Salvador Dali
Ihr Lieben,
ich möchte Euch heute eine Geschichte von Axel Kühner erzählen:
„Das kostbare Gut“
„Die Tiere hatten eine große Versammlung einberufen, weil sie beraten wollten, wie sie sich gegen den Raubbau durch die Menschen schützen könnten.
„Mir nehmen sie fast alles“, sagte die Kuh,
„die Milch, das Fleisch und selbst die Haut.“
www.hamburg-web.de
„Mir geht es auch nicht viel besser“, sagte die Henne.„Mir nehmen sie die Eier weg und schließlich muss ich in den Topf.“
www.holstein-ei.de
„Von mir nehmen sie das Fleisch und meine schöne Haut“,sagte das Schwein.
www.wikipedia.org
„Und mir rauben sie die Freiheit, weil ich ihnen vorsingen soll“,sagte der Kanarienvogel.
www.wikipedia.org
Und so hatten sie alle etwas zu beklagen: Dir Kirsche, die Hasen, die Vögel und die Fische, die Wale und die Seehunde, die Leoparden und die Elefanten.Als alle Tiere ihre Klagen vorgetragen hatten, ließ sich die leise Stimme der Schnecke vernehmen:www.gartenspaziergang.de
„Was ich habe, würden mir die Menschen sofort wegnehmen, wenn sie könnten. Denn was ich habe, das fehlt ihnen zu ihrem Wohlergehen am meisten: Ich habe Zeit!“Ihr Lieben,
als ich mich heute Morgen in der Stadt mit einem alten Bekannten unterhielt,
sagte er plötzlich:
„Du liebe Zeit, es ist ja schon 10.30 Uhr, ich habe ja gleich einen Termin beim Arzt, ich muss dringend weiter!“ Und eilig schritt er davon.
Nur wenige Minuten später traf ich einen jungen Mann, dem ich auf seinem Lebensweg vor Jahren helfen durfte und er sprach mich an und sagte:
„Herr Forneberg, ich stehe vor einer wichtigen Entscheidung in meinem Leben.
Ich würde mich so gerne einmal mit Ihnen darüber unterhalten.
Hätten Sie in den nächsten Tagen etwas Zeit für mich?“
Als ich ihm dann vorschlug, mich doch am Sonntagabend zu besuchen, entgegnete er: „Da habe ich keine Zeit, da spielt Deutschland gegen Dänemark und das Fußballspiel möchte ich mir gerne ansehen.“
Ich fand das sehr beeindruckend.
Die Zeit ist uns so wichtig, dass wir mit ihr so vertraut umgehen wie mit einem Angehörigen „Du liebe Zeit“.
Manchmal haben wir Zeit, oft auch nicht. Wir hoffen darauf, dass uns jemand seine Zeit schenkt. Alles richtet sich nach der Zeit, die Schule, die Ausbildung, die Arbeit, das Zu-Bett-Gehen, das Fernsehprogramm, die Fahr- und Flugpläne. Es gibt kaum etwas in unserem Leben, in dessen Zusammenhang die Zeit keine Rolle spielt.
Und so rennen die Menschen durch ihr Leben, immer angetrieben von ihrem inneren Terminkalender und wenn man dem einzelnen Menschen zuruft:
„Halte doch einmal inne, setzt Dich zu mir, genieße eine Tasse Kaffee und lass Dir ein Stück Kuchen schmecken!“, dann hören wir immer den gleichen Satz:
„Ich habe keine Zeit!“
Das ist eine der größten Selbsttäuschungen des Menschen.
Jedem Morgen bekommen wir 86.400 Sekunden zur freien Verfügung gestellt. Wir haben also Zeit.Wir gehen zur Schule, absolvieren eine Ausbildung, geben in unserem Beruf alles und noch mehr.
Wir sind sehr fleißig und engagieren uns über unsere beruflichen Pflichten hinaus ehrenamtlich in Vereinen und Hilfsorganisationen.
Und wenn es dann Abend wird, stellen wir fest, dass wir wieder keine Zeit für uns selbst gefunden haben und das macht uns traurig. Wir haben wieder keine Zeit gefunden, die Gemeinschaft mit unseren Lieben, unseren Freunden und Bekannten in ausreichendem Maße genießen zu können.
Aus alten Erzählungen wissen wir, dass in allen Völkern diejenigen, die abends am Lager- oder Herdfeuer Geschichten erzählt haben, sehr beliebt waren.
Die Kinder und Enkelkinder, die Eltern und Großeltern, Freunde und Bekannte saßen einträchtig beieinander und lauschten hingebungsvoll den Erzählungen des Geschichtenerzählers.
Dabei ging es aber nicht nur um die Geschichten, aus denen man durchaus etwas lernen konnte. Sondern in früheren Zeiten wussten die Menschen noch um das Geheimnis des Geschichtenerzählens:
Denn bei dem Geschichtenerzählen ging es vor allem darum, zur Ruhe zu kommen, die Hast des Alltags von sich abfallen zu lassen und sich dem Zuhören hinzugeben.
Und oft endeten diese Abende, an denen die Geschichten erzählt wurden, dass die Menschen einander zuhörten wie Momo und sich Zeit füreinander nahmen und offen waren für die Nöte des Anderen.
Momodenkmal in Hannover
Ich habe vor längerer Zeit in Bremen eine Familie kennengelernt, Vater, Mutter und drei halbwüchsige Kinder. In dieser Familie herrschte fast ständig Streit.Alle aus der Familie wünschten sich aber tief in ihrem Herzen eine intakte Familie, eine Familie, in der sie sich zuhause und geborgen fühlen können.
Ich habe dieser Familie geraten, einmal in der Woche einen Geschichtenabend einzuführen, an dem jeder (das ist wichtig!) eine kleine Geschichte vorlesen darf.
Auch auf diese Familie hat das seinen Zauber nicht verfehlt. Die ganze Familie freut sich inzwischen auf den wöchentlichen Geschichtenabend und möchte ihn nicht mehr missen.
Das Geheimnis dabei ist:
Jeder aus der fünfköpfigen Familie freut sich darauf, eine Geschichte herauszusuchen, um damit seine Familie zum Nachdenken anzuregen, und jeder aus der Familie hört an diesem Abend vier (!) anderen Familienmitgliedern zu!
Zeit haben für einen anderen Menschen heißt nicht:
„Ich rede und der Andere hört zu!“, sondern ich öffne mich dem Anderen und ich höre ihm zu!
Sehr oft, meine Lieben, werde ich gefragt:
„Werner, ich möchte diesem oder jenem Menschen etwas Wertvolles schenken, aber ich verfüge nicht über große Geldmittel. Kannst Du mir nicht einmal einen guten Rat geben, was ich dem Menschen, an den ich denke, schenken könnte!“
Ich sage dann immer:
Das wertvollste Geschenk, das Du einem Menschen machen kannst, ist, wenn Du ihm etwas von Deiner Zeit schenkst und bereit bist, ihm zuzuhören!
Ich wünsche Euch einen ruhigen Abend mit Zeit für Euch selbst und Eure lieben und grüße Euch herzlich aus Bremen
Euer alter fröhlicher Geschichtenerzähler Werner
Quelle: Karin Heringshausen