Theater…und so fort
Kotze bekommt ihr bei uns nicht zu sehen.
Auch kein Sperma. Ebenso kein Blut. Obwohl das leichter zu besorgen wäre.
Mengenmäßig jetzt…
Und das mit der Unschuld ist so ein Ding.
Diese Ankündigung im Programmheft erweckt den Eindruck, als erwarte den Zuschauer weniger schwere Kost, als der Titel vermuten lässt. Doch das stellt sich schnell als Irrtum heraus, dieser Theaterabend ist sicherlich nichts für Sensible.
Die begeisterten Rezensionen von Presse und Freunden lockten auch mich mal wieder in das Theater…und so fort in der Kurfürstenstraße, das für mich mittlerweile eine tolle Adresse für ungewöhnliche Inszenierungen ist. Das Bühnenstück zum erfolgreichen Buch Dirk Bernemanns lockt viele in das Münchner Kellertheater, teilweise sind die Fans des Autors auch stundenlang gefahren. Bernemann erzählt in seinen 13 Kurzgeschichten über Menschen am Rande der Gesellschaft: Mörder, Prostituierte, gewalttätige Familienväter oder kaltherzige Gesetzeshüter. Man bekommt es auf der Bühne mit Figuren zu tun, denen man im wirklichen Leben ausweicht. Manche wirken surreal wie die Frau, die einen Auftragskiller anpreist (Sacha Holzheimer). Andere begegnen uns jeden Tag wie der verrückte Obdachlose in der U-Bahn (Johannes Haag), der eigentlich nur sterben möchte oder das junge Mädchen, das nach exzessiven Drogenkonsum im Krankenwagen landet (Sarah Dorsel). Und immer gibt es eine Verknüpfung zwischen den Geschichten.
Die sieben Darsteller schlüpfen in mehrere Rollen und erzählen in Monologen die Schicksale ihrer Figuren. Dabei schafft es Dietz, das Spiel der Darsteller in einen zum Teil krassen Kontrast zum Gesprochenen zu setzen. Eine der beeindruckendsten Szenen die des Prostituiertenmöders, gespielt von Andreas Haun, der in unscheinbarem Outfit und völlig regungslos auf der Bühne sitzt und in allen Einzelheiten seiner grausamen Tat beschreibt. Oder die, in der der Regisseur selbst einen Straßenbahnfahrer spielt, dem eine Selbstmörderin vor den Zug gesprungen ist und der versucht, sein Trauma durch Gelächter und Scherze zu verarbeiten.
Es ist auch ein Beweis dafür, wie sehr die Worte tatsächlich auf den Zuschauer wirken. Man möchte eigentlich nicht lachen, da es angesichts der menschlichen Abgründe unangemessen erscheint, doch man kann manchmal nicht anders. Dabei lacht man selten wirklich herzhaft sondern meistens nur, weil man angesichts der absurden Beschreibungen nicht anders kann. Manche der Geschichten erscheinen zu Beginn harmlos und entfalten erst später ihre Wirkung. Nach Ende der Vorstellung war ich total platt und musste alles erst mal verdauen. So ging es auch den anderen Zuschauern, die erst nach einer gefühlte Ewigkeit zu klatschen begannen, auch wenn jedem klar war, dass die Vorstellung zu Ende war (sehr zu Freude der Darsteller).
Das Bühnenbild gesteht aus mehreren großen weißen Bühnenelementen, die wahlweise zu einer Projektionswand, Säulen, ein Autowrack, einer Bar oder ein Haus. Die Darsteller werden von ihnen von der Bühne gedrängt, eingequetscht oder dienen als Ansprechpartner. Minimalistisch und klasse!
Ich kann die Inszenierung sehr empfehlen, nicht nur für Fans des Buchs (das ich zuvor noch nicht kannte). Man sieht keine extremen Bilder auf der Bühne, es spielt sich alles nur in den Köpfen der Zuschauer ab und gerade das macht den Reiz dieses Stücks aus.
Vorstellungen gibt es noch am 27. und 28. April und am 2., 3., 4., und 5. Mai. Reservieren könnt ihr hier: http://www.undsofort.de/stueck/ich-hab-die-unschuld-kotzen-sehen,164