Ich habe DIE Geschäftsidee

Ich habe DIE Geschäftsidee geschrieben von Marcus Witte

In Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrise, hartem Konkurrenzdenken, Stellenabbau, Lohnkürzungen, Minijobs und Kurzarbeit plagen mich seltsame Träume. Schließlich muss jeder sehen, wie er oder sie durch die Krise kommt und sich behaupten kann. Neue Ideen müssen her. Bahnbrechende, avantgardistische Geschäftsbeiträge, aufrüttelnde, nie da gewesene Gedanken, derer ich mich nicht erwehren kann, kreisen des Nächtens durch mein Unterbewusstsein. Ich sehe es als meine Pflicht, die Menschheit daran teilhaben zu lassen, um Stagnation und Depression zu vereiteln.

Montag, 2. November, der Radiowecker ertönte um 5.45 Uhr, denn meine Bine muss früh zur Arbeit. Eine bedenkliche Zeit um aufzustehen, bedenkt man, dass 1939 der Volksempfänger dem Volke gedachte und Hitlers Polenfeldzug verkündete – „Seit 5. 45 Uhr wird zurückgeschossen“. Ich räkelte mich im Laken und gab frohjauchzende Laute von mir. „Was ist mit dir los?“, fragte Bine, derweil sie ausgiebig ihre Glieder streckte. „Ich habe DIE Geschäftsidee.“ „Häääähh, mannooo, was is`n los?“, ihre Stimme klang wie ein Reißwolf bei der Arbeit und hallte von den Wänden wider. Ich strich mit meinen Händen eine große Geste ins dunkle Zimmer und sagte: „Nach Auftrag werde ich mich auf die Köpfe anderer Leute setzen. Die rufen mich an, ich komme vorbei, die legen sich seitlich auf`s Sofa und dann setze ich mich auf den jeweiligen Kopf.“ „Spinnnnnnst du? Und was soll das?“ „Das ist für Leute, die sich mal wieder richtig spüren wollen, oder sich spüren müssen, weil ihr Körperschema gestört ist, oder so. Das könnte dann vom Arzt verschrieben werden.“ „Und du meinst, die Krankenkasse zahlt das dann?“ „Bestimmt! Wenn nicht, könnte ich mit denen so einen Eine-Hand-wäscht-die-andere-Vertrag machen. Die zahlen und ich setze mich auf deren Köpfe.“ Obwohl es noch dunkel im Zimmer war, sah ich Bine, wie sie ihren eigenen Kopf schüttelte. Sie gab mir einen Kuss, wobei ich ihr Unverständnis spürte, stand auf und ging ins Badezimmer. Dann eben nicht, dachte ich, nicht ganz ab von meiner unterbewussten Idee.

Dienstag, 3. November, 5.45 Uhr, der Volksempfänger rumpelt. Noch ganz eingenebelt von meinen Träumen wischte ich mit den Händen durch mein Gesicht. Der nächtliche Zimmergeruch hatte mir wohl zugesetzt. Ich hörte Bine knurren und stöhnen, sie dachte an die Schule. „Ich habe DIE Geschäftsidee“, sagte ich in einem Ton, der keine Zweifel zulassen sollte. „Waaas dennn nun?“, entfleuchte es ihr gequält neben mir. „Ich werde ein paar Fledermäuse fangen, sie zusammenknoten und mir die Tiere um den Bauch binden. Mit denen kann ich dann ein Echoortungssystem oder auch Ultraschallsystem aufbauen, das mir ermöglicht, mich in totaler Dunkelheit zurechtzufinden.“ Bine seufzte. „Und was soll das bringen?“ „Ich eröffne dann eine Detektei. Spezialgebiet Personenbeschattung. Ich werde im Dunkel der Nacht immer unentdeckt bleiben, keiner wird mich bemerken. Ich werde meinen Auftraggebern alle schmutzigen Details liefern können.“ „Und was ist, wenn die Fledermäuse Hunger kriegen? Lässt du sie dann aus deinem Dickdarm naschen? Und wenn den Tieren nicht gefällt, dass du sie zusammengeknotet hast, was ist dann? Dann fiepen die rum und du wirst entdeckt.“ „Nehme ich eben Flughunde. Die sind größer. Vielleicht komme ich mit einem hin, den ich mir umschnalle.“ Im Geiste sah ich mich den Flughund wie eine Gürtelschnalle zurechtrücken. „Marcus, das ist Quatsch. Ich muss aufstehen.“

