Ich bin lieb geworden

Von Mktrout

Auf meinem Blog ist es ruhig, ruhig, ruhig geworden. Mir fehlt Zeit, Lust und auch die durchschlagende Idee für einen sinnvollen Blogbeitrag. Und dümmliches Rumgeseiere liegt mir nicht. Wenn ich nichts zu sagen habe, dann halte ich lieber den Munde. Außerdem befinden sich im Moment meine Kameras auch in Kurzarbeit. Andere Dinge binden meine Kräfte, Gedanken und Energiereserven. Aber was soll ich lange rumjammern, neben einem übervollen Arbeitspensum habe ich mich auch verändert. Ich bin lieb geworden. Früher hätten mich die Medieneinsätze von Porno-Steffi oder die Prolleinsätze eines Herren, der vor einem Wortausbruch erst einmal Gedanken durch Anwendung seines Nachnamens sammeln sollte, zu Spitzzüngigem animiert. Aber wie gesagt, ich bin sehr lieb geworden.

Über die Auswüchse unserer heutigen Gesellschaft rege ich mich schon lange nicht mehr auf. Na klar, wir alle wissen, dass die Vorbereitung zur nächsten Kristallnacht bereits auf vollen Touren läuft. Es ist doch erst knapp 30 Jahre her, dass wir voller jugendlichem Elan das offensichtlich Unvermeidliche anprangerten, in BW-Parker und PLO-Tuch zur Demo gingen. Heute weiß ich, es war falsch gegen den NATO-Doppelbeschluss zu protestieren. Geläutert und gezähmt unterstelle ich jetzt sogar, dass es absolut richtig ist dem päpstlichen Edikt gegen die ekelhafte Seuche der Wolllust zu folgen. Geirrt habe ich mich schon einmal, also schwöre ich jetzt ab! Keine Bilder der Nacktheit, der Lust, der Sexualität sollen nunmehr meinen Blog verunzieren. Da ich zu Maria keine Beziehung aufbauen kann, will ich in Zukunft Eva huldigen, der Stammmutter des Menschengeschlechts, deren Schoß sich zur Verbreitung der Schöpfungskrone öffnete. Noch vor nicht all zu langer Zeit hätte ich geschrieben, dass sich ihre Schenkel öffneten. Aber nein, wer so denkt und schreibt ist nichts anderes als ein Schmutzfink, der nicht in die Öffentlichkeit gehört und ganz bestimmt nicht ins Web. Rein sind ab heute meine Gedanken, ich bin lieb geworden, sehr lieb.

Mich beschäftigt nur die Frage, was sich in den letzten Monaten verändert hat. Wie kann es angehen, dass Moralin als neue Droge das Volk derart tiefgreifend verändert, dass selbst ich bereits vor dem Zubettgehen das Licht lösche. Sogar die Bildzeitung findet es gutt, wie sie häufig betont, und die Titten auf Seite 1 werden ausschließlich als Leim für die Fliegen aufgetragen, die einmal darauf klebend dem folgenden (intravenösen) Moralinstoß wehrlos ihre Venen entblößen. Was Bush trotz bester Grundvoraussetzungen seines Volkes nicht herbeiregieren konnte, wird nun im Land der Dichter und Denker zur Realität. Aber wen wundert es, sind wir nicht alle ein bisschen Papst geworden? Früher, vor noch nicht all zu langer Zeit, wäre ich einer Verschwörungstheorie verfallen, einer wilden Phantasie, in der ich vom politischen Protektorat des Klerus im Regierungsbezirk gefaselt hätte. Pah, Unfug, wir sind doch nicht mehr im Mittelalter! Und Kondome braucht die Menschheit nicht, weil Frau auch mit einem Stall voll Kinder an der Spitze der Gesellschaft mitregieren kann. Ja, ich bin wirklich geläutert und Einsicht ist mein Name. Wenn ich endgültig mit den Sexbildern auf meinem Blog aufhöre, dann braucht auch die pubertierende Jugend keine Kondome mehr und Kindern wird auch keine Gewalt mehr angetan. Alles ganz logisch, wenn wir alle ganz lieb sind. Mich beschleicht nur das Gefühl, dass dem unverbesserlich Bösen durch Totschweigen und ausbleibende Aufklärung ein idealer Nährboden bereitet wird. Tabuisierung macht das Leben leichter, weil nicht mehr so viel erklärt und aufgeklärt werden muss. Inquisition ersetzt Aufklärung. Dann macht es auch Sinn, mit Zwangskastration, lebenslanger Beugehaft, hochnotpeinlicher Bestrafung, Brandmarkung und Scheiterhaufen das Abnorme, Böse, auszurotten. Bald sind wir alle ganz lieb, oder ausgerottet. Es gibt nur lieb und böse! Vertrauen wir da ganz auf unsere Dichter und Denker, unsere neuen Lenker, mit 10er-Abreißblocks für Papstaudienzen. Alles wir gut.

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