Ich konzentriere mich aufs Überleben

Rami, 17, aus Syrien, ist auf der Flucht nach Deutschland. In Serbien berichtete er CARE-Helferin Ninja Taprogge von seiner Flucht, dem Krieg in seiner Heimat und seinen Hoffnungen:  Mein Name ist Rami. In vier Monaten werde ich 18 Jahre alt. Meinen Geburtstag kann ich kaum erwarten, auch wenn ich ihn fern meiner Heimat, ohne meine Freunde und Familie feiern werde. Ich komme aus der syrischen Hauptstadt Damaskus. Vor 18 Tagen habe ich meinen Vater, meine Mutter, meinen Bruder und meine Schwester verlassen, um mich auf den Weg in ein anderes Leben zu machen. Meine Familie setzt all ihre Hoffnung in mich.

Sie haben meinen Rucksack gepackt und mich mit ihren gesamten Ersparnissen, umgerechnet fast 2.700 Euro, losgeschickt. Mein Vater arbeitet bei einer Bank, meine Mutter ist Schuldirektorin und mein Bruder ist in einem Hotel angestellt. Jahrelang hat meine Familie einen Teil ihres monatlichen Lohns für meine Reise zurückgelegt. Sie wünschen sich, dass ich eine Zukunft fern vom Bürgerkrieg in Syrien lebe, der mittlerweile mehr als elf Millionen Menschen zur Flucht gezwungen hat.

Noch vor ein paar Wochen ging ich zur Schule. Die meisten Stühle im Klassenzimmer waren schon lange nicht mehr besetzt. Viele meiner Schulfreunde sind von einem Tag auf den anderen einfach nicht mehr gekommen. Manche haben Syrien verlassen, andere sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Vor drei Wochen wurde auch mein Holzstuhl frei. Mit dem Auto bin ich zur syrisch-libanesischen Grenze gefahren. Es war sehr gefährlich und teuer die Grenze zu überqueren.

Über Beirut bin ich weiter in die Türkei gereist. Ich konnte zum ersten Mal wieder aufatmen und hatte das Gefühl, dass ich es schaffen könnte. Dass mein Traum, eines Tages in Deutschland zu leben, endlich wahr werden könnte. Freunde, die bereits nach Deutschland geflohen sind, erzählten mir wie gut und sicher das Leben dort ist. Sie waren dankbar, dass viele Menschen gastfreundlich und hilfsbereit sind.

Rami / Foto: care.de

Rami / Foto: care.de

Von der Türkei aus bin ich mit dem Boot nach Kos, eine der griechischen Inseln, gefahren. Das Boot war zwei Meter lang und eigentlich nur für fünf Leute gedacht, aber wir waren mehr als 20 Menschen. Die meisten kamen aus Syrien, aber auch Iraker und Afghanen waren mit uns an Bord. Die Fahrt dauerte mehr als zwei Stunden, obwohl die Reise unter normalen Umständen in etwa 30 Minuten zurückgelegt werden kann. Wir waren sehr langsam, weil das Boot völlig überladen war. Eine Frau und ein kleines Baby waren auch an Bord. Während der Fahrt schrie und weinte das kleine Mädchen unaufhörlich. Das Meer war sehr unruhig und viele hatten schreckliche Angst.

Nur ich nicht, denn ich kann gut schwimmen. Ich war darauf vorbereitet, irgendwann ins Wasser springen zu müssen. Mein Geld, meinen Pass und mein Handy hatte ich in Plastik eingewickelt, damit alles sicher ist, falls es zu einem Notfall kommen sollte. Doch wir hatten Glück und kamen sicher auf Kos an. Dort blieben wir vier Tage. Es war sehr teuer, aber wir brauchten eine Auszeit. Es waren viele Hilfsorganisationen vor Ort, die neu ankommende Flüchtlinge unterstützten. Ich half ihnen dabei Wasser, Saft, Milch und Essen an meine Landsleute und andere Flüchtlinge auszuteilen. An einem Tag saßen wir auf einem Berg direkt an der Küste und beobachteten, wie ein Boot mit viel zu vielen Menschen an Bord zu kentern drohte. Wir riefen die griechische Küstenwache, die herbeieilte und die Menschen retten konnte. Diese Bilder werde ich nie vergessen.