Mittwoch, 4. November, Schlag 5.45 Uhr. Fast besinnungslos nahm ich die  Reggae-Version von „The power of love“ wahr. Neben mir begannen Bines Zähne zu knirschen. „Ich habe DIE Geschäftsidee“, ließ ich verlauten und merkte wie sie den Stachel wetzte. „Waaaaas is`denn nuuuuun schon wieder?“ „Das Recht auf Rausch! Das wurde doch schon von irgendeinem Landgericht beschlossen, trotzdem immer wieder diskutiert.“ „Na und?“ „Angeblich haben alle das Recht auf Rausch, aber Fakt ist doch, dass die Wenigsten sich trauen zu konsumieren, und besonders die Leute, die morgens ins Büro latschen, würden sich für den Tag gerne was klinken, die allermeisten tun es aber nicht, weil sie nicht mit Drogen erwischt werden wollen, oder weil sie die kinderschändenden Drogendealer nicht unterstützen möchten.“ „Und, was willst du machen? Willst du vor den Büros dieser Welt dealen?“ Ich nehme meiner Freundin das Kissen vom Gesicht. Trotz Dunkelheit weiß ich, sie versteckt sich dahinter. „Nein, ich steige auf den alternativen Rausch um. In meinem mobilen Zentrum für körpereigene Hormonausschüttung fahre ich vor die Büros, und verpasse dem Kunden für fünfzehn Euro eine ordentliche Hormonbehandlung, die jegliches Alltagserleben abklingen lässt. In meinem umgebauten Kastenwagen könnte ich sogar mehrere Kunden gleichzeitig behandeln. Ein Schlipsträger wird in den überdimensionalen Wäschetrockner gesteckt, während ich einem anderen zehnmal hintereinander ein Brett auf den Hinterkopf schlage. Das darf natürlich auch eine Frau sein. Dafür könnte ich auch dein altes CD-Regal nehmen.“ Bine drehte sich auf den Bauch, ächzte einmal kurz und drückte ihr Gesicht fünfzehn Zentimeter in die Matratze. „Eine übergroße Gitarre werde ich gebaut haben, in deren Klangloch ein Typ seinen Kopf steckt, irgendwie an den Seiten vorbei, da muss wohl ein bisschen nachgeschoben werden, und dann werde ich immer und immer wieder die tiefe E-Saite zupfen, nein, reißen, am besten mit einer Gartenkralle. Während ich die Saite reiße, liegt hinter mir einer, der mit Händen und Füßen an eine Maschine geschnallt ist, die ihn langsam, wie eine Streckbank, auseinander zieht. Ich trete ihn hoch und runter, sodass er wie ein modriges Gummiband umherschlackert, und während ich vorne reiße, spiele ich hinten Gummitwist. Ein anderer bekommt einen luftdichten Spezialhelm auf, welcher durch eine Pipeline mit allen Mitarbeitertoiletten des Hauses verbunden ist. Das bringt`s. Ansonsten habe ich noch große Ventilatoren, Presslufthämmer, Katapulte und so`n Zeug. Wenn das alles nicht reichen sollte, gibt es noch ein paar fette Kröten an denen die Kulistemmer lecken können, dann werden die endgültig benebelt den Tag hinter sich bringen.“ Bine sprang auf, ganz ergriffen von meiner Idee, wie mir schien. „Du hast einen Vogel“, zischte sie. „Wer soll das bezahlen? Das Vergnügungsministerium? Die Faxenbehörde? Die Folter-für-Jedermann-Vereinigung?“ Ich dimmte das Licht auf die niederste Stufe und sinnierte grinsend in Richtung Decke.

