kopf ziehen sollte oder darauf hinweisen, dass wir Kulturbanausen zumindest nicht in Jeans ins Nationaltheater gehen oder ihm zu raten, dass er das nächste Mal vielleicht einen Zehner mehr in den Geburtstag seines Partners investieren sollte, um sich dafür vernünftige Platzkarten zu kaufen, kam die Stimme der Vernunft aus der hinteren Reihe: “Entschuldigen Sie, aber ich kam leider nicht umhin ihre Konversation zu überhören.” sagte ein freundlicher Herr. “Neben uns sind noch zwei Plätze frei, vielleicht möchten Sie sich hierhin setzten?” Dankbar lächelte ich ihn an. “Es gibt eben solche und solche.” sagte er und zwinkerte mir zu.
Recht hat er.