… in Traiskirchen. Was ich dort erlebt habe, könnt ihr in diesem Bericht lesen.
Am Dienstag – kurz vor Mittag – machte ich mich mit Barbara von gretchensfragen, ihrem Freund und einer weiteren Freundin auf den Weg nach Traiskirchen. Das Auto war zum wiederholten Male bis obenhin vollgestopft mit Fladenbrot, Eistee, Schuhen, Jacken und vielem mehr und so tuckerten wir ans Ende von Wien.
Als wir die Autobahn verließen kamen gemischte Gefühle in mir hoch. Ich war nervös, voller Vorfreude aber auch irgendwie voll mit der Angst, dass wir etwas vergessen hätten, das vielleicht jemand dringend brauchen könnte.
Als wir dort ankamen, stellten wir das Auto etwas abseits ab. Wir spazierten ein wenig herum und trafen auf die ersten Leute in FlipFlops. In den vergangenen Tagen war es zwar sehr heiß, doch dieses Schuhwerk war nun – nach dem Regen – mehr als ungeeignet. Also fragte ich einen jungen Mann – mehr einen Jugendlichen – ob er Schuhe bräuchte. Er antwortete in gutem Englisch und als er sagte, dass er welche bräuchte, gingen wir zum Auto. Ich bemerkte zuerst nicht, dass mit ihm eine ganze Traube Menschen kam und uns zum Auto folgte.
Tja, da war sie nun dahin, unsere gute Taktik, einen nach dem anderen mit unseren Gütern zu versorgen.
Als wir beim Auto waren, befand sich schon eine ganze Menschenmenge um uns herum. Ich öffnete das Auto, musste es aber gleich wieder schließen, da ich die Situation ausarten sah. So viele Hände, so viele Menschen, die mich gegen das Auto drückten – jeder wollte ein Stück vom Kuchen (Kuchen hatte ich auch gebacken, der wurde dann später verteilt, den meine ich aber mit dieser Metapher nicht ;-) ).
Ich sagte den Leuten, dass ich ihnen gerne alles gebe, das ich habe, sie sollen bitte, bitte warten.
Es wurde unübersichtlich und chaotisch.
Einer aber stach aus der wütenden Menge heraus. Er drängte nicht, er stellte sich vor die Menge und versuchte uns zu helfen. Er redete auf die Leute ein und half uns beim Verteilen.
Als wir alles losgeworden waren, sprachen wir noch sehr lange mit ihm.
Es stellte sich heraus, dass er aus Syrien kommt und sich von dort aus auf den beschwerlichen Weg nach Österreich gemacht hat. Eigentlich wollte er mit seinen Brüdern nach Deutschland gehen, doch das verlief nicht nach Plan. Diese wurden auf Europa aufgeteilt und so kam eben er nach Österreich. Aber es gefällt ihm hier und er würde sehr gerne hier bleiben, vertraut er uns an. Er erzählt uns viele Geschichten, die leider keine Geschichten sind, sondern wahre Erlebnisse. Sie wirken wie Geschichten, wenn er sie mit einem leichten Lachen aber auch mit einem etwas nachdenklichen Blick erzählt. Er schildert uns Situationen, in denen er die IS hunderte Menschen enthaupten sah, Momente, in denen Kinder zur Waffe griffen, um erwachsene, gestandene Männer zu erschießen.
Als ein Flugzeug vorbeifliegt, erschrickt er kurz und erzählt uns – wieder mit dem bekannten Lachen -, dass er dabei an Syrien denken muss. Vor Flugzeugen haben sie sich immer versteckt, die waren meist von der IS.
Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Ich fühle Mitleid, Trauer und kann mir einfach nicht vorstellen, was dieser Junge, der sogar noch jünger ist als ich, bereits durchmachen musste.
Seine Eltern sind noch in Syrien. Er erzählt, dass er sie irgendwann gerne mit dem Flugzeug herholen würde.
Wir reden sehr viel an diesem Tag und erfahren sehr viel über ihn, seine Vergangenheit und über das Leben in Syrien.
Es stellt sich heraus, dass er genau wie wir ist. Genauso wie wir hatte auch er Haustiere – wobei er nicht glaubt, dass diese noch am Leben sind -, er liebt Pizza und auch er spielte ein Instrument. So vieles musste er in Syrien lassen aber eines hat er dort nicht verloren: seine Fröhlichkeit, seine Offenheit, seine Freundlichkeit.
Wir alle sind mit ihm in Kontakt, wir schreiben sehr viel und heute waren wir sogar zusammen mit ihm in Wien und haben ihm die Stadt gezeigt. Wir haben vieles erlebt, ganz viel gelacht – sogar bis uns die Tränen gekommen sind – und hatten eine tolle Zeit. Es war nicht so als wären wir mit einem Fremden dort, es war ganz anders. Es war ganz normal, es war wirklich schön.
Er hat sich so oft für diesen Tag und alles, das wir dort mit ihm unternommen haben, bedankt und ich glaube, dass es ihm sehr gefallen hat. Ich glaube, dass er die Zeit genossen hat und ich glaube, dass ihm Wien gefällt. Unter all dem “ich glaube, dass” gibt es aber auch ein “ich weiß, dass”. Dieses “ich weiß, dass” lautet: Ich weiß, dass ich in ihm einen Freund gefunden habe.