Auch in Mazedonien haben sich Bilder in meinen Kopf eingebrannt. Wir haben dort Schreckliches erlebt. Mit dem Zug sind wir an die serbische Grenze gefahren und mussten Stunden ohne Bewegungsfreiheit, mit Angst und großer Sorge um unser Leben ausharren. Wir wurden wie Tiere in einen Käfig gesperrt. Als wir endlich an der Grenze zu Serbien ankamen, warteten bereits fast 2.000 Menschen darauf nach Serbien durchgelassen zu werden. Wir schlossen uns der Gruppe an und wurden schnell über die Grenze geschickt. Nach kurzer Zeit brach Panik aus, die Menschenhorde rannte los, jeder wollte der Erste sein. Niemand nahm Rücksicht auf kleine Kinder. Ich hatte mich auf meiner Flucht einer Familie angeschlossen, die ich noch aus Syrien kenne. Amal, ein kleines Mädchen aus der Familie, ging in der Menschenmenge unter. Wir konnten sie plötzlich nicht mehr sehen. Die Menschen drückten sie nach unten, sodass sie kaum noch Luft bekam. Ihr Großvater fing bitterlich an zu weinen, weil er sie nicht finden konnte. Doch dann sah ich sie plötzlich, konnte sie zu mir hochzuziehen und über die Grenze tragen.

Camp in Kanjiza, 27.8.2015 / Foto: care.de

Camp in Kanjiza, 27.8.2015 / Foto: care.de

In Subotica, im Norden von Serbien, bin ich erst heute angekommen. Ich weiß noch nicht wann und wie es weiter geht. Ich wünsche mir nichts mehr als endlich in Deutschland in Sicherheit zu leben. Wenn ich das geschafft habe, will ich meine Eltern zu mir holen. Doch jetzt muss ich mich erst mal darauf konzentrieren Ungarn zu erreichen. Dabei bin ich auf Hilfe angewiesen und über Unterstützung von Hilfsorganisationen wie CARE sehr dankbar. Über mein Handy versuche ich Informationen darüber zu bekommen wie die Lage an der Grenze aussieht. Freunde, die es nach Europa geschafft haben, behalten die Medien im Blick und schreiben mir Nachrichten, die für meine Weiterreise wertvolle Informationen enthalten. Doch gerade weiß ich nicht wie und ob ich es über die serbisch-ungarische Grenze schaffen kann. Ich habe mein Handy ausgeschaltet, weil ich sparsam mit dem Akku umgehen muss.

In einem Hotel in Belgrad konnte ich ihn das letzte Mal vollständig aufladen und habe viel dafür bezahlt. Umgerechnet 100 Euro kostete mich eine Übernachtung, die ich mir ausnahmsweise geleistet habe, weil ich sehr erschöpft war und unbedingt Strom brauchte. Mein Handy ist das Kostbarste von dem Wenigen, das ich noch besitze. Ich darf es nicht verlieren, denn sonst kann ich meiner Mutter keine Textnachrichten mehr schicken und sie will schließlich jeden Tag wissen wo ich gerade bin und wie es mir geht.

Fast jeden Tag wache ich in einer anderen Stadt auf. Ich schlafe am Straßenrand, unter Bäumen, auf Feldern und bin oft sehr erschöpft. Mehr als vier Jahre Bürgerkrieg in Syrien haben viele unsichtbare Wunden hinterlassen. Und auch auf meiner Reise habe ich weitere Situationen erlebt, die ich nie vergessen werde. Viele Menschen werden sich fragen, warum ich diese gefährliche Flucht auf mich nehme. Doch für mich wäre es viel gefährlicher in Syrien zu bleiben.

Für mich ist die Flucht der einzige Ausweg nicht zum Militär gehen zu müssen. Denn seit in Syrien Krieg herrscht, ist niemand mehr sicher. Ich will Menschen nicht erschießen und Großeltern, Müttern und Vätern noch mehr Leid bereiten.

Ich möchte Menschen helfen und das kann ich am besten, wenn ich selbst am Leben bleibe.


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