Ich gebe dir die Sonne von Jandy Nelson

Von Paperdreams @xGoldmarie


Die Zwillinge Noah und Jude sind seit jeher unzertrennlich miteinander verbunden, auch wenn sie sich charakterlich sehr unterscheiden. Während Noah ununterbrochen alles malt, was ihm in den Weg kommt und sich in den Nachbarsjungen verliebt, ist Jude die draufgängerische Wilde, die von Klippen springt. Einige Jahre später jedoch ist nichts mehr wie es war. Ein Ereignis hat die Zwillinge nicht nur voneinander entfremdet, sondern auch dazu geführt, dass beide sich auf ihre Art und Weise verändern. Bis Jude einen faszinierenden und eigenwilligen Künstler kennen lernt, der alles verändert und die Vergangenheit sie alle einholt.


Wäre dieses Buch ein Gemälde, dann wäre es eine Leinwand voller Farbkleckse in den buntesten und elektrisierendsten Farben, es wäre knallig und fröhlich auf der einen, und düster und verschwommen auf der anderen Seite. Wäre dieses Buch ein Zustand, dann wäre es ein wütendes Gewitter im allerschönsten Sonnenschein. Wäre es ein Gefühl, dann wäre es bittersüß, himmelhochjauchzend und gleichzeitig zu Tode betrübt. Tatsächlich ist "Ich gebe dir die Sonne" von allem etwas - es ist ein verschriftliches, ziemlich buntes und abgedrehtes Gemälde, ein sich immer wieder verändernder Zustand und ein, nein, tausend Gefühle. Es ist skurril, speziell, schrullig, faszinierend, es sticht sich mit Widerhaken in jede schmerzhafte Stelle des Herzens, es piekt und drückt und quillt über, es bringt zum Lachen, zum Weinen, zum Dahinschmelzen, zum Lieben, zum Wünschen und zum Leben. Und eventuell, vielleicht, möglicherweise hat es mir extrem gut gefallen!


Besonders speziell wird die Geschichte um Noah und Jude durch den bildhaften und eindringlichen Schreibstil der Autorin, der zu Beginn befremdlich wirkt, im Laufe des Buches jedoch ganz natürlich wird und den Inhalt praktisch aufblühen und zu einem plastischen Gebilde werden lässt. "Ich gebe dir die Sonne" ist abwechselnd in der Vergangenheit aus der Sicht des dreizehnjährigen Noahs und in der Gegenwart aus der Sicht der sechzehnjährigen Jude beschrieben, sodass sich die Geschichte nach und nach wie ein Puzzle zusammensetzen lässt. Dennoch liest sich das Buch flüssig und man hat nie das Gefühl, man könnte den roten Faden nicht mehr wiederfinden - im Gegenteil, mit jeder weiteren Seite wird das verschwommene Bild, die Aufklärung aller Geheimnisse, immer deutlicher. Und das Buch besteht praktisch aus tonnenweise Geheimnissen. Doch auch Thematiken wie Intrigen, Neid, Familiendrama, Eifersucht, Freundschaft, viel Liebe, Homosexualität, Heterosexualität, Kunst, Künstler, Kunstwerke und jede Nuance des Lebens spielt eine Rolle.

"Ich gebe dir die Sonne" ist wohl das, was man einen Charakterroman nennen würde, denn die beiden Protagonisten Noah und Jude und deren Entwicklung und Selbstfindungsprozess stehen eindeutig im Fokus. Dennoch laufen im Hintergrund einige weitere Stränge zusammen und scheinen viele kleine Ebenen zu formen, die am Ende ein Ganzes ergeben. Selbiges gilt auch für die beiden Hauptpersonen, die mit jedem Wort und jedem Satz mehr und mehr zu sich selbst und ihrem Leben finden, was definitiv nicht immer leicht ist, einiges an Mut erfordert und ebenfalls bedeutet, sich selbst Fehler einzugestehen. "Ich gebe dir die Sonne" lebt von seiner sprachlichen Dynamik, von seinen plastischen Figuren und der Geschichte, die gleichzeitig dein Herz aufblühen, wieder welken und abermals aufblühen lässt. Am liebsten möchte ich "Ich gebe dir die Sonne" einrahmen und aufhängen, damit es jeder liest und jeder ein bisschen Sweetwine-Feeling abbekommt. In jedem Fall möchte ich aber jedem empfehlen, der auf der Suche nach der Sonne ist, nach sprachlicher Raffinesse, liebevollen Figuren und einer Geschichte, die unter die Haut geht und noch viel weiter.