Ich habe sowas wie Mitleid

Eine Nachbarin von mir ist etwa so alt wie ich und hat fünf Kinder. Etwa so alt wie ich heißt fast dreißig, fünf heißt OH-MEIN-GOTT! Die Älteste ist sieben, der Kleinste noch ein Baby. Mit der Großen und ihrem fünfjährigen Bruder spielt meine Tochter im Moment sehr viel. Die meisten ihrer anderen Freunde sind gerade im Urlaub und so kommt es, dass Laupenta nun ausschließlich mit diesen Zwei spielt. Dadurch sind wir uns in den letzten Tagen ganz schön nah gekommen. Irgendwie viel näher als mir lieb ist …

Ich habe sowas wie Mitleid. Aber ich will ja nicht überheblich sein. Die Mutter nenne ich der Einfachheit halber mal Cindy. Ich sagte nicht, der Einfältigkeit halber, aber ja … darauf läuft ‘s hinaus. Cindy ist nicht eben klug und was sie von sich gibt, geht oft nah an der Schmerzensgrenze vorbei. Sie hat keine Zeit, um schön auszusehen, ihr verschleierter Blick will meist nicht viel mehr als den Fußboden sehen, sie nuschelt in ihrer eigenen Grammatik und wenn sie nicht nuschelt, dann schreit sie viel. Sie schreit hässliche Dinge wie: “Bist du bescheuert?”, sie ist oft damit beschäftigt, kleine Kinderkörper an ihren Armen durch die Gegend zu schleifen und sie sieht sehr, sehr traurig aus.

Darum stehen Laupenta und ich nun ständig bei ihnen vor der Tür, um wenigstens die Großen zum Spielen raus zu holen. Oder wir nehmen sie mit zum Einkaufen. Heute zum Beispiel waren wir zusammen einkaufen und haben gemeinsam in einem Bistro zu Mittag gegessen. Während wir so aßen und lachten und brabbelten, stellte die Siebenjährige ganz unvermittelt eine gefährliche Frage:

“Haust du die Laupenta manchmal?”

Ich war so froh, dass Laupenta gleich vehement den Kopf schüttelte und musste aber einräumen, dass ich ihr schon mal den berühmten Klapps auf den Po verpasst hätte und zeigte wie ich einmal mit zwei Fingern wütend über ihre Wange gestreift war. Nichts, was wehtat. Aber durchaus aggressive Gesten, die mich beschämen, wenn es zwischen mir und Laupenta zur Sprache kommt. Also erklärte ich, dass es ein ganz schlimmer Fehler sei, zu hauen. Und da plapperten die Zwei dann auch schon fröhlich drauflos, wer zu Hause wen alles schlagen würde. “Der Papa haut alle außer dem Baby, die Mama haut alle außer dem Baby und dem Papa und ich hau manchmal die …” Das Ganze in einem etwas anderen Deutsch erklärt und quasi ohne erkennbare Emotionen. Die Leute sahen von den Nebentischen her und ich lächelte und versuchte so zu tun als sei alles in Ordnung. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Was rät man denn bitte einem Kind, das zu Hause geschlagen wird???

Ich versuchte es mit: “Wenn der Papa oder die Mama oder die … oder der … dich das nächste Mal hauen will, dann sag: Nein, das ist verboten.” Der Junge wich grinsend meinen Blicken aus, das Mädchen schaute ganz ernst. In meinem Kopf explodieren seitdem tausen Gedanken. Bloß nicht das Jugendamt einschalten …, aber WAS DANN ?

Ich bin ratlos, liebe Mitmenschen.
Herr Glaser vom Jugendamt in Düsseldorf zum Beispiel hat in meinem Leben über Wochen verhindert, dass ich meine Tochter bei meiner Mutter besuchen konnte. Herr Glaser und ich hatten uns noch nie zuvor gesehen und trotzdem wagte er es, mir telefonisch und postalisch immer wieder zu erklären, dass er mir als drogenabhängiger Wahnsinnigen wohl kaum genehmigen würde, mein Kind mit nach Berlin zu nehmen. Ah, dieser Herr Glaser. Ich könnte heute noch ausflippen, wenn ich an diesen Menschen denke. Und Herr Glaser ist ja nur einer von vielen faulen Bürokraten in seinem Amt. Selbstverständlich gibt es auch engagierte Mitarbeiter beim Jugendamt, aber wer weiß denn, an wen ich gerate, wenn ich meine Nachbarn melde. Bürokratie kann diesen Kindern auch nicht helfen.

Vor ein paar Tagen habe ich eine Freundin gemahnt: “Sobald dir etwas bewusst wird, sobald du etwas sicher weißt, bist du auch dafür verantwortlich!” Und meiner Tochter sage ich immer, dass sie jeden Müll, den sie auf der Straße berührt, dann auch wegschmeissen muss, weil sie ihn bemerkt hat. Ich hab einen ziemlichen Spleen in der Hinsicht. Aber ja, ich hasse Müll, weil er auf Gleichgültigkeit hinweist. Ich kann mit Gleichgültigkeit einfach nichts anfangen. Sie macht mich wütend.

Also, bin ich jetzt gezwungen zu handeln? Und was soll ich tun?

Nun. Ich kann Normalität zeigen. Oder besser noch: Die Schönheit der Normalität. Ich arbeite in der Erziehung mit Belohnen und Strafe. Zuckerbrot und Peitsche. Und so haben die beiden großen Mädchen auf dem Heimweg also ein Eis verdrückt und der kleine Junge … nicht.
Fies, oder?
Nein, das finde ich nicht. Der Kleine hatte seine Schwester im Supermarkt – na, was wohl – gehauen. Ich hatte bereits zu Beginn angekündigt, dass jedes Kind, das sich beim Einkaufen gut benehmen würde, am Ende eine Belohnung erhalte.
Alle Regeln waren klar und dass man nicht haut hatte ich auch bereits erwähnt.
Ich glaube, das ist alles, was ich tun kann. Fiese Strafen ohne körperliche Gewalt anwenden und gutes Verhalten bestärken.

Normal sein. Und wenn Pädagogik gerade nicht nötig ist, dann ganz viel lachen.

Beitrag von Maike von Wegen


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