Ich empfinde keinen Aufstieg, eher Abstieg der anderen

Von Frontmotor
Es ist eine wiederkehrende Erfahrung: Zu Beginn einer neuen Herausforderung strebe ich zuerst nach Verständnis und Überblick. In der Gruppe bin ich der mit der wenigsten Erfahrung aber der größten Verantwortung für die Erreichung eines Ziels und deshalb mit der größten Unsicherheit.
Ich muss Beziehungen aufbauen, um eine Vertrauensbasis zu schaffen. Noch bevor ich die anderen kenne und für mich gewonnen habe, muss ich Vereinbarungen treffen und in manchen Fällen Grenzen setzen.
Unmerklich geht es irgendwann vorwärts. Die Gruppe ist etabliert, es gibt ein Konzept, einen ersten Prototypen. Jetzt beginnen die anderen Vertrauen zu mir aufzubauen. Jetzt heißt es: Das Vertrauen nicht enttäuschen, aber auch dafür nutzen um noch schneller vorwärts zu kommen. Nächstes großes Ziel: Den Hügel erklimmen und einen Blick ins Tal werfen - Überblick schafft Verständnis für die Landschaft.
Und dann auf den nächsten Hügel blicken. Usw...
Man wächst, bzw. steigt auf. Ein gutes Gefühl. Aber oben angekommen empfinde ich die neue Höhe immer nur für kurze Zeit als neue Höhe. Wenig später werde ich wieder mein eigener Bezugspunkt - ich empfinde mich nicht als höher, sondern normal. Dafür empfinde ich das was ich hinter mir ließ als niedrig.
Ich bin froh, die Phase der Unsicherheiten hinter mir zu haben und in der Phase des aktiven Agierens und Vorwärtsstrebens zu sein. Zwar bauen sich die Unsicherheiten mit dem Alter ab. Aber da ist dieser Anspruch aus dem letzten Projekt, dass ich mit einem Gefühl der Stärke, Führung verließ. Am Anfang des neuen Projektes muss man jedoch führen ohne zu wissen.
Dieses Runterstufen des Niveaus auf dem ich gestern noch war, vollziehe ich auch im Privatleben. Ich habe wenig Geduld, wenn Mitmenschen gewisse Schritte nicht mitmachen: Sich nie für etwas entscheiden. Nichts riskieren, zu nichts stehen usw. Nörgeln statt handeln. Zu allen Mitmenschen eine Meinung haben was sie falsch machen.
Arbeiterkinder, die später studieren, kennen das auch: Kind (Neffe, Enkel, Freund), hast du es nicht mehr nötig? Bleibe bei uns, hier unten in unserer Nörgelecke. Oder glaubst du, du bist was besseres?
Sie kennen das auch aus der SPD: Wer aufsteigt, ist verdächtig. So war das nicht gemeint mit Aufstieg durch Bildung.