Ich bin ein Workaholic, ein Freizeitstresshaber, To-Do-Listen-Schreiber, Auf-mehreren-Parties-gleichzeitig-Tanzer - oder wie Peter Fox singen würde: „Bin 'n gehetzter Fuchs, ständig auf Draht. Es is wie ne Sucht, ich brauchs jeden Tag."
Seit acht Jahren besitze ich einen Terminkalender und seit acht Jahren ist dieser immer gefüllt. Dazu muss man sagen, dass ich unter 25 Jahre bin. Doch auf einmal herrscht auf den Seiten der aktuellen Woche gähnende Leere, auf meiner To-Do-Liste stehen Dinge wie Lesen oder Kuchen backen und meine Trackinguhr lobt mich für einen gesunden Schlafrhythmus. Mein Vorsatz der 20.000 Schritte am Tag kommt mir vor wie Moralvorstellungen längst vergessener Zeiten. Ausgangssperren verhindern, dass ich Besorgungen erledigen kann, Routine-Arztbesuche über mich ergehen lassen darf und Freunde und Arbeit jonglieren zu versuche. Sie erlauben mir, alle acht Staffeln „Gilmore Girls" am Stück zu gucken, an meinem Italienisch zu arbeiten, Bilder zu malen, die niemals irgendeine Wand schmücken werden und Brot zu backen. Dabei achte ich mit größter Genauigkeit darauf, nicht zu viel auf einmal zu machen - und mich von meinem Sauerteig-Hermann nicht überbeanspruchen zu lassen.
Die Ruhe, die mich die ersten Tage stresste, wurde allmählich zur Selbsthilfegruppe zwischen der Isolation und mir. Die Ausgangssperren sind das Gipsbein, das meine innere Dampflock in die Knie zwang. Sie schaffen das, was Schlaftherapie, Selbstliebebüchertipps von Instagram oder Yoga gemeinsam nie schafften.
Angst und Bange wird mir jedoch, wenn ich an die Zeit nach der Krise denke, denn heimlich schreibe ich sie schon - die After-Corona-To-Do-Liste. Nachts wache ich geplagt von Albträumen auf, in denen ich gestresst durch Möbelhäuser und Einkaufszentren sprinte. Volle Kalenderseiten zeihen an meinem inneren Auge vorbei, auf denen ich Tag um Tag mehr als drei Termine hinein zu quetschen versuche. Wenn Angela die Sperren aufhebt, habe ich niemanden mehr, der mich vor diesem Selbst schützt. Wie ein drogenabhängiger Mensch, der am Tag seiner Entlassung vom Fahrdienst der Entzugsanstalt am Görlitzer Park ausgesetzt wird. Die Überdosis ist unausweichlich. Die Frage ist nur: Gehe ich an ihr zugrunde oder überstehe ich sie gerade so. Bin ich Whitney oder Britney?