Ich glaube, das Altwerden hat noch vor meinem 30. Geburtstag begonnen. Genau genommen letze Woche, als die Einladung zum Klassentreffen in mein Facebookpostfach flatterte. Diese Post war weniger erfreulich. Hab ich doch noch ein paar Tage davor mit einem ehemaligen Klassenkameraden gechattet und mir erzählen lassen, dass ein derartiges Treffen fühestens im nächsten Jahr stattfinden wird. Immerhin hätte man da ein 15-jähriges Jubiläum zu feiern. Ich persönlich feier ja ständig, dass ich eine Vielzahl dieser Leute nicht mehr sehen muss. Und das für alle Tage.
Jetzt also Klassentreffen. Dieses Jahr. Denn 15-jähriges Jubiläum kann ja jeder feiern. Wir feiern 14-jähriges. Wir sind ja anders. Trifft auf einige zu, stimmt. Im Oktober soll es sein. Monatsmitte und weil wir schon bei Mitte sind: mitten im Nichts. Umgeben von bayerischer Einöde. Kilometerweit von irgendeinem Lebewesen entfernt. Dort sagen sich nicht mal Fuchs und Hase gute Nacht.
In diesem "Ort" habe ich 11 Jahre gewohnt. Vegetiert. War kurz auf der Grundschule dort, Hauptschule. Erster Freund, erste Liebe, erste Prügelei (und nicht die letzte), erste Erfahrungen mit dem Thema Mobbing (und auch das sollten nicht meine letzten sein). Dort habe ich während der Fachschulausbildung gewohnt...und irgendwie war ich froh, als ich dort raus kam. Ich mag das Land. Wenn man nicht weit in die Stadt hat. Oder generell nicht in die Stadt muss. Ich bin ein Landkind. Ich weiß, was eine Kuh ist und ich weiß, dass sie nicht lila ist. Und ich weiss auch, wie sie riechen. Dennoch hat es mich immer ins weite Land (und das musste gar nicht mein Heimatland sein) gezogen.
Nun soll ich also wieder zurück. Nur für einen Abend. 500km hinfahren. Sinnlose Unterhaltungen mit Leuten führen, mit denen ich mich gar nicht unterhalten will. Heucheleien anschauen, wie sehr man sich doch freut, sich wieder zu sehen. Dann eine Nacht ins Hotel und danach wieder 500km Heim. Ganz ehrlich? Nein Danke!
Meine Zeit auf dieser Schule war nicht toll und meine Klassenkameraden waren es auch nicht. Klar hatte ich meine Freunde, aber es gab eben auch immer die anderen. Die, die einen "fette Sau" nannten oder ausschließlich beim Nachnamen ansprachen, als wäre man es nicht wert, einen Vornamen zu haben. Dann gab es die, die sich sowieso besser vorkamen, weil sie auch von der Klassenlehrerin besonders behandelt wurden. Und das lag bestimmt nicht an den Geschenkkörben, die diese immer von diversen Eltern bekam. Wenn mich diese Zeit etwas gelerht hat, dann, dass ich sehe, was ich nicht brauche und was ich nicht will und was ich getrost aus meinem Leben streichen kann. Wie die meisten Leute dieser Klasse und eben nun die Mehrheit der "Erwachsenen" die zu diesem Treffen gehen werden.
Ich habe "Nein" angesagt. "Oh nein, schaaadeeee" musste ich mir anhören. "Hätte dich sooooo gerne wieder gesehen" Das glaube ich auch, dachte ich mir. Besonders weil diese Sätze von Leuten kamen, mit denen ich in meiner Schulzeit nichts zu tun gehabt habe. Man hat sich nicht mal gegrüßt, wenn man sich auf der Straße gesehen hat. Und nun ist es schade, dass ich nicht komme? Ich bezweifel, dass die überhaupt meinen Vornamen wissen. Plötzlich werde ich von Leuten "Dani" genannt (was ich auf den Tod nicht ausstehen kann). Was mich schon überrascht. Sie kennen also meinen Vornamen.
Klar, weil er in meinem Facebookprofil steht. Praktisch. Heutige Technik. Heutiges Zeitalter der Datenfreizügigkeit. Ein Hoch auf Facebook!
Ich habe, wenn ich ehrlich bin, lange überlegt, ob ich gehe oder nicht. Lange diskutiert mit mir selbst, ob es sich lohnt, den weiten Weg auf sich zu sehen. Und ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass sich diese Reise so sehr lohnt wie eine Schamhaarfrisur.
Ich will von denen keinen wiedersehen. Ich habe immer brav mit denen Kontakt gehalten wo ich auch welchen haben wollte. Die anderen sind mir egal. Es hat sich auch nie jemand bei mir gemeldet. Also werde ich den anderen genauso egal sein. Es hat sich also doch nichts geändert, auch wenn sie nun meinen Vornamen kennen.
Klar, hätte ich gerne erzählt, was ich nun mache und wo ich lebe (dass und wie viel ich abgenommen habe und dass nun keiner mehr den Grund hat mich "fette Sau" zu nennen), denn wie ich das mitbekommen habe, sind alle anderen der bayerischen Einöde treu geblieben. Ich wäre dann der Gast von Außerhalb. Die Tante aus Amerika. Aber ganz ehrlich: auch auf diese Angabe habe ich keine Lust. Ich muss niemandem mehr etwas beweisen und ich gebe zu, dass ich damals schon versucht habe, diesen Leuten zu imponieren, um dazuzugehören.
Ich habe für mich beschlossen, dass ich vielleicht gerne in weiteren 14 Jahren zu einem Klassentreffen gehe, sollte ich da überhaupt noch eingeladen werden. Jetzt muss ich das nicht unbedingt haben.
Unnötiger Stress unnötige Leute zu sehen um sich über unnötige Dinge zu unterhalten.
Ich habe gelernt, meinem Leben nur noch Dingen und Menschen zu widmen, für es sich lohnt und die mich auch in ihrem Leben haben wollen. Ich laufe keinem mehr nach, versuche niemandem mehr zu imponieren oder mich zu verändern, nur weil es andere so wollen. Und seitdem lebe ich verdammt glücklich.