Donnerstag, 5. November, 6.45 Uhr. Ja, donnerstags springt der unsägliche Schlafzimmerblaster eine Stunde später an, was bestimmt auch die Schüler der Bine freut. Im Dunkeln schnellte mein Oberkörper in die Senkrechte. „Ha, ich hab`s! Jetzt hab ich DIE Geschäftsidee.“ „O nein, nicht schon wieder.“ Ich ertätschelte ihr Haupthaar. „Äääöööooaahhhh, was ist denn jetzt?“, fragte sie, sich dabei streckend bis die Holzpfosten des Bettes knarrten. Meine Stimme erhob sich. „Ein Überkopfzirkeltraining für Kopflausopfer in unserem Wohnzimmer.“ „Wie bitte?“ „Ja, ich hab ständig so geile Kopfideen.“ „Ggrrrmmphhh“. „Also, an die Decke unseres Wohnzimmers baue ich in großer, quadratischer Form einige Teile eines Luftschachts, die ich irgendwo besorgen werde. Die verschiedenen Segmente werden zu allen Seiten verschlossen sein, nur an der Unterseite werde ich jeweils ein Loch hineinbohren. Dieses Loch werde ich mit drei Zentimeter dickem Hartgummi wieder verschließen, einen Schlitz quer durch das Gummi schneiden, sodass ein menschlicher Kopf hindurch gestoßen werden kann, und sich das Loch bei Rückzug des Kopfes wieder verschließt. Der Clou steckt in den einzelnen Luftschachtabschnitten. In  einem ist ein Hochdruckstrahler, in einem anderen mehrere Hochleistungs- und Industriestaubsauger, in dem dritten tummelt sich ein Rudel von diesen Neurodermitisknabberfischen, die auf Kopfläuse umgeschult wurden, und der vierte und letzte Abschnitt ist voll von atomaren Endmüll.“ „Atomarer Endmüll in unserem Wohnzimmer?“, fragte Bine entgeistert, als böte sich ihren Vorstellungen die Hölle dar. „Das wird nicht so schlimm sein“, versuchte ich sie zu besänftigen. „Die Luftschachtteile sind alle dicht. Ich nehme das Kopflausopfer Huckepack und gehe mit ihm auf der Schulter, dabei leicht gebeugt, zu den einzelnen Stationen. Unter den Hartgummiöffnungen schnelle ich mit dem Opfer in die Höhe und ramme seinen Kopf kräftig in den Schacht, wo dann im ersten mit Brachialgewalt der Hochdruckstrahler einsetzt.“ „Marcus, du scheinst nicht ganz bei Verstand. Wenn du dein Kopflausopfer durch die vierte Hartgummischicht gerammt hast und es dann zusätzlich einer Portion radioaktiver Strahlen ausgesetzt wird, wird es dich spätestens dann aufgrund von Kopfschmerzen verklagen. Mindestens.“ Genervt verließ sie das Schlafzimmer und verschwand vor mir im Bad. Mist!

Freitag, 6. November, 5.45 Uhr. Ich schlage die Augen auf. Noch bevor ich meine bedeutungsschwangeren Nachtideen sortiert hatte, fuhr Bine mich von der Seite an: „Bevor du jetzt irgendetwas sagst, heute ist der letzte Tag der Woche. Das Aufstehen war deinetwegen anstrengend genug, dieser Tage, und ich will nicht, dass du mir den letzten Wochentag auch noch erschwerst. Also, hast du mir wieder von einen deiner tollen Geschäftsideen zu berichten?“ Verunsichert und unentschlossen kauerte ich auf der Matratze dann stotterte ich: „V…V…Vielleicht, äh, ich könnte dem Kampfmittelräumdienst ein paar ihrer geborgenen aber noch scharfen Blindgänger aus dem zweiten Weltkrieg abluchsen und diese dann an Rammstein verkaufen, für ihre Konzerte, verstehst du?“ „Nein!“ Aufgrund der Stille, die den Raum erfüllte, abgesehen von Peter Fox, der über Berlin schwadronierte,  nahm ich an, dass ihr meine neuste Erleuchtung nicht zusagte. „Ich könnte auch Eisflächentester an zugefrorenen Seen werden.“ „Marcus, nein!“ „Oder Modell für angehende Tätowierer.“ Nur ein Jammern drang an mein Ohr. „Als lebender Spanngurt bei Schwertransporte, der Alarm schlagen kann, falls sich etwas löst?“ „Nein, nein, nein!!! Verdammt, mach dich nicht so verrückt, so kritisch wie in deinem Kopf kann die Lage in Deutschland gar nicht sein. Du brauchst nicht in Panik verfallen. Ich sage nur, Schuster bleib bei deinen Leisten und alles bleibt unter Kontrolle.“ Sie gab mir einen Kuss und entschwand dem Raum. Ich stürzte zum Werkzeugkasten, kramte Hammer und Spachtel hervor, ging zum Schlafzimmerfenster, um dessen Leisten zu lösen. Ich hatte doch mal Glaser gelernt.

© 2011 Marcus Witte


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